Intensivtäter
München: Ein Jahr und elf Monate Haft für rechtsextremen Intensivtäter
Am Amtsgericht München wurde am Mittwoch eine ganze Straftatenserie des 24-jährigen Rechtsextremisten Luis T. strafrechtlich aufgearbeitet. Am Ende stand eine fast zweijährige Haftstrafe ohne Bewährung. Der Täter zeigte in der Gerichtsverhandlung den Hitlergruß, bedrohte die Richterin mit dem Tod und musste mehrfach ausgeschlossen werden. Wegen Fluchtgefahr wurde Haftbefehl erlassen. Bei dem Täter handelt es sich auch um den mutmaßlichen Angreifer auf einen Reporter des Bayerischen Rundfunks.

Keine einfache Verhandlung gestern am Amtsgericht München für Richterin Laura Fischer und Staatsanwaltschaft David Nossen. Das lag zum einen an der Fülle der Anklagen. Insgesamt waren zwölf Tatkomplexe zu ahnden, die ihrerseits wiederum aus zahlreichen einzelnen Straftaten, meist öffentlichen Beleidigungen in Kombination mit verbotenen Zeichen, Parolen und Volksverhetzung standen. Begangen hatte sie der Rechtsextreme in einem Zeitraum von nur etwa vier Monaten, alle zwischen dem 27. Dezember 2021 und dem 6. April 2022.
Richterin gehöre „eingesperrt und erschossen“
Zum anderen störte der Angeklagte massiv die Hauptverhandlung, teilweise im Stile von Reichsbürgern. Zuerst wollte er, dass die anwesenden Journalisten entfernt werden und fragte mehrfach die Richterin nach ihrer „Legitimation“. Schon bei der Frage nach den Personalien erhielt er die erste von noch zahlreichen weiteren „letzten Warnungen“ durchs Gericht. Die umfangreiche Verlesung der Anklage kommentierte er noch hämisch. Bereits den ersten Zeugen, einen Polizeibeamten, titulierte er als „Söldner“, dem „die BRD-Flagge wohl lieber“ sei als die Reichsfahne. Wenig später war dann auch die Geduld der Richterin erschöpft und der Angeklagte erhielt das erste Ordnungsgeld in Höhe von 200 Euro. Im Laufe der Verhandlungen kamen dann erneut 200 Euro und später noch 300 Euro hinzu.
Als im Plädoyer des Staatsanwalts erkennbar wurde, dass die Forderung auf eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung hinauslaufen würde, störte der Angeklagte dermaßen den Fortgang, dass er von der Richterin des Saals verwiesen wurde, worauf er den Hitlergruß zeigte sowie „Heil Hitler“ skandierte, bevor die Justizbeamten ihn fesseln und abführen konnten. Als er zum letzten Wort vor dem Urteil zurückgebracht wurde, warf er dem Staatsanwalt vor, er betreibe „Kollaboration mit dem Feind“, was „Hochverrat“ sei. Danach bedrohte er die Richterin, für ihn eine „Freimaurerin“, sie gehöre „eingesperrt und erschossen“. Das führt zu seinem zweiten Ausschluss aus der Verhandlung. Schon vorher hatte er von „ausräuchern“ gesprochen und am 15. April gehe „für euch“ – gemeint war wohl die Staatsgewalt allgemein – „das Licht aus“.
Rassistische Grundhaltung
Das Verhalten vor Gericht passte nahtlos zu den Anklagepunkten. Am 27. Dezember 2021 hatte er in der Münchner Innenstadt bei einer nicht angemeldeten Versammlung Beamte einer Polizeikette provoziert, die das zunächst noch hinnahmen, etwa auch provozierendes Husten aus nächster Nähe in ihre Richtung. Auch ein Beamter mit dunkler Hautfarbe, dem Luis T. die rassistische Frage entgegenwarf, ob „er denn gerade mit dem Boot gekommen sei“, reagiert darauf zunächst nicht. Im Laufe des Abends beleidigte Luis T. den Polizisten noch mit dem N-Wort und verweigerte aus rassistischen Gründen die Befragung durch den Beamten, weil er „nur mit Deutschen“ reden würde.
