Mitte-Studie: Demokratie kostet Anstrengungen

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat ihre neue „Mitte-Studie“ vorgestellt: Daraus geht hervor, dass der überwiegende Teil der gesellschaftlichen Mitte zwar zur demokratischen Staatsform steht, doch ist diese zunehmend durch einen gestiegenen Populismus gefährdet, der ein Einfallstor zum Rechtsextremismus bietet.

Dienstag, 22. Juni 2021
Horst Freires

Seit 2006 legt die FES alle zwei Jahre das demokratische Einstellungsbarometer vor. Die heute veröffentlichte Studie basiert auf einer repräsentativen Telefonumfrage unter 1.750 Personen im Bundesgebiet. Verantwortlich für die aktuelle Bestandsaufnahme unter dem Titel „Die geforderte Mitte“ zeichnen Andreas Zick vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und als Co-Autorin Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein.

Aus dem Titel der Untersuchung wird deutlich, dass die Demokratie keineswegs einen Selbstläufer darstellt, sondern als kostbares und wertvolles Gut immer wieder aufs Neue politische Anstrengungen erfordert. Einerseits steht der Großteil der Bevölkerungsmitte hinter der Demokratie, bedenklich stimmen aber bei der Befragung, dass unter den Antworten zunehmend ambivalente „teils/teils“-Positionen herausgekommen sind, und das bei eigentlich eindeutiger Thematik wie Rassismus. Dieser Graubereich darf aus Sicht der Studie nicht unterschätzt werden.

Sozialdarwinismus angewachsen

Insgesamt sind rechtsextreme Einstellungen rückläufig. Dies führen Zick und Küpper vor allem darauf zurück, dass in der Aufklärung und öffentlichen Berichterstattung eine gestiegene Sensibilität erfolgt sei. Dementsprechend ist der Rechtsextremismus zum größten gesellschaftlichen Bedrohungsfaktor aufgestiegen. Das Stabilitätsfundament der Demokratie bröckelt dennoch bei Betrachtung sozialer Wertigkeiten und der Ausgrenzung und Herabwürdigung von sozialen Minderheiten. So nimmt seit 2014 der Sozialdarwinismus, also eine biologistische Begründung von Ungleichwertigkeit, zu. Aktuell finden beispielsweise 7,3 Prozent der Befragten die Aussage: „Es gibt wertvolles und unwertes Leben“ eher oder voll, weitere 9,3 Prozent „teils/teils“ zutreffend.

Die Zuwanderung, von 2014 bis 2017 als vermeintlicher gesellschaftlicher Sprengstoff noch politisches Dauerthema, wird nur noch von knapp einem Viertel der Befragten als eine Bedrohung für das Land angesehen, was dennoch eine nicht zu unterschätzende Größe darstellt. Als ein Schwerpunkt kritischer Stimmen ist bei der jüngsten Bestandsaufnahme die Corona-Pandemie als gesellschaftlicher Begleitumstand hinzugekommen.

Konjunktur von Verschwörungsmythen

Zu den zutage tretenden Einstellungsmustern gehören dabei auch der Glaube an und die Anwendung von Verschwörungsnarrativen, oft gekoppelt mit antisemitischen Aussagen. Rund jeder fünfte Befragte ist der Auffassung, dass „Politiker und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte“ seien. Der Aussage „Geheime Mächte sind für die Pandemie verantwortlich“ stimmte fast jeder zehnte Befragte zu sowie weitere 8,5 Prozent „teils/teils“. 17 Prozent und weitere acht Prozent „teils/teils“ sind überzeugt: „Die Coronapandemie wird genutzt, um Zwangsimpfungen einzuführen“.

Mit Corona in den Fokus gerückt ist außerdem eine zunehmende populistisch unterfütterte Wissenschaftsskepsis. In ihren Beobachtungen sind die Verfasser der Studie ebenfalls auf eine wachsende Vertrauenskrise in die Medien gestoßen. Die öffentlich-rechtlichen Medien genießen laut Zick anhand der Befragung ein Vertrauen von 69 Prozent.

Forderung: Projekte und politische Bildung stärken

In der Expertise wird klargestellt, dass offener Rechtsextremismus in Ostdeutschland nicht stärker verbreitet ist als in Westdeutschland. Bei der Präsentation zur Studie räumte Küpper ein, dass bei den Befragten mit Sympathiepräferenz zur AfD eine höhere rechtsextremistische Einstellung anzutreffen ist als bei anderen Parteipräferenzen.

Zu den formulierten Forderungen als Quintessenz der rund 400-seitigen Studie gehören aus FES-Sicht auch eine Stärkung der politischen Bildung und eine Stärkung und Verstetigung zivilgesellschaftlicher Projekte.

Kleiner Kritikpunkt an dem Fleißwerk: Das Befragungstool Telefon bietet eine empirische Schwachstelle, indem radikale Einstellungen und Gesinnungen nicht freimütig zugegeben werden. Das zeigt sich zum Beispiel an den vielen „Teils/teils“-Antworten. Hier schlummert also durchaus nicht nur eine Grauzone, sondern vielleicht sogar ein erhebliches Dunkelfeld, dass die positive Erkenntnis rückläufiger rechtsextremer Einstellungen dann relativiert.

Die Studie ist hier abzurufen.

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