Mobilmachung gegen die „Corona-Diktatur“
Zwischen dem 1. und dem 3. Mai haben Rechtsextremisten, Verschwörungsgläubige, Rechtsesoteriker sowie meditierende „Reichsbürger“, „Corona Rebellen“, AfD-Politiker und Impfgegner erneut gegen die „Corona-Dikatur“ demonstriert. Gegenüber den letzten Wochen steigerten sich die Aktivitäten und sollen weitergehen.
Vieles erinnert bei den Protesten an die Querfront-Bestrebungen zu Zeiten der „Mahnwachen-Bewegung“ 2014. (bnr.de berichtete) Die unterschiedlichen Gruppen eint, dass sie vorgeben, das Grundgesetz sowie „unsere Grundrechte“ wegen der Corona-Einschränkungen und Kontaktsperren verteidigen zu wollen. Das klingt absurd, weil nicht wenige der Protestierenden zugleich mit der liberalen Demokratie und dem Rechtsstaat hadern oder sogar mit beidem auf Kriegsfuß stehen. Gegner werden mit aggressiver Rhetorik angegangen.
Bundesweit Kundgebungen in mindestens 25 Städten angekündigt
Einer der Administratoren des Telegram-Chats „Corona-Rebellen NRW“ mit über 2.700 Mitgliedern ist etwa der „Reichsbürger“, rechte Rapper und Verschwörungsideologe Sascha V. aus Jüchen. (bnr.de berichtete) V. hat zudem einen Chat der„Corona-Rebellen Mönchengladbach“ initiiert. Der Chat zwecks Austausch und Planung von Protestaktionen der Duisburger Lokalgruppe der „Corona-Rebellen“ wurde von Kevin Krieger initiiert, ehemaliger Bundesvorsitzender der Republikaner (REP). Schon früh rief der rechtsextreme und islamfeindliche Influencer Henryk Stöckl zu illegalen Protesten in jeder Stadt und an jedem Samstag auf.
Kundgebungen aus diesem heterogenen Gemisch aus Politik und Esoterik waren für den 1. Mai bundesweit in mindestens 25 Städten angekündigt worden. Dabei nutzten die „Corona Rebellen“ auch die Lücke, die durch die Absage nahezu aller Gewerkschaftsdemonstrationen entstanden war. In Aue-Bad Schlema (Erzgebirgskreis) durften nur 30 Menschen an einer Kundgebung von NPD-Politiker Stefan Hartung teilnehmen. Polizeiangaben zufolge waren aber mehr Menschen versammelt. Wie eine Polizeisprecherin mitteilte, gab es im Umfeld der Kundgebung eine Rangelei zwischen Sympathisanten und Polizisten. Etwa 50 Menschen mussten sich daher „polizeilichen Maßnahmen“ unterziehen. Videos davon wurden verbreitet mit der Frage, ob „wir“ schon im „Bürgerkrieg“ lebten. In Köln und Düsseldorf schritt die Polizei gegen rechte Hooligans und rechtsesoterische, antisemitische Verschwörungsgläubige ein.
Gegen die „Marionetten-Regierung“
Ein Autokorso aus dem rechtsoffenen Spektrum sorgte am 1. Mai in Gotha für einen Polizeieinsatz. Laut Polizei versammelten sich dabei rund 40 Autos die den Verkehr kurzfristig zum Erliegen brachten. Da sich vor Ort laut Polizei niemand als Verantwortlicher zu erkennen gab und auch keine Versammlung angemeldet worden war, wurde der Autokorso durch die Versammlungsbehörde aufgelöst. An der Bundesstraße B 96 zwischen Zittau und Sassnitz stellten sich Menschen mit Schildern an den Straßenrand, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Angeblich wollte man auch nicht mehr vorhandene Meinungsfreiheit einfordern und sich gegen die „Marionetten-Regierung“ positionieren. In Eisenach zogen „Corona Rebellen“ mit einem „Spaziergang“ durch die Straßen. In Schwerin löste die Polizei eine von mehreren Ärzten organisierte und angemeldete „Mahnwache“ auf. Veranstalter und Polizei befürchteten laut NDR, dass alles aus dem Ruder hätte laufen können. Statt der angemeldeten und erlaubten 50 Teilnehmer waren bis zu 600 Menschen vor Ort.
