Mit neuem Label auf Rechtsaußen-Kurs
Elf Abgeordnete schickt die AfD ins Europaparlament – vom sich seriös gebenden Parteichef bis zur Höcke-Verehrerin. Sie mischen in der rechtsradikalen Fraktion „Identität und Demokratie“ mit. Ein Überblick nach ihren ersten Wochen im Parlament.
Mit einer EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geht’s stramm Richtung Ökosozialismus, die Christdemokraten sind zur linksgrünen Fraktion mutiert, die Grünen wünschen sich ein Land der Eselkarren und Fahrradfahrer, Gender-Ideologen wollen, dass Mensch unter 65 Geschlechtern frei auswählen kann: So hört es sich an, wenn neun AfD-Politiker und zwei AfD-Politikerinnen am Ziel ihrer Wünsche angelangt sind – im Europaparlament.
Fast vier Wochen sind sie nun offiziell in Amt und Würden. 11,0 Prozent für die AfD hatten bei der Europawahl Ende Mai auch exakt elf Mandate bedeutet. Im Juni konnte man sich in Brüssel einarbeiten, die neue AfD-Delegation formieren und die Fraktion bilden. 73 Mitglieder gehören ihr an. „Identität und Demokratie“ (ID) nennt sie sich. Das soll nach etwas ganz Neuem klingen, ist im Kern aber nur eine erweiterte Neuauflage der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF), in der sich in der vorherigen Wahlperiode der größte Teil der nichtnazistischen Rechtsaußen-Parlamentarier versammelt hatte.
Keine Ämter im Parlament
Markus Buchheit aus dem bayerischen Eichstätt kennt in einer breiten Öffentlichkeit zwar kaum jemand. Für die AfD-Delegation ist er aber unentbehrlich. In der Gruppe der elf Abgeordneten ist Buchheit der mit der längsten EU-Erfahrung. Seit 2014 arbeitet er im Europaparlament, erst als Mitarbeiter eines FPÖ-Abgeordneten, später als Berater der rechten ENF-Fraktion. Im Mai schaffte er als Siebter auf der Liste den Sprung in die erste Reihe der AfD-Politik. Im EU-Parlament wird er gleich drei Ausschüssen angehören: dem für Industrie, Forschung und Energie, dem für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie dem Petitionsausschuss.
Für seine Kollegen ist Buchheit so wichtig, dass sie ihn zum stellvertretenden Leiter ihrer Delegation gewählt haben. In einer Bilanz der ersten Wochen in Brüssel beklagte er sich, dass die ID bei der Wahl der Vizepräsidenten, mit ihren zwei Wunschvorsitzenden für die Parlamentsausschüsse und mit acht Vorschlägen für stellvertretende Ausschussvorsitze durchgefallen ist. Das sei „ein Unding“ und „ein demokratischer Wahnsinn“, schimpft Buchheit. Es ist eine bemerkenswerte Klage für einen Politiker, dessen Partei mit der Forderung in den Wahlkampf gezogen war, just dieses Parlament abzuschaffen. Die Mimikry der ID beherrscht er derweil: Sie sei, sagt er treuherzig, eine „Rechts-der-Mitte-Fraktion“.
Meuthen ist ID-Fraktionsvize
Ranghöchster Vertreter der AfD in Brüssel ist Bundessprecher Jörg Meuthen. Er steht als Leiter an der Spitze ihrer EU-Delegation. Die Fraktion „Identität und Demokratie“, in der die italienische „Lega“, Le Pens „Rassemblement National“, die AfD, der belgische „Vlaams Belang“, die FPÖ und vier kleinere Rechtsaußen-Parteien zusammenarbeiten, wählte ihn zu ihrem Fraktionsvize. Im EU-Parlament gehört er dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung an.
Meuthen begann als AfD-Konservativer, suchte dann das Bündnis mit den Rechtsaußen von Björn Höckes „Flügel“, von dessen Stil er sich seit einigen Monaten nun wieder absetzt. Welche nationalistischen und EU-feindlichen Töne, kombiniert mit einer rabiaten Rhetorik gegen alles, was Rechtspopulisten „links“ erscheint, seine Fraktion und seine deutsche Anhängerschaft von ihm erwarten, hat er gelernt auf seiner Wanderung nach weit rechts. Eine „sozialistische Anbiederungs-Performance“ attestiert er namens der ID-Fraktion von der Leyen, als sie sich im Europaparlament vorstellt.
