Räumung Lützerath

„Lützi geht!“: Die ideale Projektionsfläche für Agitation von Rechtsaußen

Die anstehende Räumung Lützeraths im Rheinland beherrscht seit Tagen die Schlagzeilen. Seit diese am Mittwoch begonnen hat, dient sie rechten bis rechtsextremen Kreisen als Projektionsfläche, um Stimmung gegen „Klimaterroristen“ zu machen.

Samstag, 14. Januar 2023
Michael Klarmann
Ein Foo von Protesten in Lützerath bereits aus dem Jahr 2020, Foto: Alexander Franz, CC BY NC SA 2.0
Ein Foo von Protesten in Lützerath bereits aus dem Jahr 2020, Foto: Alexander Franz, CC BY NC SA 2.0

Seit langem hielten Umweltaktivisten, Braunkohlegegner, Klimaschützer und Menschen aus dem antifaschistischen und linksradikalen Spektrum Lützerath besetzt. Das Energieunternehmen RWE will die unter dem Weiler liegende Kohle abbaggern. Der Ort im Kreis Heinsberg liegt rund zehn Kilometer östlich der Kleinstadt Erkelenz. Ähnlich wie einst die Besetzung und Räumung des Hambacher Forstes bestimmten die Vorbereitung der Räumung und diese selbst seit Jahresbeginn die Schlagzeilen. Den Polizeieinsatz begleiteten rund 600 Medienschaffende.

Das bundesweite Rechtsaußen-Spektrum, aber auch Teile des Querdenker-Milieus, Verschwörungsfanatiker, „Reichsbürger“ und Impfgegner nutzten und nutzen die Räumung seit Tagen zwecks Agitation. Auch Demonstrationen am Rande und weitere Vorfälle, beispielsweise Besetzungen von und Anschläge auf Büros der Bündnis-Grünen, werden populistisch aufbereitet. Ziel von Stellungnahmen, Propaganda und Hetze waren und sind die Grünen, Linke bis Linksradikale und im besonderen Umwelt- und Klimaschutzaktivisten.

„Klimaterroristen“ Unwort des Jahres

Die Räumung mit einem massiven Polizeiaufgebot begann am 11. Januar. Einen Tag zuvor hatte die „Unwort-Jury“ an der Philipps Universität Marburg das Unwort des Jahres 2022 bekannt gegeben. Es lautete „Klimaterroristen“. Der polemische Ausdruck setze Klimaaktivisten mit Terroristen gleich, diese würden so kriminalisiert und diffamiert, begründet die Jury die Wahl. Die Bekanntgabe einen Tag vor der Räumung von Lützerath war Zufall. Rechten bis rechtsextremen Protagonisten spielte das allerdings in die Hände.

Kurz nach Beginn der Räumung bewarfen einige Besetzer in Lützerath über einen relativ kurzen Zeitraum anrückende Polizisten mit Flaschen, Steinen, Feuerwerkskörpern und mindestens einem Brandsatz. Umgehend griffen das Propagandisten der rechten bis rechtsextremen Szene auf. Während ein Mitarbeiter aus dem Mediennetzwerk des ehemaligen Bild-Chefs Julian Reichelt am Mittwoch um 9.11 Uhr den Wurf eines Molotow-Cocktails via Twitter meldete, schuf der Neonazi Michael Brück  – einst Die Rechte, nun Freie Sachsen – mittels des Tweets einen eigenen Post.

In Wortgewittern auf dem Schlachtfeld

Brück postete um 9.29 Uhr auf seinem Telegram-Kanal: „Molotow-Cocktails in Lützerath […] aber ‚Klimaterroristen‘ ist das Unwort des Jahres. Wir leben in einem Irrenhaus!“ Die Freien Sachsen teilten um 9.30 Uhr an jenem Morgen auf ihrem Telegram-Kanal mit: „Klimaterroristen beginnen Schlacht gegen die Polizei!“ Die rechtsextreme Regionalpartei meldete, es komme zu „schweren Krawallen – Flaschen, Steine und Pyrotechnik fliegen bereits. Es ist davon auszugehen, dass die Gewalt im Tagesverlauf weiter eskaliert.“

Agitation von rechts, hier Die Rechte und die Freien Sachsen
Agitation von rechts, hier Die Rechte und die Freien Sachsen

So begann das Framing im rechten Spektrum. Solche und ähnliche Postings wurden und werden breit geteilt und gestreut. Gleichwohl war der erste kurze Gewaltausbruch rasch zu Ende. Am Freitag titelte das rechtsextreme „Compact“-Magazin in seiner Online-Ausgabe dennoch: „Klima-Terroristen: Jetzt wollen sie Pferde aufspießen!“ Die „Klima-Idioten“ seien „krank im Kopf“, würden sich „Einbetonieren nach Mafia-Art“ und führten einen „rücksichtslosen Klima-Krieg“, hieß es in dem dazugehörigen Pamphlet.

