"Knockout 51"
Neonazis als Justizopfer
Vor dem Thüringer Oberlandesgericht ist der Prozess gegen vier mutmaßliche Mitglieder der Gruppierung „Knockout 51“ aus Eisenach wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung fortgesetzt worden. Im Gerichtssaal demonstrieren Neonazis aus dem bundesweiten Netzwerk der Angeklagten ihre Solidarität.
Großer Andrang herrscht im Thüringer Oberlandesgericht in Jena, wo jetzt der Prozess gegen vier mutmaßliche Mitglieder der extrem rechten Gruppierung „Knockout 51“ fortgesetzt wird. Strenge Sicherheitsvorkehrungen herrschen sowohl vor der Eingangstür des Gebäudes als auch vor der Tür zu Saal 8, wo die Verhandlung vor dem 3. Strafsenat stattfindet.
Bereits eine halbe Stunde vor Beginn haben dort rund 15 erkennbare Neonazis Platz genommen. Für andere Interessierte bleiben nur noch wenige Sitze übrig. Papier und Stifte sind im Saal verboten, sie könnten der Störung der Verhandlung dienen, erklärt ein Beamter bei der Einlasskontrolle. „Sie könnten ja eine Beleidigung draufschreiben und das Papier in die Höhe halten“, sagt er der Landtagsabgeordneten der Linken, Katharina König-Preuß. Sie will den Prozess ebenso beobachten wie ihre Kollegin Kati Engel, deren Wahlkreisbüro in Eisenach schon mehrfach Angriffsziel von Neonazis war. Auch Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf ist nach Jena gekommen, um sich ein eigenes Bild vom Verfahren zu machen.
Antrag auf Verfahrenseinstellung
Die Hauptverhandlung hatte in der vergangenen Woche begonnen, eine Stunde lang lasen die zwei Vertreter der Generalbundesanwaltschaft (GBA) die Anklage gegen Leon R., Maximilian A., Eric K. und Bastian A. vor. Die Strafverfolgungsbehörde hatte darin ursprünglich auch die Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgesehen. Das Gericht ließ die Anklage zwar zu, erklärte aber, für eine Einstufung als terroristisch müssten Zweck und Tätigkeit der Vereinigung darauf ausgerichtet sein, Mord und Totschlag zu begehen. Dies aber sei nicht ausreichend begründet worden.
Und so müssen sich die vier Angeklagten nun wegen Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und in 14 Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verstößen gegen das Waffenrecht mit wechselnder Beteiligung vor dem Senat verantworten.
Eine Einlassung lehnten drei von ihnen zu Beginn des Prozesses ab, lediglich Leon R. kündigte über seinen Rechtsanwalt Steffen Hammer an, ein Statement abgeben zu wollen. Und darin sieht sich der Betreiber einer Neonazi-Gaststätte in Eisenach selbst als Opfer. Die Anklage wegen einer kriminellen Vereinigung sei ein „fragwürdiges Konstrukt“, die Anklageschrift „wenig umsichtig“, die angeklagten Einzelstrafen seien teilweise „unpolitische Beziehungstaten“ und gehörten „in die Zuständigkeit eines Amtsgerichtes“.
Hammer spart bei der Verlesung des Statements nicht mit starken Worten: Von einem „juristischen Harakiri“ ist ebenso die Rede wie von einer Aushebelung der Grundsätze eines fairen Verfahrens. Hintergrund sind Aussagen der jetzt angeklagten R. und A. im März 2022 vor dem Oberlandesgericht Dresden im Prozess gegen Lina E. und andere Angeklagte im „Antifa Ost Verfahren“. Sie sollen u.a. für zwei Überfälle auf R. und seine Gaststätte Ende 2019 in Eisenach verantwortlich gewesen sein. Aus diesem Grund wurden R. und A. geladen, um in dem Verfahren auszusagen. Glaubt man seinem Anwalt, wurde R. dort zu den Aussagen gezwungen, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits das Verfahren wegen „Knockout 51“ gegen ihn lief. Vor Gericht sei er auch nicht über sein Recht auf Aussageverweigerung belehrt worden. Nun also könnten diese Aussagen im aktuellen Verfahren gegen ihn verwendet werden, obwohl er damals von seinem Recht auf Aussageverweigerung hätte Gebrauch machen können, erklärt R.s Anwalt Hammer.
Er fordert die Einstellung des Verfahrens, der Angeklagte A. und sein Verteidiger schließen sich dem an. Oberstaatsanwalt Michael Neuhaus als Vertreter der Generalbundesanwaltschaft sieht dem gelassen gegenüber: in die Beweisführung zum aktuellen Verfahren hätten R.s Angaben „keinerlei Eingang“ gefunden. Über den Antrag auf die Einstellung des Verfahrens will der Strafsenat bis zum nächsten Verhandlungstag Mitte September entscheiden.
Neonazis applaudieren im Gerichtssaal
Solidarität erfahren R. und die anderen Angeklagten im Saal von der Neonazi-Szene, deren Anhänger schon am ersten Verhandlungstag nach Jena gereist waren. Es ist eine Mischung aus Mitgliedern und Machern der extrem rechten Kampfsportszene um das Netzwerk „Kampf der Nibelungen“, der Partei „Der Dritte Weg“, der Rocker-Gruppierung „Ghost Gang MC“ aus Nordrhein-Westfalen und Neonazis aus Eisenach wie Marvin W., die im Verfahren im „Knockout 51“-Komplex als „gesondert Beschuldigte“ geführt werden.
Mit der Anklageerhebung im Mai wurden sie aus dem Verfahren abgetrennt. Dass sie ungestört im Saal Platz nehmen dürfen, ist für Prozessbeobachter*innen unverständlich,– das gilt auch für die Mutter und Schwester von R. Sie tauchen immer wieder in der Ermittlungsakte auf, R.s Schwester soll den 3D-Drucker samt Zubehör ihres Bruders aufbewahrt haben – damit habe der heute 25-Jährige eine Maschinenpistole mit Munition herstellen wollen.
Die Mischung der Neonazis im Gerichtssaal beweist aber auch die hochgradige Verstrickung der Gruppierung, die ihr die Generalbundesanwaltschaft bereits in der Anklage attestiert. Die Strafverfolgungsbehörde kommt zu dem Schluss, besonders durch die Verbindungen des Hauptangeklagten R. sei die Gruppierung über Eisenach hinaus in Thüringen und bundesweit mit gewaltbereiten extrem rechten Kampfsportgruppen vernetzt gewesen. Dass dies nicht nur auf die Vergangenheit zutrifft, haben die angereisten Neonazis erneut unter Beweis gestellt.