Auch bei der nicht angemeldeten „Hygiene-Demo“ in Berlin aus dem Querfront-Spektrum (bnr.de berichtete) musste die Polizei am 1. Mai einschreiten, Protestierende abdrängen oder sogar in Gewahrsam nehmen. Einen eher zur linken Szene gehörenden Dramaturg nahmen Polizisten aus einem Taxi heraus kurzzeitig fest. Die Szene wurde als Video in der rechten und verschwörungsgläubigen Szene verbreitet, der demokratische Rechtsstaat als „Diktatur“ und „Polizeistaat“ diffamiert.
AfD-Vertreter vor Ort
In Berlin wie in Cottbus waren am 1. Mai auch AfD-Vertreter vor Ort, etwa der brandenburgische Landtagsabgeordnete Christoph Berndt als Redner in Cottbus. Auch der Landes- und Fraktionschef Andreas Kalbitz nahm in Cottbus an der Kundgebung unter dem zuvor verbreiteten Motto „Demokratie statt Corona-Wahn“ teil. Bei Versammlungen in Görlitz, Zittau und Bautzen war der AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse anwesend. Da der„Spaziergang“ in Bautzen laut eines Facebook-Postings von Hilse nicht angemeldet gewesen sei, schrieb der frühere Polizist dazu: „Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort, um das Verbot durchzusetzen. Als mich die Polizei unter Androhung einer Anzeige von der Platte vertreiben wollte, meldete ich eine Eilversammlung an.“ Nach dem Verbot einer AfD-Demonstration in Erfurt am 1. Mai wollte der Thüringer Landesverband diese Maßnahme nach eigenen Angaben gerichtlich prüfen lassen. (bnr.de berichtete) Laut „Tageszeitung“ (taz) hatte das Verwaltungsgericht Weimar den Antrag der AfD mit Blick auf die Teilnehmerzahl von 1.000 Personen jedoch abgelehnt. Es habe nicht sichergestellt werden können, dass infektionsschutzrechtliche Vorgaben eingehalten werden könnten. Der „Schutz von Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen“ sei wichtiger als das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, hieß es laut taz in der Begründung.
Der Aufmarsch der Neonazi-Miniaturpartei „Die Rechte“ (DR) in Hamburg war verboten worden. (bnr.de berichtete) Versuche der Partei, auf dem Klageweg Versammlungen in Braunschweig und Bremen durchzusetzen, scheiterten. Jedoch teilte „Die Rechte“ mit, dass sie in Worms eine kleine Kundgebung am 1. Mai habe abhalten können, mit der man auch „ein Zeichen gegen den Coronawahn“ gesetzt habe. Die NPD hatte in Nordrhein-Westfalen versucht, kleine Kundgebungen in Städten des Ruhrgebiets anzumelden, gleichwohl seien sie laut Partei verboten respektive nicht genehmigt worden.
„Reichsbürger“- und „Gelbwesten“-Spektrum
Für den 2. Mai kursierten mindestens rund 40 Aufrufe, sich in unterschiedlichen Städten zu versammeln, zuweilen zu mehreren Kundgebungen oder „Spontanaktionen“. In Halle waren etwa der Rechtsextremist Sven Liebich mit einer „Kundgebung gegen die Corona-Dikatur“ und rund 50 Menschen aktiv. In Aachen gingen erneut Verschwörungsideologen auf die Straße, die sich als Linke verstehen, zugleich aber darauf hoffen, dass ihre Proteste anwachsen wie in Berlin. Ausgeblendet wird dabei, dass diese nur stärker wurden durch einen Zulauf aus den unterschiedlichen rechten Spektren. In Aachen konnten am Samstag Teilnehmer Flugblätter mit „Reichsbürger“-Inhalten verteilen. Auch das in Deutschland marginalisierte rechtsoffene „Gelbwesten“-Spektrum entdeckte die „Corona-Diktatur“ für sich, um weiter gegen Demokratie und Rechtsstaat aufzutreten. In Dortmund löste die Polizei am Samstag wegen Auflagenverstößen gegen die Hygiene-Regeln eine Versammlung von „Gelbwesten“ nebst deren Zaungästen auf. Einzelne Festnahmen wurden von anderen Beteiligten mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ begleitet. Es kam zu Rangeleien.
