Neue Rechte

„Nationaler Block“: Die Neue Rechte sieht in Ungarn ein Vorbild

Die „illiberale Demokratie“ in Orbáns Ungarn fasziniert auch und gerade die Neue Rechte. In einem neuen Band des „Jungeuropa-Verlags“ werden die dafür nötigen Strategien vorgestellt. Sie sollen offenbar in den liberalen Demokratien ebenfalls Praxis werden, um auch dort eine immer autoritärer werdenden politische Ordnung zu etablieren.

Freitag, 01. März 2024
Armin Pfahl-Traughber
Die Politik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gilt für die Neue Rechten als nachahmenswerter Weg, Foto: World Economic Forum, CC BY NC SA 2.0
Die Politik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gilt für die Neue Rechten als nachahmenswerter Weg, Foto: World Economic Forum, CC BY NC SA 2.0

Nicht mehr in Hitler und Mussolini sehen neuere Rechtsextremisten ihre politischen Vorbilder, sind es doch eher Orbán und Trump. Diese demontieren die Demokratie über die Institutionen von innen heraus, nicht von außen in Form eines Umsturzes. Gerade für die Intellektuellen der Neuen Rechten gilt daher auch Orbáns Ungarn als nachahmenswerter Weg. Genau diese Auffassung motivierte auch den Jungeuropa-Verlag dazu, Marton Bekes‘ Buch „Nationaler Block. Das System der nationalen Zusammenarbeit“ in deutscher Sprache zu veröffentlichen.

Der Autor ist nicht nur Forschungsdirektor der bedeutsamen Gedenkstätte „Haus des Terrors“ in Ungarn, er publiziert auch immer wieder in den zur europäischen Neuen Rechten gehörenden Periodika. Demnach gibt es nicht nur ideologische Nähen, sondern auch Übereinstimmungen. In dem erwähnten Band beschreibt Bekes die ungarische Entwicklung in den letzten Jahrzehnten, während der eine „illiberale Demokratie“ durch die Orbán-Regierung als neuartiges politisches System etabliert wurde.

Dualistische Blickrichtung: Kommunitarismus vs. Universalismus

Ausgangspunkt der Betrachtungen ist eine dualistische Deutung, die sich durch das ganze Buch zieht und zwei politische Linien miteinander konfrontiert: eine „kommunitarische“ und „lokalistische“ wird einer „individualistischen“ und „universalistischen“ Richtung gegenüber gestellt. Anders formuliert: Es geht um den postulierten Gegensatz von Kollektivismus und Nationalstaat gegen Globalisierung und Internationalismus. Dabei ist das Böse die „globale Elite“ und das Gute das „einfache Volk“. Man wolle sich nicht von der Europäischen Union regieren lassen, souverän solle Ungarn sein. Diese Ausrichtung erkläre auch Orbáns elektorale Zustimmung.

Indessen war diese nach Bekes die Folge bestimmter strategischer Handlungen, die bereits früh eine kulturelle Hegemonie angestrebt hätten, womit dann eine politische Hegemonie möglich gewesen sei. Damit kommt direkt und nicht nur indirekt Gramsci ins Spiel. Denn auch hier wird für das konkrete Agieren der italienische Marxist - wie für die Neue Rechte typisch - für eine rechte Strategie umgedeutet.

Bildung eines „nationalen Blocks“ als Ziel

Bilanzierend heißt es abschließend, „dass das herrschende Parteiensystem in Ungarn seine eigene soziale Basis und seine eigene Leitidee hat, die in seinem Fall der Nationalkonservatismus ist. Hinter den Regierungsparteien … hat sich ein breites Wählerbündnis, ein nationaler Block, gebildet. Mit diesem beispiellosen Mandat wird das regierende Parteienbündnis in der Lage sein, mit den wirtschaftlichen und kulturellen Mitteln der nationalen Integration ‚ein System von Klassenbündnissen zu schaffen‘ (Gramsci)“. Demnach hätte man sich auch, bezogen auf die Bündnispolitik, an Gramsci orientiert.

Er ist offenbar Orbán durchaus bekannt, worauf Benedikt Kaiser in seinem Vorwort anhand eines Zitats verweist. Der regelmäßige Autor der „Sezession“, die für die Neue Rechte als „Theorieorgan“ gelten kann, versucht immer wieder Gramsci für die strategische Neuorientierung des eigenen politischen Spektrums heranzuziehen. Dessen Bedeutung wird ebenfalls von Bekes und nicht nur von Kaiser immer wieder mit Zitaten betont.

Autokratie als Potentialität in Ungarn

Indessen erklärt sich nicht allein durch Bündnis- und Hegemoniepolitik, dass Orbán mehrheitlich Wähler für sich mobilisieren kann. Denn eine Autoritarismuswelle durchzieht das Land, was zur gemeinten „illiberalen Demokratie“ in Ungarn führte. Bei Bekes sind die Eingriffe in die Justizunabhängigkeit oder Medienfreiheit bezeichnenderweise kein Thema. Denn nur angesichts damit einhergehender Entwicklungen konnte längerfristig eine Massenakzeptanz von Orbán erreicht werden, die Manipulationen im Wahlsystem bildeten dafür wichtige Voraussetzungen.

Darüber informiert ein neuer politikwissenschaftlicher Band, der schlicht mit „Das politische System Ungarns“ überschrieben ist. Er liefert sowohl eine Einführung wie eine Problembeschreibung. Geschrieben haben ihn Melani Barlai, Florian Hartleb und Dániel Mikecz (Nomos-Verlag, Baden-Baden 2023). Ganz am Ende nennen sie neun Merkmale, die autokratische Elemente in politischen Systemen messen sollen. In acht Fällen lassen sie sich für Orbáns Ungarn veranschaulichen.

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