Landtagswahl in Sachsen: AfD überrennt NPD
Muss sich um einen neuen Job kümmern: Holger Szymanski (Foto: Oliver Cruzcampo)
Punkt 18.00 Uhr hielten die Anhänger der NPD den Atem an. Der braune Balken, der in den Fernsehprognosen an sechster Stelle aufgerufen wurde, überschritt die überlebenswichtige Grenze von fünf Prozent nur um Haaresbreite. Bereits im Laufe des Tages hatten die Meldungen von einer geringen Wahlbeteiligung die Runde gemacht. Letztendlich fand nicht einmal jede/r Zweite der 3,4 Millionen Wahlberechtigten den Weg ins Stimmlokal; was normalerweise kleineren Parteien in die Hände spielen sollte. Die letzten Umfragen, die die von Spitzenkandidat Holger Szymanski, einem eher blassen „Beamtentypen“ ohne jegliches Charisma, geführte Partei auf den letzten Metern doch noch den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde zutrauten, beflügelten deren Aktivisten.
Wie bei zurückliegenden Wahlkämpfen hatte die NPD auf eine Materialschlacht gesetzt, mit ihren Plakaten die entlegensten Landstriche zugekleistert. Ihre Tour durch Sachsen blieb demgegenüber ohne Resonanz, Wählerinnen und Wähler außerhalb des eigenen Milieus, das freilich in Sachsen größer ist als in vielen anderen Regionen Deutschlands, konnte sie nur selten ansprechen. Die Aufmerksamkeit der Medien erreichten die „Strategen“ in der Geschwister-Scholl-Straße in Riesa allenfalls mit Provokationen, auch wenn manch ein Schuss nach hinten losging und eventuell strafrechtliche Konsequenzen drohen. Für andere Aktionen blieb hingegen nur Spott übrig.
NPD scheitert auf der Zielgeraden
4,95 Prozent oder 81.060 Stimmen reichen bekanntlich nicht. Nach dem vorläufigen Endergebnis fehlten der NPD nur rund 800 Stimmen. Damit verliert die Partei 0,7 Prozentpunkte, was knapp 20.000 Stimmen entspricht, aber vor allem: ihre Fraktion. Landeschef Szymanski, der Sebnitzer Arzt Johannes Müller, Arne Schimmer, Alexander Delle, Mario Löffler, der frühere Chef-Ideologe der Partei, Jürgen Gansel, der sich in den letzten Jahren allerdings in seiner Landtagsarbeit aufgerieben hatte, und als einzige Frau Gitta Schüßler gewannen kein neues Mandat. Unterstützung erhielten die sieben Parlamentarier bislang von einem aufgeblähten Mitarbeiterstab, der SPIEGEL ONLINE zufolge gut 40 Anhänger umfassen sollte: In Dresden ist das „Versorgungsnetzwerk“ der NPD Geschichte.
Die sich selbst als „neue“ politische Kraft verstehende AfD bestätigte mit ihrem Ergebnis von 9,7 Prozent (159.547 Stimmen) das Resultat der Europawahl, als sie 10,1 Prozent eingefahren hatte – mehr Wählerinnen und Wähler hatte sie in keinem anderen Bundesland hinter sich versammeln können. 14 der 130 Mandate im Dresdner Parlament entfallen auf die Euro-Kritiker. Neben Petry, gegen die nach der Insolvenz ihrer Firma mittlerweile die Staatsanwaltschaft ermittelt, sind dies u. a. der frühere Mitarbeiter des CDU-MdB Manfred Kolbe, Uwe Wurlitzer, Mario Berger oder der Rechtsanwalt Andre Barth. Weitere Frauen neben Petry hievte die Partei nicht auf aussichtsreiche Listenplätze. AfD-Sprecher Bernd Lucke sah seine bunt zusammengewürfelte und mit nicht wenigen Querulanten besetzte Truppe damit endgültig im Parteiensystem angekommen.
AfD zieht NPD-Anhänger ab
Offenbar wilderte die AfD nicht nur bei der CDU, von der sie rund 35.000 Stimmen gewinnen konnte, sondern auch bei allen anderen Parteien. Von der NPD wanderten nach vorläufigen Zahlen von infratest dimap ca. 13.000 frühere Anhänger zu der selbsternannten Alternative. Die in Sachsen einen – auch für diese Partei – relativ rechten Kurs fahrende AfD scheint offenbar aufs richtige Pferd gesetzt zu haben. Die Wahlkämpfer der NPD hatten diese Gefahr zuletzt erkannt und sich zum „Original“ erklärt, gleichzeitig die blauen Senkrechtstarter auf vielen Fronten angegriffen. Außerdem machten sich 10.000 Menschen, die 2009 noch der NPD ihre Stimme gegeben hatten, nicht mehr auf den Weg ins Wahllokal. Jeder zehnte Unterstützer verweigerte ihr damit die Gefolgschaft und wechselte ins Lager der Nichtwähler. Der Skandal um den einstigen, unumstrittenen Frontmann der NPD im Freistaat, Holger Apfel, der junge männliche Gesinnungsgenossen sexuell belästigt haben soll, ging nicht ohne Spuren an der Partei vorüber.