Der angeblich „bewaffnete Arm der Grünen“

Selbst die Polizei und die meisten Medien berichteten wiederholt davon, dass der überwiegende Teil der Besetzer friedlich aufgab. Gewalttaten gegen Polizisten sollen sich demnach in Grenzen gehalten haben. Alle Befürchtungen vor schweren Krawallen und massiven Angriffen auf die Einsatzkräfte seien bis Samstagmorgen weitestgehend ausgeblieben, hieß es übereinstimmend immer wieder. Nahezu ohne Unterscheidung zwischen dem überwiegend friedlichen, gleichwohl deutlich unbequem agierenden Protest und dem sehr kleinen Teil, der auch Militanz befürwortete und ausübte, wurden die Besetzer aus dem rechten bis rechtsextremen Spektrum indes generell weiter „Klimaterroristen“ genannt.

Über Twitter polemisierte Reichelt, in Lützerath finde „Grüner Terror gegen den Staat“ statt und „ultra-gewaltbereite Grünen-Wähler [kämpfen] im Schutze ihrer Partei bewaffnet gegen die Polizei“. Ein am Donnerstag veröffentlichtes YouTube-Video der Serie „Achtung, Reichelt“ wurde mit den Worten betitelt, es gehe in der Sendung um den „Klimaterror in Lützerath“ und um den „bewaffnete[n] Arm der Grünen“. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Lucassen verbreitete via Twitter, dass wohl die Gründung einer neuer RAF nahe.

AfD: „Lützi muss weg!“ und „Zootiere“

Am zweiten Tag der Räumung, besuchten fünf nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete der AfD Lützerath, denn Parlamentarier aller Parteien erhalten bei solchen Einsätzen als parlamentarische Beobachter Zugang. So gewonnene Erkenntnisse und Bilder nutzten die AfD-Politiker auf Parteiseiten oder eigenen Profilen in den sozialen Medien.

"Lützi muss weg!", schreibt der AfD-Politiker Sven Tritschler auf seinem Instagram-Kanal, Foto: Screenshot
"Lützi muss weg!", schreibt der AfD-Politiker Sven Tritschler auf seinem Instagram-Kanal, Foto: Screenshot

So posierten etwa Sven Tritschler, Vizechef der AfD-Fraktion in NRW und stellvertretender Sprecher des Landesverbandes, Klaus Esser, ebenso Fraktionsvize, und der Landtagsabgeordnete Zacharias Schalley hämisch grinsend auf einem Foto mit einem von ihnen ergatterten „Lützi bleibt!“-Schild. Tritschler merkte polemisch via Facebook an: „Lützi geht!“ Derselbe kommentierte das Foto auf Instagram mit den Worten: „Lützi muss weg!“

Gewalt rund um den Wickeltisch?

Schalley nannte die Besetzer via Facebook „Sojasören“, sie verhielten sich wie „Zootier[e]“ und „verdreckt[en] Naturflächen mit Kot, Abfall und Sondermüll“. Sie würden nur so tun, als seien sie Umweltschützer. In einem Video der Landtagsfraktion kommentierte Esser, den Besetzern gehe es wohl nicht nur um „Naturschutz“, denn es habe eine „Vermüllung“ stattgefunden. Esser bezeichnete das Geschehen in Lützerath in einem Telegram-Post als „Aufstieg des Klimaterrors“.

In einem anderen Posting teilte der Dürener AfD-Landtagsabgeordnete Esser mit, dass die AfD-Delegation „in einem offenen Verschlag inmitten von Müll, Fäkalien, linksextremen Parolen und Gewalt einen Wickeltisch fanden“. Das mache ihn „fassungslos“. Tritschler bezeichnete in dem Video seiner Fraktion Lützerath als einen „linksradikalen Hotspot“. Auch er wies darauf hin, dass der Begriff „Klimaterroristen“ kein „Unwort“ sei, vielmehr treffe er auf die militanten Besetzer zu „und wir werden uns das Wort auch nicht verbieten lassen“.