Das Muster zeigte sich auch bei anderen Vorfällen. Einem Polizisten mit polnischen Vorfahren rief er zu, dieser hätte damals vergast gehört, entsprechendes mussten sich auch die drei Mitarbeiter der U-Bahnwache – vorher von ihm als „Kanaken“ beleidigt - anhören, die Luis T. wegen fehlender Maske am 6. März 2022 am Sendlinger Tor kontrollierten. Gegenüber einer Beamtin mit britischen Vorfahren bedauerte er, dass „Hitler England nicht komplett zerbombt“ hätte. Die Äußerungen wurden jeweils als Volksverhetzung angeklagt. Am Sendlinger Tor verstieß er zu dem Zeitpunkt auch gegen ein partielles Hausverbot, ausgesprochen von den Stadtwerken.
Reichsbürger und Nationalsozialist
Am gravierendsten wirkte sich auf das Strafmaß ein versuchter Schlag mit der flachen Hand gegen einen Polizeibeamten aus, der der „Ohrfeige“ jedoch ausweichen konnte. Die hierfür von der Staatsanwaltschaft angesetzten ein Jahr und drei Monate Haft bildeten die Basis für die gebildete Gesamtstrafe. Der Vorfall ereignete sich am 2. März im Zuge einer Kontrolle am Rande der Lichterkette der Querdenker-Szene in der Münchner Ludwigstraße. Luis T. war hier mit einer Flagge des deutschen Kaiserreichs aufgefallen, die per Auflage verboten war. Auf die Ansprache durch die Polizei reagierte er zudem mit Hitlergrüßen und lautem „Heil Hitler“. Statt des Personalausweises zeigte er hier einen Reichsbürgerausweis vor, zur Feststellung der Identität diente hier die Krankenversicherungskarte.
Die Beamten wurde als Linksextremisten tituliert, homophob und behindertenfeindlich beleidigt, sie seien Abschaum, „BRD-Polizei“ und „Vaterlandverräter“. Ein normales Gespräch sei in den zwei bis drei Stunden, in denen sich Luis T. in der Maßnahme befand, nicht möglich gewesen, so ein vernommener Polizeimeister. Es sei nicht gelungen, ihn zu beruhigen. Lediglich auf die Aufforderung, das über das Smartphone laut gespielte Horst-Wessel-Lied zu beenden, habe er reagiert. Nach dem versuchten Schlag blieb er zur Eigensicherung längere Zeit gefesselt. Der Beamte wurde hier wegen Krankheit nicht vernommen, auf die Begutachtung der Videoaufnahme des Beweissicherungstrupps konnte verzichtete werden, weil die Tat wie alle anderen Anklagepunkte durch den Rechtsextremen eingeräumt worden waren.
In der Verhandlung bekräftigte Luis T. zudem die Aussage, „unter Hitler“ sei „alles besser gewesen“. Wegen einer seltsamen Flagge, dieses Mal soll es eine Reichskriegsflagge gewesen sein, wurde er auch am 6. April 2022 von Beamten angesprochen, die am US-Konsulat für den Objektschutz eingesetzt waren. Hier stellte er, wie auch sonst häufig, die Legitimation der Beamten in Frage und wollte deren „Reichspass“ sehen. Anderen Beamten kündigte er an, bald werde die „BRD beseitigt“ sein und dann reagiere wieder das „richtige Deutschland“.
Nicht mal alles kam zur Anklage
Beim Vorfall am Rindermarkt führte schließlich ein durch Luis T. gezeigter Mittelfinger nach Auflösung der Versammlung zum Zugriff der Beamten. Auf die Maßnahme, wie auf viele noch folgende Kontakte mit der Polizei reagierte er fortlaufend mit allgemeinen Beleidigungen wie „Wichser“ oder „Pisser“. Eine homophobe Beleidigung in Richtung Innenminister Herrmann wurde wohl gar nicht erst verfolgt. Im Plädoyer gab der Staatsanwalt an, nur einige gewichtige Vergehen von T. zu verfolgen, weil sonst die Gerichte wohl überlastet wären. Andere Verfahren wurde ihm Hinblick auf die zu erwartende Strafe im gestrigen Verfahrenskomplex eingestellt. Ordnungswidrigkeiten schon gar nicht mehr verfolgt.
