Massiver Anstieg rechter Gewalt
Nach Angaben des thüringischen Verfassungsschutzes gibt es im Freistaat jeden Tag durchschnittlich vier rechte Straftaten. Ausführlich werden im aktuellen Bericht die Neue Rechte sowie das Spektrum der „Reichsbürger“ beleuchtet.
Waren die extrem rechten Straftaten bereits 2015 massiv angestiegen, so war 2016 ein erneutes Anwachsen zu beobachten. Nach Angaben des Verfassungsschutzes ereigneten sich im Freistaat durchschnittlich an jedem Tag mehr als vier rechte Straftaten. Während die Zahl der Propagandadelikte erneut angestiegen ist, sanken die registrierten Volksverhetzungen. Auch die Zahl der Gewalttaten wuchs erneut: gegenüber dem Vorjahr registrierte die Behörde einen Anstieg um etwa 40 Prozent auf 128 Delikte, bei mehr als 80 Prozent davon handelte es sich um Körperverletzungen und gefährliche Körperverletzungen. Knapp zwei Drittel der festgestellten Gewalttäter in diesem Bereich seien Polizei und Verfassungsschutz bislang nicht bekannt gewesen, heißt es.
Das Personenpotenzial der extrem rechten Szene beziffert der Verfassungsschutz mit etwa 850 Personen, etwa die Hälfte wird als gewaltorientiert eingestuft. „Die Aggressivität der rechten Szene hat erheblich zugenommen“, sagte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) bei der Vorstellung des neuen Berichtes. Ein Fünftel des rechtsextremen Potenzials besteht in Thüringen aus Mitgliedern der NPD, die aber im Vorjahresvergleich erneut 50 Mitglieder verloren habe. Damit setzt sich auch bei der NPD Thüringen ein Trend fort, der schon 2012 eingesetzt hatte - die Zahl der damals 330 Mitglieder geht stetig zurück.
„Die Rechte" verliert Mitglieder
Nach der Ablösung von Patrick Wieschke durch Tobias Kammler als neuem NPD-Vorsitzenden im Januar 2015 habe der Landesverband in Stagnation verharrt. Im Jahr 2016 konnte die NPD von „scheinbar günstigen äußeren Bedingungen nicht profitieren“, die Teilnehmerzahlen erreichten selten einen dreistelligen Bereich. Auch die 2005 ins Leben gerufenen Regionalzeitungen der NPD wurden nach der Landtagswahl 2014 eingestellt, nur noch das von Wieschke herausgegebene Blättchen „Wartkreisbote“ erscheint weiterhin.
Der 2015 gegründete Ableger der Neonazi-Partei „Der III Weg“ in Thüringen konnte die Zahl seiner Mitglieder von 20 auf etwa 25 steigern. Der Landesverband der braunen Partei „Die Rechte“ unter dem Vorsitzenden Enrico Biczysko verlor nach einem internen Machtkampf zehn Mitglieder und kam 2016 auf nur etwa 30 Personen. Auch Resonanz und die Mobilisierungserfolge des strömungsübergreifenden Neonazi-Netzwerks „Thüringen gegen die Islamisierung“ waren 2016 rückläufig.
„Identitäre“ im Mittelpunkt der Neuen Rechten
Im Bereich rechtsextremer Musik zählt der Verfassungsschutz landesweit 14 meist an Labels angeschlossene Vertriebe, eine besonders wichtige Rolle im Freistaat spielen dabei W&B Records um Thorsten Heise in Fretterode und Germania Records von Patrick Weber in Sondershausen. Beide gehören der NPD an, Heise ist seit Februar 2017 Landesvorsitzender des Thüringer Landesverbandes, Weber sein Stellvertreter. Insgesamt zählt der Verfassungsschutz acht Rechtsrock-Bands, im Vorjahr waren es noch zwölf. Die Anzahl brauner Konzerte in 2016 wird offiziell mit zwölf beziffert, hinzu kommen ebenso viele Veranstaltungen mit Neonazi-Liedermachern. Diese Zahlen weichen eklatant von den Angaben der „Mobilen Beratung in Thüringen. Für Demokratie - gegen Rechtsextremismus“ (MOBIT) ab. Neben fünf Rechtsrock-Open Airs, die nach dem Versammlungsrecht angemeldet wurden, zählten deren Mitarbeiter 2016 mehr als doppelt so viele Konzerte in Thüringen wie der Verfassungsschutz.
In ihrem Kapitel zum Rechtsextremismus in Thüringen setzt die Behörde zwei thematische Akzente. So wird zum Beispiel die Neue Rechte ausführlich beleuchtet, in deren Mittelpunkt die „Identitäre Bewegung“ (IB) in Thüringen stehe. Minister Maier bezeichnete den AfD-Vorsitzenden in Thüringen, Björn Höcke, als Anknüpfungspunkt zur intellektuellen rechten Szene. „Er kommt ja auch gerne mal mit pseudowissenschaftlichen Erklärungsmustern, die auch rassistisch basiert sind“, so Maier.
Deutlich mehr „Reichsbürger“
Der Abschnitt zu „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ umfasst gleich neun Seiten. Zum Ende des Vorjahres zählt die Behörde in Thüringen 550 Personen, die sie „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ zurechnet, 50 davon wiesen „einen rechtsextremistischen Bezug“ auf. In diesem Jahr rechnet der Verfassungsschutz bis heute etwa 650 Personen den „Reichsbürgern“ zu, weitere 300 Fälle würden noch geprüft. Innenminister Maier hob hervor: „Eine Vielzahl dieser Personen hat eine sehr hohe Affinität zu Waffen, wie Durchsuchungsmaßnahmen der Polizei in Thüringen 2016 und auch 2017 gezeigt haben. Die Gefahr, die insbesondere auch von bewaffneten Reichsbürgern ausgeht, darf nicht unterschätzt werden.“
Insgesamt reiche das Spektrum der „Reichsbürger“ vom „gefestigten Rechtsextremisten über Querulanten, Trittbrettfahrer mit reiner Zahlungsverweigerungsabsicht bis hin zu geistig Verwirrten bzw. psychisch erkrankten Personen“, heißt es in dem Bericht für 2016. Die darin genannte Zahl von bundesweit etwa 10 000 „Reichsbürgern“ ist inzwischen hinfällig, nach Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz und den Landesbehörden wurden 2017 nach den ersten drei Quartalen bereits 15.000 „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ gezählt. Darunter sollen „900 Rechtsextremisten“ sein, etwa 1000 „Reichsbürger“ verfügten demnacht über einen Waffenschein. Nur sechs Monate zuvor hatten die Verfassungsschützer noch von 12.800 „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ gesprochen.