„Endgültiger Verlust der restlichen Souveränität“
Auf Facebook steigert sich Meuthen weiter: „Diese Frau“ bedeute „den Weg schnurstracks in die ökosozialistischen 'Vereinigten Staaten von Europa'.“ Geliefert habe sie in Brüssel „ein Panoptikum tieflinker Phantasien“. Sie wolle einen neuen Staat schaffen, der die bisherigen souveränen Nationalstaaten ablösen und sie zu „unselbstständigen Provinzen eines von Brüssel aus gelenkten, bürokratischen Gebildes“ machen solle, wettert er. Die AfD werde „den Deutschen sehr deutlich machen, dass mit Frau von der Leyen in Kürze der endgültige Verlust ihrer restlichen Souveränität droht“. Stil hin, Stil her: Höcke hätte es vermutlich auch nicht anders gesagt.
Den Vorzeigearbeiter soll auch in Brüssel Guido Reil geben. Selbst Parteifreunde hatten ihm im Wahlkampf desaströse Talkshowauftritte angekreidet. Viel glücklicher gestaltete sich auch eine seiner ersten Aktionen in neuer Abgeordnetenfunktion nicht. Eher humoresk wirkt ein Video, das Reil bei einer Minidemo von Bergleuten in Brüssel zeigt – wie er kurz vor Ende der Aktion dem Trupp entgegeneilt, sich einreiht und den Arbeiterführer zu mimen versucht. Ex-Bergmann Reil, der sein noch für die SPD errungenes Mandat im Essener Stadtrat behält, arbeitet im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europaparlaments mit.
Grüne Eselkarren
Während Reil, immerhin Zweiter auf der Kandidatenliste der AfD, offenbar leer ausging, als die AfD-Delegation ihre Posten verteilte, wurde Maximilian Krah als weiterer stellvertretender Leiter gewählt. Der Rechtsanwalt aus Dresden ist der einzige Repräsentant Ostdeutschlands in der AfD-Gruppe. Er arbeitet im Parlamentsausschuss für internationalen Handel mit.
In den Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit schickt die Fraktion Sylvia Limmer. In AfD-Kreisen wird sie als Umweltexpertin gehandelt, spätestens seit sie in einer Parlamentsdebatte gegen „grünlackierte Idiotien“ und eine „grüne Wunschvorstellung, unser Land in eine Nation der Eselkarren und Fahrradfahrer zu verwandeln“, gewettert hatte.
Von der „Bild“ ins Parlament
Von rhetorisch ähnlichem Kaliber ist der Berliner Nicolaus Fest, Ex-Redakteur von „Bild“ und „Bild am Sonntag“. Er wird in den zwei Ausschüssen für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten sowie für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres mitarbeiten. Seine ersten Attacken im Parlament galten den Christdemokraten. Ihrer EVP-Fraktion hielt er vor, sie sei „von einer angeblich mal konservativen zu einer links-grünen Fraktion mutiert“.
Eher weniger hören dürfte man von vier weiteren Abgeordneten: Aus dem Stuttgarter Landtag nach Brüssel gewechselt ist Lars Patrick Berg. Er gehört dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten an. Mitarbeiten wird er zudem in den Unterausschüssen für Menschenrechte sowie für Sicherheit und Verteidigung. Der Bayer Bernhard Zimniok, der als Redner beim süddeutschen „Flügel“-Treffen in Greding auftrat, mischt im Entwicklungsausschuss mit. Gunnar Beck, der sich rühmt, die Brexit-Kampagne beraten zu haben, wurde in den Ausschuss für Wirtschaft und Währung delegiert. Joachim Kuhs aus Meuthens baden-württembergischen Landesverband und Mitglied des AfD-Bundesvorstands, vertritt seine Fraktion im Haushaltsausschuss und im Haushaltskontrollausschuss.
„Flügel“-Verehrerin im Frauenausschuss
Bleibt die Frau für die besonders schroff-schrillen Töne. Die Limburgerin Christine Anderson wird den Ausschüssen für Kultur und Bildung sowie für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter angehören. Im Frauenausschuss wolle sie „immer wieder zum Ausdruck bringen, dass die traditionelle Familie für uns kein 'Auslaufmodell' ist“, und auch der „Ideologie des Gendermainstreaming“ werde sie dort eine klare Absage erteilen, ließ sie schon einmal wissen.
Derlei ist in der AfD unumstritten. Etwas anderes dürfte aber Delegationsleiter Meuthen weit mehr besorgen. Anderson ist „Landesobfrau“ des „Flügels“ in Hessen. Und in Sachen Höcke-Personenkult lässt sie sich auch nicht lumpen. Höcke habe 2015 mit seinem Mut „die AfD davor bewahrt, eine Systempartei zu werden“, hatte sie beim „Kyffhäuser-Treffen“ des „Flügels“ Anfang des Monats den Vormann der AfD-Radikalen gelobt und hinzugefügt: „Und Du tust das auch heute noch. Und du tust das auch weiterhin.“ Obwohl Höcke dafür „von allen Seiten dafür mächtig Prügel“ einstecke und angefeindet werde. Anderson: „Du bist eine Inspiration für uns alle!“