Neue Rechte
„Milliardärssozialismus“ – Renaissance eines Schlagworts
Angeblich existiere ein Block von Kapital und Linker, welcher an den „Milliardärssozialismus“ im Sinne von Oswald Spengler erinnere. Derartige Auffassungen kursieren nicht nur im Kontext der Neuen Rechten, nehmen aber das Gemeinte offenkundig gar nicht richtig zur Kenntnis.
Blickt man in die gegenwärtige rechtsextremistische Publizistik, so lässt sich die Renaissance eines Schlagworts von Oswald Spengler feststellen: „Milliardärssozialismus“. Der auch heute noch bekannte Geschichtsphilosoph gehörte zur Konservativen Revolution der Weimarer Republik, einer politischen Denkschule, welche zugunsten einer cäsaristischen Herrschaft die Weimarer Republik überwinden wollte. Die letztgenannte Absicht findet sich auch ausformuliert am Ende von Spenglers wohl bekanntestem Werk: „Der Untergang des Abendlandes“.
Er hatte darüber hinaus noch viele andere Aufsätze und Bücher veröffentlicht, welche heutigen Lesern weniger bekannt, gleichwohl in der Neuen Rechten sehr geschätzt sind. Darüber hinaus beziehen sich noch andere Repräsentanten des rechtsextremistischen Spektrums gelegentlich auf derartige Werke. Dazu gehört auch der AfD-Kontext mit seinen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Positionierungen, worauf jüngst in einem längeren Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ der Historiker Volker Weiß aufmerksam machte.
„Milliardärssozialismus“ als Schlagwort bei Spengler
Doch was war eigentlich mit „Milliardärssozialismus“ bei Spengler gemeint? Zur Beantwortung dieser Frage blickt man in eine frühe Schrift von ihm, dem 1919 erstmals erschienenen Band „Preußentum und Sozialismus“, worin er für eine Kombination dieser beiden Richtungen plädierte. Indessen unterschied sich seine Auffassung von Sozialismus grundlegend von einem linken Verständnis. Es sollte um eine biologisch-nationalistische Auffassung gehen: Man müsste „den deutschen Sozialismus von Marx … befreien“, denn „nur das Blut entscheidet über die Zukunft“ (Ausgabe München 1922).
Eine genauere Definition dieses Sozialismusverständnisses nahm Spengler indessen nicht vor. Darüber hinaus sprach er von der Form eines „Milliardärssozialismus“ nur am Rande: Gemeint sei etwa ein Reicher, „der zuerst einen großen Teil des gesamten Volksvermögens ins Privatvermögen verwandelt und ihn dann in glänzender Weise ganz souverän für öffentliche Zwecke ausgibt“. Und weiter heißt es: „Auch der Milliardärsozialismus würde ein Volk unvermerkt in ein Heer von Privatbeamten verwandeln“.
Spengler-Fan ohne Spengler-Kenntnisse
An einer genaueren Definition des damit Gemeinten mangelte es gleichwohl bei Spengler. Als weitere Frage zu diesem Komplex stellt sich dann: Wie angemessen sind heute inhaltliche Bezüge auf den angesprochenen „Milliardärssozialismus“ durch die Neue Rechte? Dezidiert erinnerte David Engels in der „Jungen Freiheit“ (JF) an dieses Schlagwort. Er ist Althistoriker in Brüssel und Posen, Mitbegründer der „Oswald Spengler Society“ und publizierte auch eine Monographie zu Spengler. Daher müsste er dessen Auffassungen eigentlich kennen, was noch nicht einmal immanent der Fall ist.
In einem ersten Beitrag in der JF sprach er 2020 von einem zunehmenden Einklang von Liberalismus und Sozialismus, was auf der „Ausschaltung des Mittelstands“ beruhe und als „Milliardärssozialismus“ von Spengler bezeichnet worden sei. In einem weiteren Beitrag in der JF Ende 2021 soll damit ein ultrakapitalistisches System, „das seine Bürger beziehungsweise Konsumenten zunehmend planwirtschaftlich verwalten würde“, gemeint sein. Indessen stimmen die beiden Definitionen von Engels nicht miteinander überein noch entsprechen sie der diffusen Sicht von Spengler.
Fiktion eines gemeinsamen Blocks von Kapital und Linker
Andere Aussagen aus dem politischen Lager kommen zu noch schieferen Rezeptionen. So erschien etwa ein Artikel in der „Preußischen Allgemeinen“ mit dem Titel „Wenn der Kapitalismus ‚woke‘ wird“ (21. Mai 2023), worin folgende Deutung vertreten wurde: Die Bahn, Drogerieketten oder Lebensmitteldiscounter würden die Regenbogenfahne hissen, wohlhabende Erben unterstützten die Klimaproteste über Stiftungen in den USA. Dazu folgt dann als Kommentar: „Im Ganzen erinnert das Amigo-Öko-System an den Begriff des ‚Milliardärssozialismus‘ von Oswald Spengler.“ Auch hier wurde das Gemeinte erkennbar nicht verstanden und in eine eigene Interpretation integriert.
Ganz allgemein geht es diesem Diskurs darum, die politische Linke und große Unternehmen dem gleichen Zusammenhang zuzuschlagen. Bezogen auf eine mit der Identitätspolitik einhergehende Symbolpolitik trifft dies eingeschränkt zu, was aber auch die Soziallinke vehement kritisiert. Die Auffassung von einem gemeinsamen Block von Kapital und Linke ist darüber hinaus aber absurd, derartiges unterstellte selbst Spengler in der Weimarer Republik nicht.