Der vernommene Beamte, der T. nach der eskalierten Kontrolle am U-Bahnhof Sendlinger Tor von der dortigen Wache übernahm, berichtete von einer Vielzahl an „Heil Hitler“-Ausrufen und Hitlergrüßen, sobald die Handfessel gelöst worden war. Noch in der Zelle soll er das verbotene Horst-Wessel-Lied angestimmt haben. Und es fiel wohl die Aussage, die Beamten hätten man unter Hitler an die Wand gestellt, bei anderen Vorfällen wünschte er sich die Beamten vor ein Kriegsgericht. Beim Vorfall am Sendlinger Tor wurde unter Protest von Luis T. eine mögliche Enthemmung durch Alkohol angenommen, wobei die Steuerungsfähigkeit nie in Abrede stand.
Z-Symbol
Am 6. April soll er am Landtag beleidigend gegenüber Abgeordneten aufgefallen sein, weshalb er einer Kontrolle unterzogen wurde. Dabei fanden die Beamten Aufkleber mit dem „Z“-Symbol, wie es wohl auch in der russischen Propaganda zur Glorifizierung des Angriffskrieges genutzt wird. Der Rechtsextreme gab an, diese in der Innenstadt verteilt zu haben, Aufkleberreste hätten zudem auf die konkrete Verwendung hingedeutet. Obwohl das vom Strafmaß kaum ins Gewicht fiel, bestand die Staatsanwaltschaft darauf, den Vorfall auch wegen der zeitlichen Nähe zum am 24. Februar begonnenen Angriffskriegs zu ahnden.
T. versuchte hier den Umstand in Abrede zu stellen, es gäbe keinen Angriffskrieg und „die Bundeswehr“ hätte „angegriffen“. Gegenüber den Beamten äußerte sich der Angeklagte damals dem Gesamteindruck nach stark verschwörungsideologisch.
Asyl in Österreich
Luis T. brachte zudem drei rechtskräftige Vorstrafen mit, zwei davon einschlägig. Auch bei den vorherigen Verurteilungen wurden schon mehrere Komplexe zusammengefasst, was zu hohen Geldstrafen von 90, 150 und 210 Tagessätzen geführt hatte. Zusammen mit dem an den Tag gelegten Verhalten war eine günstige Sozialprognose so gut wie ausgeschlossen, obwohl es sonst unüblich ist, so der Staatsanwalt, die erste Freiheitsstrafe auch zu vollstrecken und nicht mehr zur Bewährung auszusetzen. Dem folgte auch die Richterin, reduzierte das Strafmaß von den geforderten zwei Jahren um einen Monat. Die Pflichtverteidigerin hatte hier nur auf Bewährung plädiert.
Weil der Angeklagte, der sich wegen seiner Meinung verfolgt fühlt, ankündigte, er werde zur „österreichischen Botschaft gehen und Asyl beantragen“, nahmen Staatsanwaltschaft und Richterin eine nicht ganz unbegründete Fluchtgefahr an, was in einen Haftbefehl mündete. Luis T. hatte durch sein ganzes Verhalten deutlich gemacht, dass er die staatliche Gewalt nicht anerkannt und hatte sich schon vorher Gerichtsterminen entzogen.
Zunehmende Radikalisierung und Angriff auf Reporter
Mit der gestrigen Verhandlung konnten nicht alle Anklagen abgearbeitet werden. Bei dem Verurteilten handelt es sich auch um die Person, die am Marienplatz einen Reporter der Bayerischen Rundfunks mehrfach angegriffen und geschlagen haben soll. Trotz der Vorgeschichte und zu beobachtenden Radikalisierung hatten die damals eingesetzten Polizeibeamten die Bedrohung durch Luis T. nicht ernst genommen und nur einen Platzverweis verhängt, die mit Ende der damaligen öffentlichen Pressekonferenz dann auch wieder aufgehoben wurde.Danach erfolgten bekanntlich die Angriffe auf den Reporter. Luis T. durfte mit der Vorgeschichte, die gestern in ihrer ganzen Tragweite ans Licht kam, als „polizeibekannt gelten“.
Auch politisch hatte sich der Verurteilte zunehmend radikalisiert. Zunächst war er in der Münchner JU aktiv, nach abfälligen Bemerkungen über Angela Merkel und „München ist bunt“ zog es ihn in die Nähe der AfD. Er war dort mehrfach auf Veranstaltungen und posierte mit dem Spitzenpersonal der Partei. In Greding beim dortigen Treffen des Flügels marschierte er mit Fahne ein. Zudem war er häufig auf verschwörungsideologischen Versammlungen und öffentlichen AfD-Veranstaltungen zu sehen. Mitglied soll er aber nicht sein.