Neonazi-Event bei der „singenden Wirtin“
Im Emsland feiern Rechtsrocker und ehemalige „Blood&Honour-Aktivisten“ mit „Lunikoff“ in geschlossener Gesellschaft.
Eigentlich leben in der kleinen Ortschaft Groß Berßen im Emsland „alles ordentliche Leute“. „Wir haben hier die CDU“, sagt einer. Die Anwohner, viele Landwirte, sind stolz auf ihr Dorf. Am 10. Oktober stören zwei Veranstaltungen die gemächliche Abendruhe. In der Gaststätte „Zur singenden Wirtin“ hängt ein Schild mit der Aufschrift „Geschlossene Gesellschaft“ vor der Tür – dort feiern Neonazis ein Konzert mit dem Berliner Rechtsrocker „Lunikoff“, ehemals Sänger der verbotenen, kriminellen Band „Landser“. Nur wenige hundert Meter weiter protestieren rund 100 überwiegend junge Leute dagegen. Sie ziehen in einem Protestzug durch den Ortskern und haben kurzfristig noch ein Konzert mit einer regionalen Punk-Band auf die Beine gestellt. Bekannt wurde die Feier mit dem Kultstar der extrem rechten Szene nicht etwa durch die Behörden, sondern über eine Pressemitteilung der Nazigegner-Kampagne: „Keinen Platz für Nazis – in Lingen und anderswo“.
Auffällig viele große Traktoren donnern am Gasthof vorbei. Draußen stehen einige Neonazis und trinken Haake Beck-Pils. Der Hildesheimer Neonazi Dieter Riefling eilt zum Fahrzeug des Liedermachers „Lokis Horden“ aus dem Harz. Kai Rolf Müller, wie er mit richtigem Namen heißt, trägt eine Lederkutte mit einem Thorshammer und viel Schmuck. Nur kurz ist Daniel Giese aus Meppen, bekannt als Sänger des „Dönerkiller“-Liedes von „Gigi & braunen Stadtmusikanten“ in der Tür zu sehen. Er und sein Kompagnon Jens Hessler, einst wichtiger Händler im „Blood&Honour“-Netzwerk scheinen alte Kontakte aufgefrischt zu haben. Auch Nils Larisch aus Leipzig, NPD-Kandidat und Nutzer eines Neonazi-Zentrums, ist angereist. Larisch ist ebenso wie andere Gäste kein unbescholtenes Blatt, er gilt nachweislich als „Gewalttäter Sport“ und hatte auch bereits mit der Justiz zu tun.
„Flaschen und Fäuste, das ist das was uns gefällt“
Eine illustre braune Gesellschaft, die die Einheimischen allerdings anscheinend mehr neugierig macht als empört. Zahlreiche Autos fahren im Schneckentempo vorbei, einige ältere Pärchen haben sich sogar aufs Fahrrad geschwungen, um kurz zu gucken, „was da so los ist“. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort. Vertreter des Staatsschutzes haben sich auf einem gegenüber liegendem Hof positioniert. Einer empört sich kurz über das Presseaufgebot. Auch drei Landwirte haben sich ganz nach vorne gewagt, sie berichten davon, dass Inhaberin Petra G. das Haus verkaufen wolle. Einer flüstert, es habe sogar einen Bordellbetrieb im Haus der „singenden Wirtin“ gegeben, dann seien ausländische Arbeiter aus den Hähnchenmastbetrieben dort untergekommen. „Ha!“, dann hat einer der Groß Berßener eine Idee: „Die machen das hier nur, um den Preis der Immobilie hochzutreiben“, berichtet er. Die anderen nicken wissend.
Durch die offene Tür ist zu sehen, dass die Rechten selber ausschenken und munter am Tresen plaudern. Immer wieder tragen welche CDs hinaus. Einer bringt Kartons ins Haus. Vor sechs Jahren habe es schon mal ein Neonazi-Konzert im Ort gegeben, daran erinnert sich ein Anwohner ganz genau. Davon, dass auch mal die NPD bei der „singenden Wirtin“ tagte, will jedoch keiner wissen. Dabei stammt der Organisator des „Lunikoff“-Events in Groß Berßen, Tobias Richter, aus dem Nachbarort Haselünne. Als Direktkandidat der NPD für die Bundestagswahl erzielte der Mann für den Wahlkreis Mittelems ein schlechtes Ergebnis. Bei Facebook schreibt Richter : „Flaschen und Fäuste, das ist das was uns gefällt. Die Welt gegen uns und wir gegen die Welt!“
80 Teilnehmer bei der „Privatfeier“
Eine verängstigte Frau pfeift ihren Mann zurück, der sich bis vor das Lokal mit der unheimlichen Klientel gewagt hat. Ein fetter Kampfhund mit kurzen Beinen jault, bis ihn junge Frauen streicheln. Die Polizei kontrolliert an den Zufahrtstraßen zum Ort. Für das Geschehen in der Gaststätte scheinen sie sich nur wenig zu interessieren. Dabei sind einige wichtige Aktivisten und ehemalige Drahtzieher der im Jahr 2000 verbotenen militanten „Blood&Honour“-Organisation vor Ort. Sicherlich ist die scheinbar ausgewählte Konstellation der Feier kein Zufall. Doch offiziell ist vonseiten der Behörden nur von einer „Privatfeier“ die Rede. Erst spricht die Polizei von 10 bis 15 Teilnehmern, korrigiert sich aber später auf mindestens 80 Rechtsextremisten.
Ab 20.00 Uhr beginnt an dem Donnerstagabend Musik aus der Konserve zu dudeln. Die Fenster des kleinen Saales sind mit Silberpapier von innen verklebt. Gemächlich bewegen sich die rauchenden Neonazis ins Gebäude. Von „Lunikoff“ alias Michael Regener aus Berlin ist bis dahin weder zu sehen noch zu hören. Die Zuständigen der Polizei geben an, er sei vor Ort gewesen.