Umfrage
„Mitte“-Studie stellt fest: Stresstest für die Demokratie
In Zeiten multipler Krisen ist es nicht verwunderlich, dass die heute von der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellte „Mitte“-Studie konstatiert, dass die Mitte der Gesellschaft weiter nach rechts driftet und die Zweifler, Kritiker und Gegner der Demokratie sich auffälliger in Stellung bringen.
Die über 400-seitige Studie, die auf einer repräsentativen Umfrage unter 2027 Personen basiert, mit den Hauptautoren Andreas Zick und Beate Küpper vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung aus Bielefeld trägt den Namen „Die distanzierte Mitte“. Sie ist ein Seismograph darüber, wie der Querschnitt der Bevölkerung tickt, aber auch ein Sozialreport, der ungeschönt gesellschaftlichen Abstieg in vielerlei Facetten und Denkmustern zum Ausdruck bringt. Aus Überforderung etwa bei den Transformationsprozessen wird immer öfter nach einfachen Lösungen für komplexe Zusammenhänge gesucht. Populisten haben spätestens dann Konjunktur und Rassismus greift weiter um sich.
Radikalisierung nimmt zu
Alarmierend: Ein immer größerer Anteil der Mitte der Gesellschaft distanziert sich von demokratischen Werten und Prinzipien, wenn man die acht vorhergehenden „Mitte“-Reporte gegenüberstellt. Mit dem Vertrauensverlust sind rechtsextremistische Einstellungen deutlich angestiegen. Jede zwölfte Person teilt demnach ein entsprechend manifestiertes Weltbild. Und Verschwörungsmythen finden zunehmend Abnehmer. 32 Prozent der Befragten meinen beispielsweise, dass Medien und Politik „unter einer Decke stecken“. 30 Prozent bejahen die Aussage, dass die regierenden Parteien „das Volk betrügen“. Einhergehend mit wachsender Skepsis und Ablehnung gegen das demokratische System ist zu beobachten, dass die Radikalisierung zunimmt. Allein 17 Prozent der Befragten befürwortet die Anwendung von Gewalt.
Das Thema Geflüchtete und Migration muss immer häufiger für Vorurteile und eine „Sündenbock“-Rolle herhalten. Die menschenfeindliche Äußerung, dass Geflüchtete nur deshalb nach Deutschland kommen, um das Sozialsystem auszunutzen, wird von 34 Prozent, also jeder dritten Person, aus dem Pool der Befragten geteilt. Dazu passt, dass jeder Zehnte Minderheiten gegenüber feindselig und diskriminierend eingestellt ist. Der Hauptanteil mit Einstellungen einer rechten Attitüde ist der Studie zufolge bei den 18- bis 34-Jährigen anzutreffen.
AfD-Wahlsympathisanten bei Fremdenfeindlichkeit vorn
Ein Rechtsruck hierzulande wird auch dadurch sichtbar, dass sich 15,5 Prozent der Befragten in einer Selbsteinschätzung innerhalb des politischen Koordinatensystems rechts (von der Mitte) verorten. Um Parteipräferenzen sichtbar zu machen, wurden die Interviewten auch auf die „Sonntagsfrage“ angesprochen. In Korrelation zu markanten Einstellungen zeigte sich etwa, dass wenig überraschend die AfD-Wahlsympathisanten bei Fremdenfeindlichkeit mit 41 Prozent den höchsten Wert erzielten. 20,3 Prozent bei CDU/CSU sollten aber ebenso beunruhigen. In der Kategorie Antisemitismus taucht der Höchstwert mit 11,5 Prozent übrigens bei der FDP auf.
Ein Blick auf die sozialökonomische Komponente, also auf Einkommen und Berufsgruppen, bringt durchaus Unterschiede ans Tageslicht. Bei Einkommensschwächeren sind rechtsextreme Einstellungen öfter vorhanden. Arbeiter stimmen den Aussagen zum Rechtsextremismus deutlich und durchweg häufiger zu. Rund 13 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder verfügen über ein rechtsextremes Weltbild. Herkunft und regionale Sozialisation wirken sich ebenso aus. Insgesamt vertreten 16 Prozent aus Ostdeutschland gegenüber sechs Prozent aus Westdeutschland ein rechtsextremes Weltbild.
AfD steigert Zuspruch
Im Vergleich zur „Mitte“-Studie 2020/21 wird die AfD zunehmend als „eine Partei wie jede andere auch“ wahrgenommen, so antworteten jedenfalls 23 Prozent, und das, obwohl der Verfassungsschutz die Partei inzwischen in Teilen als rechtsextrem deklariert und seit 2021 sogar unter Beobachtung gestellt hat.
Detailliert beleuchtet die Studie auch noch einmal den Einfluss von Verschwörungsnarrativen, von populistischen Meinungsmachern sowie das Wirken der sogenannten „Neuen Rechten“ bis hin zu völkischem Gedankengut. Hinzu kommen ein Exkurs zum Erscheinungsbild von aktuellen Querfrontstrukturen und eine Vertiefung zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
Umfangreich widmet sich die Studie auch den verschiedenen Positionen zum Ukraine-Krieg. Die unterschiedlichen Haltungen bieten dabei Polarisierungspotenzial, bewegt man sich doch auch auf dem Terrain von Rechtsextremisten und Querfrontaktivisten. Gesetzt ist auch die Betrachtung des Themas Klimawandel und Energiewende.
Vertrauensverlust nicht nur in der Politik
Die FES-„Mitte“-Studienreihe versteht sich laut Zick als ein Handbuch und Leitfaden dafür, die „Sollbruchstellen der Demokratie“ zu ermitteln. Dazu liefern Zick und seine Mitstreiter auch mit den seit nunmehr fast zwei Dekaden bereits zuvor erschienenen Expertisen eine fundierte Datengrundlage.
Zick und sein Team weisen darauf hin, dass nicht nur das Vertrauen in Politik und Demokratie verloren gegangen ist. Offenkundig hat auch das Vertrauen in andere Menschen abgenommen: In der aktuellen Studie sind nur noch 31 Prozent der Überzeugung, dass man anderen Menschen trauen könne. Zur gesellschaftlichen Zustandsbeschreibung unter ökonomischen, soziologischen und politologischen Gesichtspunkten müssen sich wohl auch noch eine philosophische und psychologische Komponente hinzugesellen.
Die Studie „Die distanzierte Mitte“ im Auftrag der FES erscheint beim Dietz-Verlag.