Bollerwagen statt Wasserwerfer

Auch Querdenker, Verschwörungsgläubige, Putin-Anhänger, Reichsbürger und Antisemiten griffen die Räumung auf, wetterten gegen die Besetzer oder verbreiteten ihre ganz eigene Sicht darüber. In einem breit gestreuten Posting aus der Szene wurde ein Bild gezeigt von Polizisten, die eine Besetzerin mit einem Bollerwagen an den Rand der Absperrung transportieren. Verglichen wurde der durchaus ungewöhnliche Shuttle damit, dass die Polizei Linksextreme verhätscheln würde, bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen seien indes Wasserwerfer gegen Menschen eingesetzt worden. In Kommentaren wurde dazu die Lüge verbreitet, Polizisten hätten bei eigenen Demos auch wehrlose Senioren blutig geprügelt.

Auch der rechtsextreme Reichsbürger Dieter B. aus Inden bei Düren, gegen den unlängst eine Hausdurchsuchung wegen Verdachts der Volksverhetzung stattfand, sah sich berufen, über seinen Telegram-Kanal „Klartext 20/21“ die Räumung zu kommentieren. Die Gemeinde Inden liegt am Rand des Tagebau Hambach und rund 35 Kilometer Luftlinie von Lützerath entfernt. B. berichtete aus seinem fahrenden Auto per Video, nannte die Besetzer „Geistesgestörte“, die „ideologisch versifft“ seien und keinen Verstand hätten. B. verbreitet zwar selbst Hetze und Fake-News, wetterte jedoch gegen die Klimaschutzaktivisten, sie würden Falschinfos aus dem Internet aufsaugen und seien Verrückte.

Entmenschlichung der „Generation Ferkel“

In einem unter Rechtsextremen und Verschwörungsgläubigen gestreuten Telegram-Post hetzte der Schweizer Aktivist „Shipi“ gegen die „Generation Ferkel“ und verbreitete Fotos aus der Zeit vor der Räumung. Dabei lebten die Besetzer, nachdem RWE ihnen den Strom gekappt hatte, autark mittels einer Solaranlage. Der Verschwörungsgläubige, der sich nach einem negativ konnotierten Begriff für Menschen albanischer Herkunft benennt, hetzte über die „Linksextremen“. Sie nutzten „Wegwerfbatterien, versorgten sich aus plastikverpacktem Fastfood […]. Auf den Plätzen sieht man überall Alkohol, Dreck und Abfall […] und vergammelndes Essen liegt herum. Geschirr Abwaschen und aufräumen ist nichts für [die Besetzer und deren] omnipräsente Sauerei“.

Unter den Querdenkern und Impfgegnern sowie in der Kleinpartei Die Basis sind auch ehemalige Mitglieder und Unterstützer der Grünen respektive Tier- und Umweltschützer aktiv. Diese nutzten das Thema Lützerath auch dazu, um gegen ihre frühere Partei und ehemalige Parteifreunde oder Mitstreiter zu wettern. Rhetorisch wurden zugleich auch die Besetzer, die Antifaschisten und linksradikalen Autonomen angegangen.

Parteifeinde statt Parteifreunde

So ließ die frühere Grüne und heutige Die-Basis-Politikerin Mona Aranea aus Mönchengladbach auf ihrem Telegram-Kanal kein gutes Haar an den Besetzern und ihren früheren politischen Wegbegleitern. Nachdem das Büro der Grünen in Mönchengladbach von mutmaßlich linksradikalen Klimaaktivisten beschmiert worden war, schrieb die Soziologin, die wegen ihres Engagements bei den Corona-Demos die Grünen verließ und eine Stelle bei einer gewerkschaftlichen Einrichtung einbüßte, da hätten sich wohl die „von den Grünen herangezogenen Lützerather Klimaterroristen“ revanchiert.

An diesem Nachmittag finden rund um Lützerath mehrere Demonstrationen mit tausenden Menschen statt. Dabei kommt es nun zu größeren Auseinandersetzungen und Rangeleien zwischen einem Teil der Demonstrierenden und der Polizei. In einem rechtsextremen Chat fragte dazu eine Nutzerin: „Wo zum Teufel bleib[en] die Wasserwerfer?“ Ein anderer Nutzer schrieb: „Feuer frei[!] Drecks Antifa scheiss Terroristen[.]“ Über Greta Thunberg, die den Demonstrationen beiwohnt, schrieb ein Rechtsextremist: „das behinderte, schmutzige Kind“.

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