Neonazi-Mammutprozess vor dem Ende

Koblenz – Rund siebeneinhalb Jahre nach einer Großrazzia der Polizei gegen Neonazis des „Aktionsbüros Mittelrhein“ (ABM) und sieben Jahre nach Prozessbeginn endet der Mammutprozess möglicherweise bald. Gestern wurden Verfahren gegen zwei führende Kader aus der braunen Szene eingestellt.

Mittwoch, 04. September 2019
Redaktion

Abgetrennt und eingestellt wurden die Verfahren wegen Geringfügigkeit gegen den Szene-Kader Sven Skoda – heute Bundesvorsitzender der neonazistischen Splitterpartei „Die Rechte“ (DR) – und Christian Häger – heute Vorsitzender der NPD-Jugend „Junge Nationalisten“ (JN). Geringfügigkeit bedeutet, dass infolge der langen Verfahrensdauer die Schuld als gering anzusehen ist, auch mit Blick auf die bereits durch den langen Prozess und durch den Vollzug der Untersuchungshaft entstandenen Belastungen. Die Verfahrenskosten trägt in beiden Fällen die Staatskasse, eine Entschädigung für die U-Haft zu Beginn des Verfahrens wird indes nicht gezahlt. Nunmehr sitzt noch ein Mann auf der Anklagebank.

Verurteilungen für einzelne Anklagepunkte

Ende Februar hatte vor dem Landgericht Koblenz die zweite Neuauflage des Prozesskomplexes gegen das von der Staatsanwaltschaft als kriminelle Vereinigung eingestufte ABM begonnen. (bnr.de berichtete) Nach Verzögerungen zu Beginn zeichnete sich nach einigen Wochen ab, dass die Kammer bemüht war, Verfahren abzutrennen und Angeklagte für einzelne Anklagepunkte zu verurteilen oder sie mangels Schuld freizusprechen. Hinzu kamen etwa Einstellungen aus unterschiedlichen Gründen und ein Todesfall. (bnr.de berichtete)

Eine am Prozess beteiligte Anwältin teilte gestern mit, dass das Verfahren gegen ihren Mandanten und einen Mitangeklagten am frühen Nachmittag eingestellt worden sei. Ihr Mandant, Skoda, schrieb kurz darauf in einer Nachricht an die „Kameraden“, dass auch das Verfahren gegen seinen Mitangeklagten Häger eingestellt worden sei. Skoda behauptete in der Nachricht, die unterdessen in Szenekreisen als Kopie vielfach weiterverbreitet wird, zudem, der Vorwurf der kriminellen Vereinigung inklusive der Großrazzia sei als „ein Angriff auf politisch arbeitende Strukturen“ gedacht gewesen.

Immense Verfahrensverzögerungen seit Herbst 2012

Hätte das Gericht die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bezüglich der kriminellen Vereinigung bestätigt, wäre dies laut Skoda „eine Blaupause“ geworden um Neonazi-Gruppen und -aktivisten allerorten „trocken zu legen“. Nun sei der Prozess „eine Blaupause dafür geworden wie das nicht funktioniert!“ Eine „hartnäckige Gruppe Männer aus dem Rheinland“ und deren Anwälte hätten für diesen Erfolg jahrelang streiten müssen, schreibt Skoda in seiner bnr.de vorliegenden Rundnachricht voller Pathos weiter.

Tatsächlich war die Anklage als kriminelle Vereinigung durch die Staatsanwaltschaft von Beginn an nicht nur durch die Angeklagten, deren Umfeld und den Anwälten kritisiert worden. Das Großverfahren gegen zuerst 26 Angeklagte mit überwiegend jeweils zwei Strafverteidigern galt als schwer durchführbar. Durch das teils provokative Verhalten und überwiegende Schweigen der Angeklagten sowie den zahlreichen Anträgen der Verteidiger – darunter etliche, die als „Szene-Anwälte“ gelten – kam es zum Teil seit Herbst 2012 zu immensen Verzögerungen in dem Verfahren.

Beleg für kriminelle Vereinigung nicht erbracht

Letztlich wurden über die Jahre zwar Einzeltaten mancher Angeklagter geahndet, einen Beleg dafür, dass das ABM eine kriminelle Vereinigung war, indes nicht erbracht. Anfangs war das „Aktionsbüro Mittelrhein“ im nördlichen Rheinland-Pfalz ein Zusammenschluss der einer „Kameradschaft“ glich. Später entwickelte das ABM sich zu einer überregionalen Vernetzungsplattform, der Quasi-Sitz war ein Haus in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Unterschiedliche Vertreter militanter „Kameradschaften“ aus dem Rheinland waren laut Anklage involviert. Von der Großrazzia im März 2012 waren Neonazis betroffen die überwiegend im nördlich Rheinland-Pfalz und im südwestlichen Nordrhein-Westfalen lebten. (mik)

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