Kulturrevolution von Rechts: Mit der Metapolitik an die Macht?
Gramsci wurde im Jahr 1926 unter der faschistischen Herrschaft Mussolinis verhaftet und verfasste im Kerker seine berühmten „Gefängnishefte“. In diesen stellte er sich u.a. die Frage, warum ausgerechnet im rückständigen Russland im Jahr 1917 mit der „Oktoberrevolution“ eine proletarische Revolution siegreich sein konnte, während diese im entwickelten Westen auf sich warten ließ. Nach marxistischer Revolutionstheorie hätte nämlich der Übertritt in den Sozialismus mittels Revolution eher in den entwickelten westlichen kapitalistischen Ländern stattfinden müssen. Die Antwort unter dem Namen „Zivilgesellschaft“, auf die Gramsci stieß, bedeutete zugleich eine entscheidende Modifikation der marxistischen Gesamttheorie.
Der deutsche idealistische Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) unterscheidet in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ die Familie, die bürgerliche Gesellschaft und den Staat voneinander. Während die alle Familien umfassende bürgerliche Gesellschaft darauf angelegt sei, die „Befriedigung des Bedürfnisses“ herbeizuführen, garantiere der Staat notfalls mit Zwangsmitteln „die s e l b s t b e w u ß t e sittliche Substanz“ der Gesamtheit. Karl Marx (1818-1883) greift diese Unterscheidung auf, verkehrt die kausalen Zusammenhänge jedoch in ihr Gegenteil: Während Hegel noch davon ausging, dass der Staat als sittliche Substanz die mitunter gegensätzlichen Interessen der Individuen der bürgerlichen Gesellschaft einhegt, behauptet Marx als historischer Materialist umgekehrt, dass der Staat nichts weiter sei als eine Verlängerung der bürgerlichen Gesellschaft und damit ihres Egoismus. Der Bourgeois okkupiert folglich den Citoyen. In seinem Spätwerk wechselt Marx dabei die Begriffe. An die Stelle der bürgerlichen Gesellschaft tritt im Vorwort von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ (1859) die „ökonomische Struktur“ und an die Stelle des Staates der „Überbau“. Insofern Marx den Überbau als unmittelbaren materialistischen „Reflex“ der ökonomischen Basis ansieht, kann eine proletarische Revolution im eigentlichen Sinne folglich nur in den am meisten entwickelten kapitalistischen Staaten auftreten. Nur dort, wo die Basis in ökonomische Fundamentalwidersprüche auf dem Höhepunkt der kapitalistischen Entwicklung verwickelt ist, kann und muss diese Krise über eine reflexhafte Vermittlung auf den Überbau übergreifen und eine politische Revolution auslösen.
Als Antwort auf die Frage, warum genau dieser Zusammenhang in den am meisten entwickelten kapitalistischen Staaten Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gegeben ist, verweist Gramsci auf die Zivilgesellschaft (società civile). In den entwickelten Ländern habe sich oberhalb der ökonomischen Struktur und unterhalb des Staates ein Bereich freiwilliger politischer Initiative entwickelt, eben die Zivilgesellschaft. Diese besteht aus zahlreichen Vereinigungen aus den Bereichen Kultur und Sport, aber auch aus den Parteien, Gewerkschaften und der Presse, soweit diese meinungsbildende Effekte hervoruft. Gramsci versteht unter „Zivilgesellschaft“ letztlich all jene freiwilligen Betätigungen und Vereinigungen, die auf meinungsbildende und herrschaftssichernde Prozesse Einfluss nehmen. Diese fungieren als „Schützengraben“ der westlichen Demokratien. Während in Gesellschaften ohne entwickelte Zivilgesellschaft, also z.B. Russland, ein direkter Griff nach der politischen Macht möglich sei (Bewegungskrieg), müsse in den westlichen Ländern zunächst ein Stellungskrieg ausgefochten werden, um im zivilgesellschaftlichen, vorpolitischen Raum die Vorherrschaft zu erringen: „Die massive Struktur der modernen Demokratien, sowohl als staatliche Organisationen als auch Komplex von Vereinigungen im zivilen Leben, bilden für die politische Kunst so etwas wie die ‚Schützengräben’ und die dauerhaften Befestigungen der Front im Stellungskrieg.“
Eine Schlüsselrolle in dieser Auseinandersetzung um die „kulturelle Hegemonie“ sprach Gramsci dabei den Intellektuellen zu. Für die Arbeiterklasse forderte er die Herausbildung „organischer Intellektueller“, also solcher, die klassengebunden die intellektuelle Emanzipation der niederen Schichten organisieren sollen. „Intellektuelle“ sind für Gramsci dabei nicht Personen, die gewählt sprechen oder Bücher lesen, vielmehr legt er ein rein funktionalistisches Intellektuellenkonzept zugrunde: „Es kommt auf die Funktion an, die eine der Führung und der Organisation, also eine erzieherische, eine intellektuelle ist.“ Die organischen Intellektuellen müssten nun also anknüpfend beim widersprüchlichen „Alltagsverstand“ der Massen versuchen, diesen kohärent zu machen und ihm die Idee des kommunistischen Fortschritts einzuhauchen. Der Kampf um die „kulturelle Hegemonie“ wird nach Gramsci folglich nicht in erster Linie an den Universitäten und in Gelehrtenstuben, sondern an den Stammtischen im Bereich der „Folklore“ gewonnen – oder verloren.
