Autoritarismus-Studie

Mehr Ressentiments gegen Minderheiten

Eine neue Autoritarismus-Studie erlaubt anhand einer repräsentativen Befragung in der Bevölkerung alle zwei Jahre eine Bewertung, wie ausgeprägt rechtsextreme Einstellungen sind und wie sich diese im Laufe der Zeit ändern. Ein angestiegenes Bekenntnis zur Demokratie ist dabei aktuell die eine Seite der Medaille, die andere sind zunehmende Ressentiments gegenüber Minderheiten.

Donnerstag, 10. November 2022
Horst Freires
Ressentiments gegenüber Minderheiten haben gegenüber der letzten Untersuchung zugenommen, Grafik: Psychosozial-Verlag
Ressentiments gegenüber Minderheiten haben gegenüber der letzten Untersuchung zugenommen, Grafik: Psychosozial-Verlag

Unterstützung erfährt die in der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellte renommierte Expertise des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus und Demokratieforschung der Universität Leipzig durch die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung. Federführend sind die beiden Wissenschaftler Oliver Decker und Elmar Brähler. Zugrunde liegt der nun veröffentlichten Zweijahresbetrachtung vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der Covid-Pandemie die Befragung von 2.522 Personen zwischen Anfang März und Ende Mai dieses Jahres. Die Studie unter dem Titel „Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten“ umfasst über 300 Seiten.

Klassisch rechtsextremes Weltbild rückläufig

Argumente und Statistiken für eine zunehmend dargestellte Spaltung und Polarisierung in der Gesellschaft geben die herausgefundenen Zahlen allerdings nur bedingt her. Rechtsextreme Einstellungen auch mit klassischer NS-geprägter Ideologie sind rückläufig und nur noch bei 2,7 Prozent der Befragten zu erkennen, das Bekenntnis zur demokratischen Staatsform ist mit bundesweit 82 Prozent ausgesprochen hoch.

Trotzdem verbleiben manifestierte Vorurteile und Hass gegenüber Minderheiten auf hohem Niveau und sind sogar weiter angestiegen. Zu diesen antidemokratischen und autoritären Einstellungen zählen homophobe Einstellungen und ausgeprägte Ressentiments gegenüber Ausländer*Innen, Geflüchteten, insbesondere Muslime, Sinti und Roma sowie ein zunehmend antiemanzipatorisches und sexistisches Frauenbild.

Verschwörungsnarrative weiter virulent

„Neben der Ausländerfeindlichkeit haben Rechtsextreme heute viel mehr Möglichkeiten, in der Mitte der Gesellschaft Anschluss zu finden“, resümiert Oliver Decker. Weiterhin spielen Verschwörungsnarrative eine nicht zu unterschätzende Rolle, insbesondere mit Blick auf das Corona-Thema, auch wenn sie im Vergleich zu 2020 von 38,4 auf jetzt 25 Prozent zurückgegangen sind. Vielfach greifen in diesem Zusammenhang auch antisemitische Bilder.

Das Diagramm zum Bereich "Ausländerfeindlichkeit" zeigt deutliche Diskrepanzen zwischen Ost- und Westdeutschland, Grafik: Psychosozial-Verlag
Das Diagramm zum Bereich "Ausländerfeindlichkeit" zeigt deutliche Diskrepanzen zwischen Ost- und Westdeutschland, Grafik: Psychosozial-Verlag

Weiterhin haben Decker und Brähler sowie ihr Team den Blick auf Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland gelegt. So ist der Anteil ausländerfeindlicher Einstellungen im Vergleich zu 2020 in Ostdeutschland von 27,8 auf 31 Prozent angestiegen, während der Wert in Westdeutschland von 13,7 auf 12,6 gesunken ist. Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang eine Bejahung der Aussage, dass Deutschland „durch die vielen Ausländer überfremdet“ sei. Dies sehen in Ostdeutschland 40 Prozent so, im Westen sind es „nur“ 23 Prozent.

61 Prozent zeigen Schuldabwehrantisemitismus

Besonders Antiziganismus ist weit verbreitet. 54,9 Prozent der Ostdeutschen lassen dies erkennen, in Westdeutschland liegt die Ablehnung von Sinti und Roma in ihrer Nachbarschaft bei knapp 30 Prozent. Die Studie erkennt vor allem auch einen laut Forschungsteam „Schuldabwehrantisemitismus“. Der Aussage, man solle sich doch lieber gegenwärtigen Problemen widmen anstatt Geschehnissen, die mehr als 70 Jahre zurückliegen, stimmten 61 Prozent zu.

Grafik: Psychosozial-Verlag
Grafik: Psychosozial-Verlag

Jan Philipp Albrecht, Vorstand der Böll-Stiftung, zu den Erkenntnissen: „Wir brauchen eine engagierte demokratische Bildungsarbeit für die vielfältige liberale Demokratie.“ Einen Gewöhnungseffekt an autoritäres Gedankengut dürfe es nicht geben.

Kategorien
Tags
Schlagwörter