„Indigenes Volk Germaniten“
Mit „Uschi“ und „Uta“ raus aus dem System
Stärkere rechte Vernetzungen untereinander ermöglichen auch Reichsbürger-Gruppierungen mehr Zulauf. Der Austausch findet zunehmend direkt vor Ort statt. Gruppen wie die „Indigenes Volk Germaniten“ touren durch die norddeutsche Region.

Die Gäste betraten das Leibnitztheater in der Kommandanturstraße in Hannover durch den Hintereingang. Es wurde geherzt und sich begrüßt. Große Limousinen fuhren vor, suchten Parkmöglichkeiten. Fahrzeuge aus Kassel, dem Harz oder Hildesheim. Die Vortragsrednerin Uta B. aus Plön parkte in einer Nebenstraße. Der gelb-braune Aufkleber von „Indigenes Volk Germaniten“ – mit dem Adler in der Mitte – ziert die Heckscheibe ihres Kleinwagens. Gemeinsam mit Jens-Uwe B. aus Braunschweig geht sie in Richtung Leibnitz-Theater. Die Violinenlehrerin im kurzen gelben Jäckchen, eigentlich Architektin von Beruf, leitet die sogenannte „Mission Ascheberg“ der „Germaniten“. B., Ingenieur an der TU Braunschweig, wird als Leiter der „Mission Ohof“ bei den Vorträgen angegeben.
Der Einlass in Hannover am 2. Juli beginnt um 16.30 Uhr, mindestens 50 Sympathisanten sind gekommen. Menschen, die bereit sind, einen Aufnahmebeitrag von 500 Euro zu entrichten, 120 Euro Jahresbeitrag zahlen oder für jeweils 50 Euro eine erfundene Fahrlizenz oder einen Ausweis kaufen wollen, um damit sichtbar aus dem „System“ auszusteigen. B. wird in diesen Wochen viele solcher Veranstaltungen durchführen und fast alle sind ausgebucht. Die nächsten Veranstaltungsorte werden in eiligem Tempo direkt mit der Anhängerschaft vereinbart. Anscheinend geht es nicht nur um Volksnähe und Bereitschaft zum Kampf, sondern auch um Vermögensverhältnisse und Spendenwilligkeit.
33 Missionen
Der Betreiber des Leibnitz-Theaters in Hannover sieht sich als Kulturschaffender durch die Pandemie massiv geschädigt. Er äußert sich bei YouTube mehrfach kritisch zu den staatlichen Corona-Maßnahmen, im Beitrag „Maskenball“ zieht er allerdings auch klare verschwörungsideologische Elemente hinzu. So seien Corona-Zahlen gefaked und Bill Gates gehe dagegen vor, dass es so viele Menschen auf der Erde gebe. Er betont: „Ich verzeihe Herrn Spahn und Frau Merkel nichts, weil sie haben mich um meinen Verdienst und meine Existenz gebracht.“
Nach Corona-Pandemie und rechten Massenprotesten wittern auch die „Germaniten“ Morgenluft. Sie wurden vor 15 Jahren von Ulrike Maria Kuklinski aus dem baden-württembergischen Schorndorf gegründet. Das Netzwerk um „Uschi“ imaginiert eine Staatsgründung in den Grenzen von 1937. Seit November 2021 wird sich um die Reorganisation der „Germaniten“ bemüht, laut B. soll das „Headquarter“ nun im Harz sein. 33 Missionen sollen bestehen. Im Norden außer in Ascheberg zudem in Bad Bevensen, Braunschweig, Bremen, Buxtehude, Hamburg, Leer und Nordhorn. AnhängerInnen dieser Gruppierung gerieten immer wieder mit dem Rechtsstaat in Konflikte, mal wegen Fahrens mit einem Fantasieführerschein, mal wegen gewerbsmäßigen Betrugs.
Bayerische Ärztin „Germaniten“-Anhängerin
Anfang August 2022 wurde eine 70-jährige bayerische Ärztin, die sich zu den „Germaniten“ bekennt, wegen über 300 ausgestellten, unrichtigen Gesundheitszeugnissen zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Der „Merkur“ berichtet über „Tumulte“ im Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen, ausgelöst durch ZuschauerInnen aus der Querdenken- und Reichsbürgerszene.
