Medien-Aufklärung aus neurechter Weltsicht

Ein „Handbuch der öffentlichen Meinung“ soll rechte Kreise im Umgang mit der klassischen Tagespresse sowie  Rundfunk- und Fernsehsendern schulen.

Dienstag, 28. Juli 2020
Horst Freires

Seit rund einem viertel Jahr kursiert ein Theoriepapier zum Medienumgang aus rechtspopulistischem Blickwinkel. Das 35-seitige „Handbuch der öffentlichen Meinung“ wird von einer „Agora-Initiative“ verantwortet, benannt nach dem historischen Marktplatz in Athen, und macht gerade die Runde innerhalb der Neuen Rechten und bei offenkundig leicht zu manipulierenden Corona-„Wutbürgern“. Es liest sich wie eine Bedienungsanleitung und kommt einem Gegenentwurf für eine Medienkompetenzschulung gleich. Im Duktus sind die Verantwortlichen auf Seriosität und vermeintliche Wissenschaftlichkeit bedacht, liefern quasi ein Konzept mit zahlreichen Quellenangaben, sprechen von politischer Bildung, stellen die Bundesrepublik aber auch als zentralistischen Top-Down-Staat dar.

Die „Agora-Initiative“ ist ein Aufruf, sich von der klassischen Tageszeitung und von etablierten Rundfunk- und Fernsehsendern abzuwenden. Zum eigenen Credo heißt es nämlich: „Große Medienkonzerne verbreiten Narrative, die als unhinterfragbar dargestellt werden. Als souveräne Staatsbürger haben wir das Recht, (...) uns unabhängig von den zentralen Leitmedien zu informieren.“ Status Quo sei, dass der freie Meinungs- und Gedankenaustausch „durch einheitliche und einseitige Medienberichterstattung untergraben“ werde. Und außerdem wird ohne jeglichen Beleg behauptet, über 90 Prozent der Bevölkerung sind „abhängig von zentralen Medien, die ein pluralistisches Meinungsspektrum in weiten Teilen vermissen lassen“.

„Vielfalt keinesfalls eine Bereicherung“

„Desinformierte Öffentlichkeit“ und „gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung“ sind weitere Formulierungen, die als Tatsachen in den Raum gestellt werden. Fehlende Transparenz wird zwar angeprangert, aber die Namen eines oder mehrerer Autoren der „Agora“-Thesen sucht man vergebens. Auf Seite 6 des Handbuches wird etwa über angeblich positive Etikettierungsbegriffe „aufgeklärt“, dann an dieser Stelle das Beispiel „Vielfalt“ eingebracht und behauptet, dass „,Vielfalt‘ keinesfalls notwendigerweise eine Bereicherung darstellt. In den Staaten mit einer großen Vielfalt wie den USA oder Südafrika gibt es große Probleme mit Konflikten und Spannungen zwischen den verschiedenen dort lebenden ethnischen und religiösen Gruppen, während Gebiete mit geringer Vielfalt wie Japan, Polen und Finnland keine derartigen inneren Zerwürfnisse aufweisen.“

An diese Argumentation unmittelbar anschließend fügt man den Satz „40,6 % der Kinder unter fünf Jahren haben in Deutschland bereits einen Migrationshintergrund“ hinzu. Diesen stellt man in einen Zusammenhang, der Angst einflößen soll, um eine destabilisierende Stimmung zu erzeugen. Dazu heißt es dann in Zeigefingermanier zum Begriff „Vielfalt“, dass „die ethnische und religiöse Inhomogenität“ als „unhinterfragbar und bedingungslos gut dargestellt“ werde, „obwohl bei objektiver Betrachtung ein ganz anderes Bild entstehen würde.“ Also: Objektivität, die die Verfasser anderen absprechen, nehmen sie für sich („bei objektiver Betrachtung“) in Anspruch. Aufgegriffen wird das thematische Beispiel auf Seite 15, wenn unterstellt wird, in Deutschland gebe es eine Schwarz-Weiß-Logik in der Migrationsdebatte: „Entweder man ist für die Politik des Multikulturalismus und der unbegrenzten Masseneinwanderung oder man ist ein Ausländerfeind und ein Hassmensch.“