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Rechte Wählermilieus verfestigen sich
Die Hochburgen der NPD blieben indes bestehen. Ihr bestes Ergebnis erzielte die Partei mit 10,9 Prozent im Wahlkreis Bautzen 5. In der Großen Kreisstadt machen lokale NPD-Aktivisten seit geraumer Zeit Front gegen eine Asylbewerberunterkunft, die in einem früheren Hotel errichtet wurde. Ihr „Lohn“: ein sattes Plus von 3,9 Prozentpunkten. Weit überdurchschnittlich erfolgreich war die NPD weiterhin in der Sächsischen Schweiz und im Erzgebirge. Dort lag ihre Zustimmung zwischen 5,7 Prozent (Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 1) und 9,9 Prozent (Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 4). In Meißen 2 entschieden sich 7,1 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die NPD. Nicht punkten konnten die Rechtsextremisten in den großen sächsischen Städten, besonders in den innerstädtischen Wahlkreisen. In Leipzig 5 reichte es gerade für schwache 1,8 Prozent, in Leipzig 2 für 2,0 Prozent, in Dresden 5 für 2,4 Prozent und in Dresden 1 für 2,8 Prozent.
Die nach wie vor bestehenden NPD-Schwerpunkt-Regionen zeichnete in dieser Wahl ein kaum übersehbarer weiterer Rechtsruck aus. Denn vielerorts lag auch die AfD über ihrem Landesdurchschnitt. Bautzen bescherte ihr ein Rekordresultat von 14,8 Prozent – damit kreuzte hier jede/r vierte Wählerin oder Wähler eine Partei rechts der Union an. Nur 0,2 Prozentpunkte weniger mobilisierte die Petry-Mannschaft in Görlitz (Wahlkreis Görlitz 3, 14,6 Prozent). In der Sächsischen Schweiz überzeugte die „Professoren-Partei“ genau wie im Erzgebirge mehr als elf Prozent der Wahlberechtigten. In Leipzig wachsen ihre Bäume nicht in den Himmel, obwohl sie hier die Fünf-Prozent-Hürde – wie in allen Wahlkreisen – überwinden konnte. Das schwächste NPD-Wahlgebiet Leipzig 2 bildet mit 5,2 Prozent auch das Schlusslicht im AfD-Ranking. Es folgt Leipzig 5 mit 5,6 Prozent.
Bundes-NPD fordert Neuauszählung
Es dauerte nur wenigen Stunden, bis schließlich das Nachtreten begann. Maik Scheffler, sächsischer Landesvize und Verfechter eines radikaleren Kurses, erklärte, die NPD sei als „Parlamentspartei gescheitert“. Eine inhaltliche und personelle Analyse müsse folgen. Im Klartext heißt dies wohl, dass die Tage von Szymanski an der Landesparteispitze gezählt sein dürften und damit die „seriöse Radikalität“, die noch sein Vorgänger Holger Apfel als strategischen Weg ausgerufen hatte, endgültig zu den Akten gelegt wird. Patrick Wieschke, Spitzenkandidat in Thüringen, beeilte sich, die politischen Unterschiede zwischen seinem Verband und den sächsischen „Kameraden“ herauszustreichen. In den verbleibenden beiden Wochen wird der vorbestrafte Kader mit seinen Unterstützern alles daran setzen, nicht in den Abwärtssog zu geraten. Vermutlich werden die Thüringer NPD-„Überzeugungstäter“ ihren Wahlkampf nochmals verschärfen.
Unterdessen kündigte die Bundes-NPD an, eine Neuauszählung der Stimmen „mit allen juristischen Mitteln“ erzwingen zu wollen. „Es wäre nicht das erste Mal, dass in der BRD eine rechte Partei nach anderslautenden Hochrechnungen durch Wahlfälschung und Auszählungsfehler auf knapp unter fünf Prozent gedrückt wird“, heißt es in einer knappen Erklärung. Schließlich hätte die Partei in den Hochrechnungen über drei Stunden stabil bei 5,0 Prozent gelegen. Vielleicht sollte ein Experte den Hobbypolitikern den Unterschied zwischen „Hochrechnung“ und „vorläufigem Endergebnis“ erläutern.
Pro Deutschland (3.162 Stimmen) und die ebenfalls am rechten Rand positionierte DSU (2.472 Stimmen) kamen jeweils über 0,2 Prozent nicht hinaus und scheiterten damit deutlich an der Grenze für Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung (1,0 Prozent bei Landtagswahlen).