Ein Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts nutzen die „Germaniten“, um sich als „indigenes Volk“ zu legitimieren. Dabei stellte das Gericht in Leipzig 2017 aber klar, dass ein Rechtsstatus und Sonderstatus als „indigenes Volk“ nicht bestehen würde, weder nach nationalem, noch internationalem Recht. Sie bezeichnen sich als bedrohte „Native Nation“. Ein massives Zusammengehen von Reichsideologen und Coronaleugnenden wurde unlängst in Medienberichten über den Zulauf für den „Gemeinwohlstaat Königreich Deutschland“ von Peter Fitzek deutlich.
Pädophile sollen von „Volkskörper“ entfernt werden
Auch neue Gruppen wie „Ewiger Bund“ verfügen bei Telegram über 4.000 Anhänger. Auch dort wird sich über eine „Reorganisation des deutschen Indigenats zur Wiederherstellung der staatlichen Handlungsfähigkeit“ definiert. Kontakte der „Germaniten“ gibt es unter anderem zu den putin-freundlichen „Arminius Erben“- Gruppen bei Telegram, neue Netzwerke könnten sich anbahnen. So nahmen Teilnehmer des Vortrags in Hannover zuvor an dem konspirativen Anastasia-Dorfprojekt-Treffen auf dem Immenhof in Bispingen-Hützel teil.
B. ist keine Referentin, die zimperlich auftritt. Bei einem Online-Vortrag am 19. Juni sagte die dunkelhaarige Frau mit dem schmalen Gesicht mit fester Stimme vor rund 190 Zuhörenden: „Wir nehmen nur eine Menschenart nicht auf, dass sind Pädophile, Kinderschänder und rechtskräftig verurteilte Mörder. Da verlassen wir uns mal ein bißchen auf das System, die wollen wir nicht haben. Wenn sich jemand dahingehend entwickelt, könnte wir ihn des Volkskörpers entfernen, wir bereinigen uns, er wäre staatenlos und könnte von jedermann Selbstjustiz erfahren“.
Vortragstour
Ihre Vortragstour startete B. am 26. Juni in Leer in Ostfriesland. Über die Telegram-Gruppe „in die Gänge“ war geladen worden, sie ist eng vernetzt mit dem „Forum für Gesundheit“ und der Querdenken-Gruppe „Papenburger Freiheit“. B. trat im „Kulturspeicher“ in Leer auf. Bei „in die Gänge“ hieß es, man sei „so dankbar den Weg in die Freiheit kennenlernen zu dürfen. Wir werden immer mehr und unsere Kraft, etwas zu bewirken immer stärken“.
In Ostfriesland haben sich starkfrequentierte Gruppen von Corona-Leugnern und Verschwörungsideologen organisiert, betont das Antifaschistisches Recherche Netzwerk Oldenburg Friesland Ostfriesland. An einem Online-Vortrag mit B. am 12. Juli beteiligten sich fast 300 ZuhörerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet. Live-Veranstaltungen waren allein Ende Juli bzw. Anfang August in Hildesheim, Neuenburg am Rhein, Rielasingen-Worblingen, Großweil, Hollenstedt, Bremen oder Rendsburg geplant, im August geht es ähnlich weiter. In Wietzen bei Nienburg fand der „Germaniten“-Vortrag Anfang Juli auf dem Hof einer Frau statt, die bereits im schulischen Umfeld mit Verschwörungsideologien aufgefallen war. Den Einlass regelte ein Paar aus der Nähe. Sie bezeichnen sich als „Psychobionik-Coaches, Innerweltbegleiter oder Synergetik-Profiler“ und sehen aus wie Mittelalter-Fans in ihren Gewändern. In Hannover als Gäste mit dabei: Ein Märchenerzähler und Waldorf-Lehrer, ein Franchiseunternehmer, die Betreiberin einer Naturheilpraxis in NRW, ein alternativer Bauunternehmer und so weiter. Ein illustrer Kreis.