„Darauf konditioniert, unsere eigene Identität zu hassen“

Suggeriert wird zudem, dass wir uns inmitten einer gesellschaftlichen und nationalen Entmündigung befinden würden: „In unserer Gesellschaft herrscht ein Klima der Angst, das die kritisch denkenden Menschen davon abhält, sich öffentlich zu bestimmten Themen zu äußern. Man will, dass wir alle brav den Mund halten, während unserem Land seine Kultur, sein Stolz, seine reiche Geschichte und seine innere Einheit geraubt werden.“ (S.28). Ein Appell an mehr Partizipation der Bevölkerung ist nicht verwerflich, doch wenn ausgerechnet dazu aufgerufen wird, sich persönlich an Kommunal- und Landespolitiker sowie an Medienvertreter mit der Frage nach dem Kinderanteil mit Migrationshintergrund zu wenden, schimmert wieder ganz klar Rassismus durch (S. 29).

Auch im Themen-Setting kulturelles Selbstwertgefühl wird auf die nationale Karte gesetzt: „Wenn die deutsche Kultur und die Bejahung der eigenen Traditionen und Sitten stets mit den Begriffen ,Nazi‘, ,Hass‘ und ,rechts‘ verknüpft werden, dann löst ein Reden über die deutsche Kultur auch irgendwann einen negativen Reflex aus. Wir wurden darauf konditioniert, unsere eigene Identität zu hassen.“ (S.30) Im Übrigen ist auffällig, dass kontinuierlich ein indoktrinierendes antiamerikanisches Narrativ verwendet wird, etwa in der Definition eines Imperialisten, aber auch in der Feststellung, welchen angeblich negativen Einfluss speziell amerikanischer Lebensstil hierzulande ausgeübt hat, Musik beispielsweise sei „in allen ihren Teilen amerikanisiert“ (S.29). Und wörtlich heißt es: „Uns wurde über Jahrzehnte hinweg eingeredet, dass es normal sei, amerikanische Kleidung zu tragen, amerikanische Nahrung zu essen, amerikanische Musik zu hören, amerikanische Filme anzusehen, auf amerikanische Weise zu feiern und wie Amerikaner zu leben. Wir müssen unsere eigene Kultur wiederentdecken, wenn wir als Deutsche fortbestehen wollen.“ (S.29)

Auffällige Nähe zu Verschwörungsideologen

Mit der angeblichen kulturellen Überlebensfrage projiziert man ein Bedrohungsszenario, was in der rechten Szene bereits seit Jahren auch drastischer als „Volkstod“ tituliert wird. In einer „Agora“-Auflistung von Literatur- und Medienempfehlungen zur Erweiterung der eigenen Meinungsbildung sickert eine auffällige Nähe zu „Querfront“-Protagonisten, Verschwörungsideologen und anderen im rechten Lager hofierten Autoren beziehungsweise Medien durch. Das gilt für Thilo Sarrazin, Daniele Ganser und Udo Ulfkotte aber auch für den YouTuber Ken Jebsen („KenFM“), der laut „Agora“ „dem linken Spektrum zuzuordnen ist“ (sic!), das beizeiten antisemitisch daher kommende Magazin „Free21“ des Dänen Tommy Hansen, dazu das Projekt „Rubikon“, das vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestufte „Compact“-Magazin von Jürgen Elsässer, die ebenfalls als Verdachtsfall gesehene neurechte Periodika „Sezession“ sowie die Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Als Medientipp wird der Sender „RT Deutsch“ („Russia Today“) hervorgehoben.

Ferner dürften Verweise ausgerechnet auf intellektuell neurechte und nationalkonservative Lifestyle-Titel wie „Cato“, „Blaue Narzisse“, das Magazin „Arcadi“ und den „Deutschland-Kurier“ nicht ganz von ungefähr kommen. Unter anderem hat die seit kurzem vom Verfassungsschutz ebenfalls als Verdachtsfall behandelte Vernetzungsplattform „Ein Prozent“ von Philip Stein wohlwollend auf die „Agora-Initiative“ hingewiesen, aber auch das in Graz ansässige neurechte Magazin „freilich“ von FPÖ-Funktionär Heinrich Sickl agiert als Promoter. Und dazu wird „Agora“ aktiv von Corona-Rebellen als „Bündnis für Meinungsvielfalt“ aus dem mittelfränkischen Hilpoltstein (Landkreis Roth) beworben. Bei deren Protesten wurde schon einige Male der bayerische AfD-Landtagsabgeordnete Ferdinand Mang gesichtet.

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