In München demonstrierten hunderte Menschen und hielten sich nicht immer an die Abstandsregeln. Unter den Verschwörungsgläubigen, Impfgegnern und solchen, die gegen den„Corona-Faschismus“ demonstrierten, waren auch AfD-Politiker, etwa der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron. In Freiburg hatte der AfD-Kreisverband eine Kundgebung „für das Leben“ und gegen die Grundrechtsbeschränkungen auf dem Platz der Alten Synagoge organisiert. Reden hielten unter anderem der AfD-Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz sowie der äußerst rechte AfD-Politiker und -Stadtrat Dubravko Mandic .
Teilnehmer aus dem Spektrum „Rechts/Links/Antifa/AfD“ gewünscht
In Berlin musste die Polizei auch am 2. Mai wieder gegen die „Hygiene-Demo“ vorgehen, wobei die Teilnehmerzahl gegenüber den vorangegangenen Demonstrationen rückläufig war. Zu einem Eklat kam es in Hildesheim, wo eine Demonstration mit rund 100 Menschen aus den Reihen der FDP organisiert worden war. Laut „Hildesheimer Allgemeine Zeitung“ (HAZ) durfte der Neonazi und „Die Rechte“-Funktionär Johannes Welge ans Mikrophon treten und eine Rede halten. Laut einer Antifa-Gruppe waren ansonsten auch viele Verschwörungsgläubige und Impfgegner vor Ort.
In Essen trat am Samstag als Redner der Verschwörungsideologe und „Querfront“-HipHopper von „Die Bandbreite“ aus Duisburg auf. Aus dem „Querfront“-Spektrum organisiert wurde eine Großdemonstration in Stuttgart, gewünscht waren in einer vorab verbreiteten Einladung als Teilnehmer Menschen aus dem Spektrum „Rechts/Links/Antifa/AfD“. Zudem war mitgeteilt worden: „Weil bis zu 10.000 Teilnehmer erwartet werden, findet die Demo dieses Mal auf dem Cannstatter Wasen statt.“ Der SWR berichtete am Samstag, dass der Veranstalter rund 5.000 Teilnehmer gezählt habe. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) vermeldete hingegen 2.000 bis 3.000 Menschen. Organisator soll ein parteiloser IT-Unternehmer gewesen sein. Die „Esslinger Zeitung“ zitierte diesen in einem Vorbericht mit den Worten: „Wir Deutschen müssen endlich aufwachen.“
„Montagdemos“ von „Corona Rebellen“ in „jeder“ Stadt?
Für den Sonntag kursierten noch rund zehn Ankündigungen von Aktionen aus dem rechten und verschwörungsgläubigen Spektrum. Unter anderem hatten Personen aus Gelsenkirchen einen Autokorso angekündigt unter dem Motto „Unser Grundgesetz ist kein Toilettenpapier“. Abgesagt worden war hingegen wieder eine Standkundgebung des Rechtsextremisten Dominik Roeseler und dessen Vereins „Mönchengladbach steht auf“. (bnr.de berichtete) Überraschend akzeptierte die Stadt Roeseler doch nicht als Versammlungsleiter. Offenbar berücksichtigte der Mitbegründer der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) nach der erteilten Genehmigung nicht, dass die Stadt die Auflage erlassen hatte, bei nur 42 erlaubten Teilnehmern und abgesehen von der bisherigen Mobilisierung im internen Kreis weitere „Aufrufe[...] zu unterlassen [und] weitere Teilnehmer zur Versammlung zu rufen“. Ungeachtet dessen hatten Roeseler und sein Umfeld nach der Bewilligung via Messenger und Facebook weiter extern mobilisiert.
Da die Versammlung wegen der Absage allerdings nicht verboten war konnten die „Corona-Rebellen Mönchengladbach“ rund um den „Reichsbürger“ Sascha V. sich „spontan“ am 3. Mai mit mehreren Menschen dennoch versammeln. Roeseler selbst verbreitete später ein Video von dem Sit-in. Für kommendes Wochenende kursieren schon neue Protestaufrufe aus dem Spektrum. Unterdessen gibt es auch Hinweise, dass ein Teil der heterogenen „Corona Rebellen“ wie zu Zeiten der DDR im Jahr 1989 unangemeldete „Montagsdemos“ in „jeder“ Stadt abhalten oder bald vor dem Bundesrat oder Bundestagprotestieren wollen.