Dem „System“ entfliehen
Die „Germaniten“ sehen das deutsche Volk als auserlesen an und berufen sich auf einen heidnischen Ahnenkult. B. entstammt einer der sogenannten völkischen Sippen in Schleswig-Holstein. Ihr Stiefvater war einer der ersten rechtsextremen „Selbstverwalter“, so werden Reichsideologen bezeichnet, die einen eigenen Phantasie-Staat bilden. Die „Freie Republik Uhlenhof“ wurde vor 22 Jahren ausgerufen. Der Sitz: „Gemarkung Bondelum / Nordfriesland“. Ein Schild im Vorgarten des Anwesens am Oberdorf wies lange darauf hin. Briefe „aus der BRD“ erreichten das „Staatsgebiet“ von Roland Bohlinger über ein Postfach in Viöl. Antiquariatsbuchhändler Bohlinger, Jahrgang 1937, stammte aus der Anti-Atomkraftbewegung, betrieb das „Institut für biologische Sicherheit“. Er driftete ins rechtsextreme Lager ab, hing den antisemitischen Ideen einer Mathilde Ludendorff an und schließlich auch denen der Reichsbürger-Szene. Bohlinger starb 2013. Verlagsgeschäft und Druckerei werden von einem der Söhne weitergeführt. Bis 2011 war in Bondelum auch die NSU-nahe Zeitung „Der weiße Wolf“ gedruckt worden, wie Herausgeber David Petereit im Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere einräumte.
B. spricht vor den „Volksgeschwistern“ oft über ihre Herkunft – ohne Namen zu nennen. „Ich komme aus einer Familie, die sich seit drei Generationen mit Wahrheitsfindung befasst“, erzählt die Mutter von zwei Söhnen. Ihrer Meinung nach leben wir in „einem Lügenkonstrukt“, einem „Konstrukt Weltherrschaft“, in einer „Versklavungsblase“. Sie sagt auch: „Wenn ihr euch bei uns nicht wohlfühlt, ihr könnt sofort wieder im System Unterschlupf finden. Ein zweites Mal nehmen wir nicht auf.“ Zudem lebe sie zur Zeit von Spenden, sei darauf angewiesen. Interessierte haben viele Fragen an sie, eine lautet: „Wie können wir unsere Kinder aus dem Schulsystem herausbringen?“ Auch Carola Javid-Kistel nimmt an einem von B. Online-Vorträgen teil.
Auf Medienanfrage äußern möchte sie sich nicht.
Illegale Sonnenwendfeier in Naturschutzgebiet
Unweit von B.s Wohnort in der Gemeinde Nehmten am Plöner See fand im Juni eine Sonnenwendfeier ihrer Anhängerschaft statt, die für Aufregung sorgte. Wie die „Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein“ in einer Pressemitteilung bekannt gab, drangen Unbekannte gewaltsam durch das verschlossene Weidetor in das Naturschutzgebiet Störland ein. Mit Motorsensen wurde eine Fläche abgemäht, dort wo der Natur eigentlich freien Lauf gelassen werden soll. Schonungslos fuhren Autos auf das Gelände des Wildnisschutzgebietes. Ungebetene Besucher ließen sich in Zelten nieder, heißt es auch auf der Webseite der Stiftung.
Deren Weideflächen gelten als gesetzlich geschütztes Biotop. Die Eindringlinge, die heidnisches Brauchtum feiern wollten, nahmen darauf keine Rücksicht. Als Naturschützer die Gruppe auf das verbotene Eindringen hinwiesen, sei entgegnet worden: Die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland würden für sie nicht gelten. Die Polizei rückte an. B. wird das Geschehen später in einem Vortrag aufgreifen und sagen: Aus Rücksicht auf „die kleinen Pflanzen“, habe man das Areal geräumt. Sie behauptet: „Die Polizei hätte fast mit uns am Lagerfeuer gesessen.“ „Der Einbruch, das Befahren der Weide, das Freischneiden der Trasse und das Lagerfeuer waren völlig inakzeptabel“, erklärt die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, es wurde Anzeige gegen Unbekannt wegen Hausfriedensbruch erstattet.
Die „Germaniten“ zogen auf eine der Nachbarflächen um, errichteten dort ihr Zeltlager. Etwa 25 Autos mit Kennzeichen aus Pinneberg und Neumünster, aus Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern wurden von AnwohnerInnen beobachtet. Die Sonnenwendfeier selbst aber habe schließlich doch wieder auf der naturgeschützten Weidefläche stattgefunden – Zeugenaussagen zufolge unter Beteiligung von rund 50 Personen, mit einem großen Lagerfeuer und lautem Trommeln bis tief in die Nacht. Die Polizei habe demnach von der Räumung der Fläche abgesehen.