„Mosaik-Rechte“: Die AfD als Jobmotor für das „Vorfeld“
Immer wieder sorgen Beschäftigungsverhältnisse zwischen der AfD bzw. ihren Mandats- und Funktionsträgern sowie Aktivisten aus dem extrem rechten Spektrum für Schlagzeilen. Jüngstes Beispiel: Der „Identitäre“ Jonas Schick arbeitet für einen AfD-Bundestagsabgeordneten. Die Unvereinbarkeitsliste spielt dabei keine Rolle.

Erst vor wenigen Tagen berichtete die „taz“, dass der Bundestagsabgeordnete René Springer Jonas Schick beschäftige. Schick kommt aus der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ (IB). Wie so viele aus dem Umfeld der IB sind die sich einst hip gebenden Rechtsextremisten nun zum intellektuellen Nachwuchs herangewachsen. Man orientiert sich an der Neuen Rechten, einer Form des intellektuellen Rechtsextremismus. Schick gibt die neurechte Zeitschrift „Die Kehre“ heraus und schreibt für die rechtsextreme Zeitschrift „Sezession“ von Götz Kubitschek.
Springer äußerte sich laut „taz“ auf Anfrage nicht dazu, ob er vor der Einstellung von Schick von dessen „identitären“ Werdegang wusste. Eingestellt habe er Schick laut „taz“, gerade weil ihn „Die Kehre“ beeindruckt habe. Er, der Bundestagsabgeordnete Springer, schätze demnach Schicks „Intellektualität und seine Haltung in politischen Fragen“. Dessen Publikation beziehe er selbst im Abo, und zwar, „um das Vorfeld zu stärken“.
Mit der „Mosaik-Rechten“ durch die Institutionen
Das „Vorfeld“ spielt in der AfD eine immer größere Rolle. Es orientiert sich inhaltlich an der sogenannten Mosaik-Rechten. Der Begriff beschreibt ein informelles neurechtes, völkisches und „identitäres“ Netzwerk mit zahlreichen Protagonisten im vorpolitischen und parlamentarischen Raum. Der Begriff geht auf einen Beitrag in der „Sezession“ zurück. Auf dem Bundesparteitag der AfD-Jugend „Junge Alternative“ (JA) im Oktober 2022 waren Mosaik, Vorfeld und vorpolitischer Raum Container-Worte für das Zusammenwirken von AfD, JA und Rechtsextremen.
Meint: Unter Einbindung junger Kräfte soll strategisch peu à peu ein rechter Marsch durch die Institutionen stattfinden. Der heutige neurechte Aktivist und Vordenker Benedikt Kaiser beschrieb das Konzept 2017 im Theorieorgan „Sezession“: „Es hat einen eigenen, sowohl persönlichen als auch strategischen Sinn, wenn einzelne Kader einer Jugendbewegung ins Parlament wechseln, um dort die ehedem rein metapolitischen Belange ihres Milieus in realpolitische Töne zu übertragen. In diesem Fall kommt es aber wohl entscheidend darauf an, daß von der Tonlage her kein vollständiger Wechsel aus einer Bewegung in eine Partei vollzogen wird […].“
Luxemburgs Stand- und Spielbein
Kaiser stellte in dem Beitrag ebenso fest: „Ein tatsächliches Ineinandergreifen parlamentarischer und außerparlamentarischer Akteure müßte anerkennen, daß Parlament und Bewegung sich wie ‚Standbein und Spielbein‘ (Rosa Luxemburg) ergänzen, daß sich […] eine ‚kämpfende‘ und eine (künftig) ‚regierende‘ politische Rechte als dialektisches Paar ergänzen, gegenseitig strategisch vorantreiben und zugleich korrigieren.“
Im Mai war bekannt geworden, dass der Thüringer Abgeordnete Jürgen Pohl Kaiser eingestellt hatte. Kaiser stammt ursprünglich aus der Neonazi-Szene, war in Umfeld der „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ aktiv und wechselte dann ins „identitäre“ bzw. „neurechte“ Lager. Pohl wollte sich gegenüber der „Welt“ im Mai „nicht zu den jahrelangen Neonazi-Aktivitäten seines Mitarbeiters äußern. ‚Ich gebe grundsätzlich keine Auskunft über meine Mitarbeiter‘, teilte er mit. ‚Mitarbeiter stehen unter dem Schutz des deutschen Arbeitsrechts, das ich als Anwalt leidenschaftlich vertreten habe.‘“
Ein weiterer prominenter Vertreter der Neuen Rechten, der ebenfalls eine Anstellung bei der AfD gefunden hat, ist Felix Menzel. Der Herausgeber der „Blauen Narzisse“ ist ebenso bestens vertraut mit den Strukturen um Schnellroda und Götz Kubitschek - er arbeitet aktuell für die sächsische AfD-Landtagsfraktion, anfangs noch als Pressereferent, mittlerweile als Pressesprecher.
