Landnahme-Objekt Immenhof

Ein Anwesen in der Lüneburger Heide steht vor der Versteigerung. Corona-Leugner und Verschwörungsgläubige treffen sich auf dem Gelände um ihr visionäres Dorf zu planen.

Montag, 27. Juni 2022
Andrea Röpke / Olaf Meyer
Camping-Platz der TagungsteilnehmerInnen am Rande des Geländes
Camping-Platz der TagungsteilnehmerInnen am Rande des Geländes

Der Anführer weist der Gruppe den Weg über den Immenhof. Der Mann aus Hamburg, der Menschen vor Ort unter dem Namen Taifun bekannt ist, trägt moderne schwarze Kleidung, enge Hosen, Turnschuhe. Eine Feder im schwarzen Haar. Etwa 60 buntgekleidete Menschen mit wallenden Kleidern, die Männer oberkörperfrei, mit feuchten Tüchern auf dem Kopf, folgen ihm interessiert. Die meisten laufen barfuß.

Die Brunau plätschert am Immenhofweg im Bispinger Ortsteil Hützel entlang. Alles ist stark bewaldet. Entfernt sind Töne vom Heidepark Soltau zu hören. Die Center Parcs-Anlage sorgt für ausreichend Touristen und Wanderer in der Region. Das Immenhof-Gelände ist über diverse Wege erreichbar. Die meisten der unzähligen Gebäude auf dem weitläufigen Gelände sind erst beim Spaziergang erkennbar. Es gibt eine ehemalige Schule, viele Verwaltungs- und Wohngebäude, eine Reithalle, ein Freibad. Vieles ist verfallen, einiges noch nutzbar.

Anstehende Versteigerung

Am kommenden Mittwoch soll der „Immenhof - ehemaliger Heim- und Kurbetrieb“ vor dem Amtsgericht Soltau versteigert werden. Knapp 40 Hektar mit diversen Gebäuden aus den Baujahren zwischen 1920 und 1981, „teilweise fortgeschrittener Verfall“, „ca. 85 % Forst-, Landwirtschafts- und Wegeflächen und ca. 15 % bebaute/bebaubare Fläche“ für mindestens 320.000 Euro, heißt es in der behördlichen Beschreibung. Der Eigentümer hat Schulden, die Kommune zählt zu den Gläubigern.

Zu versteigernde Gebäude auf dem Immenhofgelände in Bispingen-Hützel
Zu versteigernde Gebäude auf dem Immenhofgelände in Bispingen-Hützel

Anwohner berichten von Hintermännern im Hamburger Rotlichtmilieu. Es seien auch schon Schüsse auf dem Gelände gefallen. Eine Firma, die mit Quell- und Brunnenwasser handelt, gibt es laut Firmenschild noch. Der Eigentümer wird von der „Süddeutschen“ als vorbestrafter, insolventer Hamburger Kaufmann mit Mafia-Kontakten beschrieben. An der Zufahrt zum Immenhof warnen Schilder: „Privatgelände! Unbefugten ist das Betreten verboten! Widerrechtliches betreten wird zur Anzeige gebracht“. Die Botschaft ist eindeutig, über das Anwesen auf dem inzwischen auch Tinyhäuser und Wohnwagen stehen, soll nicht einfach spaziert werden.

Über Telegram eingeladen

Erwünscht aber sind an diesem Wochenende die Mitglieder des geschlossenen geheimen „Immenhofkanal“ bei Telegram. Rund 80 haben sich für diesen Termin angemeldet, nicht alle sind angereist. Fahrzeuge aus Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Bayern und Österreich sind zu sehen. Unter denen, die Interesse am Immenhof haben, sind Sportler, Glücksritter und Lebenskünstler. Ein Schauspieler, mehrere Musiker, Therapeuten, Unternehmer, Coach und TrainerInnen. An einer umwaldeten Wiese am Evendorfer Weg sollen sie sich niederlassen. Tische und Stühle sind laut Einladung selbst mitzubringen. Die Nähe zur Natur ist gewollt. Immerhin träumen hier viele vom Ausstieg aus dem System und einem völlig befreitem Leben in Einklang mit Blut und Boden.

