Nach der mündlichen Verhandlung im NPD-Verbotsverfahren - Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen

Die Aufgabe, vor der der Bundesrat und seine Bevollmächtigten standen, dürften sich schwieriger als erwartet dargestellt haben. Die Stimmung in der Bevölkerung für ein Verbot könnte in der Debatte so manche Warnung, gerade aus der Forschung, überlagert haben. Es darf nicht vergessen werden, dass es wegen der fehlenden Anwendung des Parteienverbots seit dem Urteil gegen die KPD 1956 keine Leitplanken für die beiden Wissenschaftler gab. Dort, wo das Verfassungsgericht aus dem gescheiterten Verfahren 2003 Vorgaben benannte, wurden diese solide erfüllt.
Problematischer war dagegen, dass die Antragssteller die Kriterien für ein Verbot vergleichsweise niedrig ansetzten; vielleicht zu niedrig für ein Verbot einer Partei im Jahr 2016. Eventuell gab auch die Beweislage nicht mehr her. Wenn die desolate NPD Bayern als Beleg dafür herhalten musste, dass die Partei auch außerhalb ihrer Hochburgen in den östlichen Bundesländern Einfluss ausübe, sagt das viel über die Dicke der Eisschicht aus, auf der eine Gefahrenlage erstellt werden musste. Auch das Bild der „Dominanzzonen“ wurde in den drei Tagen an einigen Ecken geschliffen.
Die Diskrepanz zwischen den Aussagen in den Verfassungsschutzberichten und der wahrscheinlich für ein Verbot benötigten Beeinträchtigung demokratischer Prozesse musste geradezu ins Auge springen. Das Kriterium der Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus, auf dem im Vorfeld viele Hoffnungen lagen, verlor im Laufe der mündlichen Verhandlung hingegen an Gewicht. Christoph Möllers, einer der beiden Prozessbevollmächtigten, musste mehrfach benennen, wo er im ideologischen Bereich die Grenze ziehen würde und „verwandte“ Politikvorstellungen aufzeigen, die aus seiner Sicht nicht verbotswürdig seien.
Die Verfassungsrichter sendeten mehrfach die Hinweise aus, dass Parteienverbote absolute Ausnahmen bleiben müssen. Deshalb dürfte es der Antragstellerseite nicht geschadet haben, dass Kritiker eines solchen Eingriffs einbezogen wurden. Möllers wurde am zweiten Verhandlungstag auf eine Passage in einem seiner Bücher angesprochen. Der Wissenschaftler hatte dort konstatiert, Parteienverbote würden einer Demokratie nicht helfen, sie bestätigten vielmehr die Verdächtigungen der Extremisten und bedeuteten eine Aufgabe demokratischer Politik. Gutachter Dierk Borstel hatte einen Tag vor Beginn der Verhandlung ebenso wie im Gericht seine eher kritische Haltung bekräftigt und eine ebenso große Leidenschaft für die Stärkung der Demokratie gefordert, wie in das Verbot gesteckt worden sei. Die Prozessbevollmächtigten des Bundesrates, Möllers und Waldhoff, machten sich sein Gutachten dennoch zu Eigen und vermieden den Eindruck, es sich zu leicht gemacht zu haben.
Konterkariert wurde dieser „Etappensieg“ durch manch oberflächliche Einbringungen der Innenminister und Verfassungsschützer. Die Verfassungsrichter waren erst mit Lorenz Caffier, Ressortchef in Mecklenburg-Vorpommern, und dem sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath „zufrieden“, als sie zusagten, die Auswahl der Fraktionsmitarbeiter aus der Neonazi-Szene und die verdeckte Beteiligung von Kadern an Anti-Asyl-Demonstrationen zu belegen. „Warum nicht gleich so?“, schickte in einem Fall ein Verfassungsrichter trotzig hinterher.
Keinen Mehrwert hatte die Bestellung des Politologen Eckhard Jesse zum sachkundigen Dritten im Rahmen des Verfahrens. Er unterschied sehr strikt zwischen NPD und ihrem Umfeld. Seinen Ausführungen wurde deutlich widersprochen. Möllers wirkte nach Ende der mündlichen Verhandlung erleichtert. Es dürfte zunächst seine Aufgabe gewesen sein, den Bundesrat als alleinigen Antragsteller nicht zu beschädigen und das Verfahren am Leben zu erhalten. Dass es das noch ist und keine Tendenz des Gerichts in Richtung Ablehnung zu erkennen ist, kann deshalb auch als Erfolg der Bevollmächtigten gesehen werden.