Unvereinbarkeitsliste ohne Unvereinbarkeit
Die IB steht auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. Faktisch können Mitglieder und Aktivisten nicht Mitglied der Partei werden. Das Schlupfloch beziehungsweise die Ausrede ist aber: Ehemalige Mitglieder jener unerwünschten Gruppen und Parteien dürfen zwar in vielen Fällen nicht Parteimitglied werden, können aber formal sowohl angestellt als auch haupt- oder freiberuflich tätig sein. Solche Personen können zudem Fraktionen und Ratsgruppen angehören, ohne formal Parteimitglied zu sein.
Ein Arbeitsverhältnis unterliegt dem arbeitsrechtlichen Persönlichkeitsschutz. Was sich im Hintergrund abspielt, muss daher jedoch nicht immer an die Öffentlichkeit dringen. Gerade aus dem neurechten und burschenschaftlichen Spektrum werden auch „Stipendien“ ausgeschrieben. Im Juni 2022 schrieb etwa ein NRW-Landtagsabgeordneter der AfD solche „für politische Nachwuchskräfte“ aus. „Zur Förderung der politischen Nachwuchskräfte unterstütze ich junge Talente […]. Es erwarten dich unter anderem: Begleitung durch erfahrene Politiker und Aktivisten[,] finanzielle Unterstützung[,] Seminare u.a. in Rhetorik und politischen Themenfeldern […] und mehr.“
Kontakte zur Führungsfigur der „Identitären“
Vor einigen Jahren wurde bekannt, dass Daniel Fiß engen Kontakt zum damaligen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe, pflegte. Fiß war Vorsitzender der „Identitären“, zuvor maßgeblich in der NPD-Jugend aktiv. Arppe trat damals wegen verschiedener Vorwürfe zurück, behielt aber sein Mandat und gründete unabhängig von der AfD ein neues Projekt. 2020 wurde bekannt, dass er als Landtagsabgeordneter Fiß beschäftigte. Aber auch auf Bundesebene hatte Fiß eine Anstellung bei der AfD gefunden: beim früheren Bundestagsabgeordneten Siegbert Droese.
Im Jahr 2022 geriet ein mehrfach vorbestrafter Gewalttäter als wissenschaftlicher Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt in die Schlagzeilen. Die „Welt“ berichtete, dass Mario Müller, ein dem Verfassungsschutz als Funktionär der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ bekannter Aktivist, bei dem AfD-Abgeordneten aus Sachsen-Anhalt „angeheuert“ habe. Müller habe sich um einen Hausausweis für den Bundestag bemüht. „Ausgerechnet einer wie er“, stellte die „Welt“ fest – und berichtete weiter, dass Müller diesen nicht erhalten habe.
„Identitären“-Feed in Nordrhein-Westfalen
Der damalige nordrhein-westfälische AfD-Landtagsabgeordnete und heutige Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp fiel vor Jahren dadurch auf, dass er keine Berührungsängste mit extrem Rechten oder Personen aus dem Umfeld der „Identitären“ hatte. Er arbeitete mit dem damaligen Chefredakteur von „Fritzfeed“, Christian S., zusammen. Die Publikation war ein Projekt für Jugendliche aus der neurechten Szene nach dem Vorbild von „Buzzfeed“. Nach einem Rechtsstreit musste es seinen Namen ändern.