Führung der Organisatoren über das weitläufige Gelände
Führung der Organisatoren über das weitläufige Gelände

Das Camp auf der von der Sonne verdörrten Wiese ist bunt, Campingmobile, Autos mit modernen Dachzelten, buntbemalte alte Fahrzeuge und moderne Daimler mit auffälligen Dekor. Nicht nur Pril-Blumen zieren Wagen und Kleidung der Anreisenden, da macht der „Firemaker“ aus Bayern Werbung oder eine Tierheilpraxis aus dem Bergischen Land Werbung. „Geist formt Materie, Geomantie, Radiestesie ..“ steht in großen Buchstaben an einem Wiener Transporter. Andere tragen hellblaue Shirts mit der Aufschrift: „Kollektives Bewusstsein“. Ein behindertes Kind ist ebenso dabei wie eine Transfrau.

„Oase mit wirklich unbegrenzten Möglichkeiten“

Es sind nicht die klassischen Rechten, die sich hier versammelt haben, um einer „Vision“ vom neuen Dorf zu folgen. Aus dem Spektrum von Corona-Leugnern, Querdenkern und Verschwörungsideologen haben sich Wohnprojekte wie „Hollandia“ im sauerländischen Föckinghausen gebildet. Aus zahlreichen Bundesländern kommen weitere Hinweise auf Immobilienkäufe und Absichten. Zudem weitet sich die sogenannte „Landsitzbewegung“ nach den „Anastasia“-Büchern des russischen Autoren Wladimir Megre auch in Norddeutschland aus. Nicht nur der propagierte „Ausstieg aus dem System“, sondern auch völkisch geprägtes Leben auf dem Land ist zum rechten Hit geworden.

„Wir haben die Möglichkeit, hier etwas zu entwickeln, was es in dieser Form noch nicht gegeben hat und jeder ist eingeladen, sich einzubringen mit Tatkraft, Inspiration und anderen Ressourcen“, schreiben „Myriam & Christoph & Helmut“ in der Einladung. Mit dem Immenhof in Hützel gäbe es „die Möglichkeit, hier etwas zu entwickeln, was es in dieser Form noch nicht gegeben hat und jeder ist eingeladen, sich einzubringen mit Tatkraft, Inspiration und anderen Ressourcen“. Auf der „echten Oase mit wirklich unbegrenzten Möglichkeiten“ soll demnach ab Juli ein „Dorf“-Leben beginnen, allerdings wird vorher darum gebeten, mit „nur wirklich engen Trauten über das Wochenende zu sprechen und ggf. dann den Kanallink zu teilen“.

Bekannte Akteure

Das mehr als esoterische Spinnerei und bunte Fröhlichkeit hinter diesem Treffen steckt, hat die Antifaschistische Recherche Oberberg (AROB) aus dem Bergischen Land in Nordrhein-Westfalen recherchiert. Immerhin sind die Hauptdrahtzieher des Siedlungsprojektes eng mit Corona-Verschwörungs-Kanälen wie „Oberberg bewegt!“ und „DasSindWIROberberg“ verbunden.

Hauptzufahrtstraße zum Immenhofgelände mit Schildern des Noch-Eigentümers
Hauptzufahrtstraße zum Immenhofgelände mit Schildern des Noch-Eigentümers

Einer der Einladenden, Christoph Sch., hat Erfahrung mit Siedlungsideen unabhängig von staatlichen Strukturen und Kontrollen. Der frühere Berufssoldat gründete mehrere SoLaWis im Oberbergischen Kreis mit. In einem Chat des „Veteranen Pool“ schrieb er: „Wer nicht `gedient´ hat, sollte aus der Gruppe raus gehen“. Laut AROB organisierte er kürzlich ein halb-klandestines „Deutschlandtreffen“ in der Schnipperinger Mühle.

Kontakt zu verbotener Reichsbürger-Gruppe

Mit dabei auch Riccardo A., der Sch. zum Immenhof begleitet. A.s Kanal „Kollektives Bewusstsein“ hat 12.400 „Subscriber“ und scheint ein typischer Querdenken- und Verschwörungskanal. Ein weiterer Mann aus dem Umfeld von Sch. ist in Hützel dabei: Lange, graue Haare, groß gewachsen. Jörn K. engagiert sich im Kanal „Paradiesum DACH“, in dem Reichsbürgerideologie verbreitet wird. Der Mann berichtet dort von einem Telefonat mit Heike W., deren Spezialgebiet sei „die  Selbstbestimmung und Befreiung aus dem System“.

