Neonazi-Aufmarsch in Magdeburg: Neue Stärke, neues Glück
In Magdeburg demonstrierten am Samstag rund 200 Neonazis aus verschiedenen Parteien und Organisationen anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Die Polizei behinderte dabei mehrfach die Arbeit anwesender Journalist*innen. Dem Aufmarsch stellten sich hunderte Antifaschist*innen entgegen.
Es ist ein grauer Samstagmittag am Magdeburger Hauptbahnhof. Auf dem Vorplatz stehen hunderte Antifaschist*innen, die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort und hat einen kleinen Raum direkt vor dem Bahnhof für die Neonazis abgegittert, die sich hier für ihre Demonstration treffen wollen. Anlass ist der 77. Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Seit Jahren nutzen Neonazis in verschiedenen Städten die Jahrestage der Bombardierungen, um die Geschichte umzudeuten.
Doch bevor die Demonstration starten kann, steht noch ein Ortswechsel an. Um dem antifaschistischen Gegenprotest zu entgehen, formieren sich die Neonazis am Hauptbahnhof gar nicht erst. Stattdessen fahren sie mit einem der Züge in den Stadtteil Sudenburg am westlichen Rand der Stadt. Vor dem Bahnhof stellen sich die Neonazis auf. Dominiert wird das Bild vom Logo der „Neuen Stärke Partei“ (NSP), das auf Jacken, Schlauchschals, Fahnen und Transparenten prangt.
„Neue Stärke“ präsent auf Demo
Die „Neue Stärke“ war 2020 als Verein gegründet worden, nachdem sich der Neonazi Enrico Biczysko mit der Kleinstpartei Der Dritte Weg überworfen hatte. Sowohl in Farbgebung als auch beim Logo orientierte man sich allerdings stark an der bereits bestehenden Struktur, aus der man kurz zuvor ausgeschieden war. Im November 2020 folgte dann die Parteigründung in Magdeburg, bei der Bryan Kahnes aus Gera und der umtriebige Neonazi Michel Fischer zu den Bundesvorsitzenden gewählt wurden.
Fischer ist es am Samstag vor dem Sudenburger Bahnhof auch, der die Ordner einweist und beim losmarschieren darauf achtet, dass alle Teilnehmenden in Reih und Glied laufen. Angeführt wird der sogenannte Trauermarsch vom Block der „NSP“. Es folgen die „Jungen Nationalisten“, bei denen sich die verspätet auftauchenden Mitglieder der neonazistischen Bruderschaft „Brigade 8“ vom Chapter Mittel/Elbe und „Wolfsschar“ aus Brandenburg einreihen. Den letzten Block stellt die Partei Die Rechte, deren Mitglieder unter anderem aus Braunschweig angereist sind.
Gegenproteste erschwert
Quälend langsam bewegen sich die 200 Neonazis zum Klang blecherner Musik entlang der Bahnschienen, vorbei am Landgericht bis zum Südfriedhof. Der Gegenprotest hat es in der Zwischenzeit auch in die Nähe geschafft und wird von der Polizei konsequent in großer Distanz zum Neonazi-Aufmarsch gehalten. So konsequent, dass einem der Gegenprotestierenden dabei offensichtlich die Nase gebrochen wird.
Er berichtet gegenüber ENDSTATION RECHTS. davon, dass die Polizei ihn und eine Gruppe Antifaschist*innen eine Straße neben der Neonazi-Route entlang geschubst habe. Als eine Person dabei fast zu Boden gegangen sei, habe er sich umgedreht, um sich bei den Beamten zu beschweren und habe im gleichen Moment schon einen Faustschlag ins Gesicht bekommen. Die Schläge hätten erst aufgehört, als er zu Boden gegangen sei. Anschließend seien die Personalien des Betroffenen aufgenommen worden, er müsse mit einer Anzeige rechnen.
Umsturzfantasien
Auf einem Parkplatz zwischen Schrebergärten und Industriebrache finden sich die Neonazis zu ihrer Zwischenkundgebung ein. Sie stellen sich in zwei langen Reihen mit Blick zueinander auf, es werden Fackeln entzündet. Michel Fischer weist weiterhin die „Kameraden“ an, gerade zu stehen, doch die ersten verlassen die stramme Ordnung, um sich im Gebüsch zu erleichtern.
Die im Schein der Fackeln vorgetragenen Reden strotzen vor Nationalismus, Geschichtsrevisionismus und Umsturzfantasien. Ein Redner der NSP aus Rheinhessen spricht in Bezug auf die alliierten Luftangriffe von einem „singulären Kriegsverbrechen“. Ein Redner aus Gera scheint sich bereits auf eine Zeit zu freuen, zu der wieder eine „andere Fahne über dem Reichstag“ wehen würde. Der Redner der JN benutzt direkt den geschichtsrevisionistischen und holocaustrelativierenden Begriff des „Bombenholocaust“ und macht aus seiner Gesinnung keinen Hehl.
Dokumentation nur bedingt möglich
Dass sich nur erahnen lässt, wer auf der Kundgebung gerade redet, liegt an dem Umstand, dass die Polizei Journalist*innen während der gesamten Zeit verbietet, innerhalb des Polizeispaliers zu arbeiten. Dies führt gerade während der Kundgebungen zu deutlich erschwerter Dokumentation.
Nach Abschluss der Zwischenkundgebung zieht der Aufmarsch weiter durch die dunklen Straßen Magdeburgs, bevor er schließlich mit einer Abschlusskundgebung endet. Im Vergleich zum Vorjahr konnten die Neonazis die Teilnehmendenzahl verdoppeln, was auch auf die Mobilisierung durch die „Neue Stärke“ zurückzuführen sein dürfte.
Was wie in den Vorjahren unverändert blieb, ist das Handeln der Polizei rund um die Magdeburger „Trauermärsche“: Ein Umverlegen der Neonazi-Route, um Gegenprotest zu entgehen. „ Es überrascht nicht, sondern ist gängige Verfahrensweise in Magdeburg. Leider können sich Nazis auf eine Versammlungsbehörde und Polizeistrategie verlassen, die es ihnen trotz Blockaden und Protest immer wieder ermöglichen, ihre Inszenierung durchzuziehen“, resümierte Henriette Quade, Sprecherin für Strategien gegen Rechts der Linksfraktion im Landtag Sachsen-Anhalt, gegenüber ENDSTATION RECHTS.