Zu „Fritzfeed“ und dessen Chefredakteur hieß es 2020 in einer ausführlichen Recherche bei „netzpolitik.org“: „[S.] war zudem mehrfach für den AfD-Landtagsabgeordneten Roger Beckamp als Kameramann tätig, wie Fotos belegen.“ Das Portal zitierte zudem Burkhart Freier, 2020 noch Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz NRW: „Die Seite [‚Fritzfeed‘] ist ganz eng angebunden an die Identitäre Bewegung.“
AfD-Funktionär und „identitärer“ Verleger
Ein weiteres Beispiel aus Nordrhein-Westfalen ist Yannick Noé, langjähriger Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Leverkusen. Als Beruf gibt er „parlamentarischer Referent“ an. Bereits 2018 und 2019 wurde in Medienberichten auf seine Nähe zu den „Identitären“ hingewiesen. Die „Neue Westfälische“ berichtete im Oktober 2019: „Ahnungslos gibt sich die AfD auch angesichts der Personalie Yannick Noé, der seit Februar 2018 als persönlicher Mitarbeiter von Andreas Keith beschäftigt ist. Keith […] sagt auf Anfrage, dass Noé ‚laut eigener Aussage zu keinem Zeitpunkt Mitglied der Identitären Bewegung‘ gewesen sei.“
Dabei gab es Verbindungen zu den „Identitären“, denn Noé war seinerzeit Chefredakteur des „Arcadi“-Magazins. Der AfD-Landtagsabgeordnete Keith sagte der Zeitung, ihn störe das nicht. Wiedergegeben wurde Keith mit den Schilderungen, dass die Presselandschaft von Meinungspluralismus lebe. „Er sehe das ‚Arcadi‘-Magazin ‚als Bereicherung der Presselandschaft, gerade was das Spektrum einer jungen konservativen Leserschaft angeht‘. Das Projekt sei wegen der Pressefreiheit ‚Teil des demokratischen Diskurses‘.“ Im Landesverfassungsschutzbericht NRW für das Jahr 2018 wurde Noés Magazin und dessen Trägerverein Publicatio e.V. erwähnt.
Publizistische Scharnierfinktuion
Im Verfassungsschutzbericht NRW 2019 wurde „Arcadi“ attestiert, eine Art „flankierende publizistische Schnittstelle“ zwischen dem damaligen „Flügel“ der AfD, dem neurechten Spektrum, den völkischen Burschenschaften und den „Identitären“ zu sein. Sowohl AfD-Politiker, als auch Aktivisten und Musiker der „Identitären Bewegung“ (IB) seien interviewt worden. Noé war 2019 laut „Bento“ – maßgeblich? – an einem Label für rechtsextreme Musik beteiligt. Unklarheiten gab es dabei jedoch, wer für das Label genau zuständig war. Veröffentlicht wurde aber die Musik des „Identitären“ Rappers Chris Ares.
Anfang August berichtete die „Welt“ über eine „milde Parteistrafe“ gegen Anna Leisten, Landesvorsitzende des AfD-Jugendverbands in Brandenburg. Sie hatte zuvor unter anderem an einer Demonstration aus dem Umfeld der „Identitären Bewegung“ in Wien teilgenommen. Von den Veranstaltern war sie als Rednerin angekündigt worden: „Im Zuge der Remigrationsdemo wird Anna Leisten, Mitglied im Bundesvorstand der Jungen Alternative Deutschland, eine ausschlaggebende Rede über die Zusammenarbeit zwischen patriotischen Parteien und aktionistischer Bewegung halten.“ Leisten sagte nach Druck aus der Partei zwar die Rede ab, nahm an der Demonstration aber dennoch teil.