Anscheinend muss er der Gefolgschaft nicht erklären, wer W. ist: Selbsternannte „Generalbevollmächtigte der geeinten deutschen Völker und Stämme“, eines Fantasiereiches. 202O ließ das Bundesinnenministerium die Organisation verbieten. "Wir haben es mit einer Vereinigung zu tun, die rassistische und antisemitische Schriften verbreitet und damit unsere freiheitliche Gesellschaft systematisch vergiftet. Auch die verbale Militanz und massive Drohungen gegenüber Amtsträgern und ihren Familien belegen die verfassungsfeindliche Haltung dieser Vereinigung“, heißt es in der Erklärung.

„Anastasia“ als Vorbild

Im „Immenhofkanal“ wirkt Sch. sehr eng mit Peter K. zusammen. Der Wiener betreibt mehrere Telegram-Känale. Er war als einer der ersten in Bispingen-Hützel. Auf seinem Wohnmobile prangt ein SHAEF-Aufkleber. Das Kürzel stammt von der Bezeichnung der Alliierten für das 1943 entstandene „Oberkommando/Oberste Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte“, das diese 1945 nach der Kapitulation der Wehrmacht allerdings schnell wieder auflösten. Reichsideologen glauben, das SHAEF bestehe weiter und sei die einzige Rechtsautorität auf deutschem Boden, dessen Grenzen nicht die „BRD-GmbH“-Grenzen sind.

Begeistert berichtet der Mann mit dem Spitzbart der Anhängerschaft von Genuss- und Wirkreisen u.a. wie von seinem Besuch beim Allgäuer „Anastasia“-Guru und Betreiber des „Mutterhof“ Robert B.. Die Schwärmerei für „Anastasia“ und die sogenannte russische „Landsitzbewegung“ prägt das ganze Netzwerk um den „Immenhofkanal“. In Niedersachsen hat der Verfassungsschutz „Anastasia“ unter „Völkische Personenzusammenschlüsse“ im Jahresbericht aufgelistet.

Gegenproteste

Ab Freitagnachmittag sollte die versteckte Tagung starten mit dem Punkt „Humanimity (Genossenschaft), ÖV“. Zwei Offizielle von Humanimity waren angereist. Sie saßen bequem am Campingtisch, unterhielten sich mit den Anreisenden. Rechtzeitig zum Start des Versammlung wurde sich umgezogen und die Teilnehmerschaft bewegte sich in einem Tross in den Innenhof der alten Schule auf dem Immenhof. Neben Gesängen und gemeinsamen Spielen sollte es des Weiteren um die „Vision Immenhof und Immenhof jetzt“, österreichisches Vereinswesen, Energiekosteneinsparungstechnik, Freies Lernen und am Sonntag um den Tagungsordnungspunkt „kokreative Potentialwirkreise mit Zugang zum fairein(t)-Portal“ gehen.

Am Samstag werden die Dorfgründungswilligen mit dem Gelände vertraut gemacht. Sie scheinen ihrer Sache sicher. Nahe der Reithalle stehen drei selbstgezimmerte Tinyhäuser zum Bezug bereit. Doch noch ist die Zukunft des Immenhofs nicht geklärt. Das Gelände, das 1927 der AWO als Reformprojekt für Mädchen und jungen Frauen diente und ab 1933 von der Hitler-Jugend zur Schulung und Wehrertüchtigung genutzt wurde, könnte für 320.000 Euro unter dem Hammer kommen.

„Oder der Eigentümer treibt vorher Geld auf. Woher auch immer“, warnt Grünen-Lokalpolitiker Wulf Hemmerle. Hemmerle ist in Hützel aufgewachsen, ging in den Kindergarten der AWO auf dem Gelände. Es sei schon vorher besorgniserregend gewesen, „was dort seit den 1990ern vor sich geht“. Dann habe man vor Ort von dem rechten Treffen erfahren. Viele sind verwirrt über die Duldung durch den Eigentümer, der zwar „dubiose Firmen“ betreibe, aber nicht im politischen Kontext aufgefallen sei. „Jetzt hilft nur noch öffentlicher Protest“, mahnt Hemmerle und ruft gemeinsam mit der SPD, DGB und anderen zur Demo am Dienstagabend nach Bispingen auf. „Unser Ziel ist es, die Immobilie Immenhof für die Kommune zu sichern“, sagt Hemmerle. Davon sei man allerdings noch weit entfernt.

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