Trotz der Bezugnahme wesentlicher Akteure der „Neuen Rechten“ auf die Theorien Gramscis behaupten bis heute jedoch deren führende Köpfe wie Dieter Stein, dass es in neurechten Kreisen kein „geheimnisvolle(s) Konzept einer ideologischen Wunderwaffe“ mit dem Namen „Metapolitik“ gebe. So nämlich bezeichnete Alain de Benoist die Übernahme der Grundgedanken Gramscis in den eigenen politischen Horizont: „Eines der Dramen der Rechten (...) ist ihre Unfähigkeit, die Notwendigkeit zu begreifen, daß auf lange Frist geplant werden muß. (...) Die Linke (...) verdankt (diesen Fortschritt, M.B.) vor allem dem allgemeinen Klima, das sie metapolitisch zu schaffen vermochte (...).“ Der Franzose referierte Mitte der 1980er in „Kulturrevolution von rechts“ mit dem Kapitel „Die kulturelle Macht“ auf wenigen Seiten weitestgehend zutreffend die Thesen Gramscis und plädierte für deren Übernahme durch die politische Rechte. Diese müsse „die Existenz einer kulturellen Macht zur Sprache bringen, die sich parallel zur politischen Macht installiert hat und dieser in gewisser Weise vorausgeht.“
Allerdings war dieser Text keinesfalls der Beginn einer Rezeption der „Metapolitik“ in Deutschland. Bereits ein Jahr zuvor veröffentliche der Grabert-Verlag Benoists Werk „Aus rechter Sicht“ (1984), in dem sich auch ein Aufsatz über Gramsci fand. Im gleichen Jahr machte außerdem die Zeitschrift „Junges Forum“ in ihrer Sommerausgabe unter dem Titel „Metapolitik – Was ist das?“ den Beitrag des Franzosen „Was ist die Neue Rechte?“ in deutscher Sprache zugänglich, dessen Lektüre bis heute aufschlussreich bleibt – nicht nur, weil er dessen These relativieren hilft, er hätte in seinem „ganzen Leben zwei Aufsätze über Antonio Gramsci geschrieben“. Die Redaktion von „Junges Forum“ begründete dabei die Entscheidung zum Abdruck des Textes kurioserweise u.a. wie folgt: „Bei verschiedenen Diskussion in der letzten Zeit haben wir feststellen müssen, daß die Gedanken der französischen ‚Neuen Rechten’ in Westdeutschland nur wenig bekannt sind. Selbst bei politisch durchaus informierten Freunden kam es manchmal vor, daß sie die ‚Neue Rechte’ für etwas Ähnliches wie ‚Neonazis’ hielten.“
Alain de Benoist verwies in diesem Aufsatz zunächst darauf, dass die „Neue Rechte“ eben nicht als politische Bewegung verstanden werden dürfe. Im Gegensatz hierzu handele es sich vielmehr um eine „Kulturbewegung, die nicht direkt an den Problemen unmittelbarer Politik interessiert ist, sondern theoretische, grundsätzliche Studien bevorzugt, die einen gewissen Abstand von der Tagespolitik erfordern.“ Indes löst dieses Selbstverständnis auch dann einen eklatanten Widerspruch zu den Theorien Gramscis aus, wenn gezeigt wird, dass eben jenes Verständnis auch rund um das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) gepflegt wird, das derzeit noch am ehesten für sich in Anspruch nehmen kann, die Tradition der französischen „Neuen Rechten“ in Deutschland fortzusetzen. Bekanntermaßen treten die Macher vom Rittergut Schnellroda der Politik nicht nur skeptisch, sondern regelrecht angewidert gegenüber, eben weil ihr als Fähigkeit zum Kompromiss immer etwas Gebrochenes anhaftet und insofern ein Mangel an „Authentizität“, an Reinheit. „Wer Metapolitik betreibt, arbeitet grundsätzlich und versucht, die prinzipiellen Zielsetzungen zu bestimmen und die Legitimitätsfragen zu klären.“, schrieb bspw. Wiggo Mann jüngst in der hauseigenen Theoriezeitschrift „Sezession“ Nr. 25 zu diesem Thema. Und auch Dieter Stein rühmte sich nach einer Umfrage, dass die Leser seiner Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF) vorwiegend dem gehobenen intellektuellen Milieu entstammen.
Im Widerspruch oder zumindest in Spannung zu Gramscis Theorie bewegen sich diese Überlegungen vor allem deshalb, weil „kulturelle Hegemonie“ nach Gramsci vom Volk und nicht vom Schreibtisch aus zu erobern ist. Während die „Neue Rechte“ ihr Konzept von „Metapolitik“ somit intellektualistisch von oben denkt, Zeitschriften verlegt, Institute aufbaut und Verlage gründet, plädierte Gramsci für ein Anknüpfen an die Alltagswelten der Menschen, an die Folklore, an den „Alltagsverstand“. Die Paradoxie wird komplett, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich ausgerechnet Alain de Benoist selbst im Klaren darüber ist, dass Gramsci eigentlich für einen hegemonialen Ansatz „von unten“ plädiert: „Unter den Mitteln, die Gramsci zu dieser Überzeugungsarbeit aufzählt, finden wir den Appell an volkstümliche Gefühle, die Umwertung der vorherrschenden Werte, die Schöpfung sozialistischer Helden, die systematische Nutzung von Kino, Songs, folkloristische Festivals usw.“ Der „Neuen Rechten“ fehlt in Deutschland somit nicht nur ein parteipolitischer Arm, sondern ebenfalls ein Glied der kulturellen, metapolitischen Vermittlung in der Mitte der Kette.
Stattdessen sind es ausgerechnet Kräfte im Umfeld von NPD und Kameradschaften, die an dieser originär gramscianischen, folkloristisch ausgerichteten alltagsnahen Strategie zur Erringung der „kulturellen Hegemonie“ seit Jahren basteln – mit Kinderfesten, Sonnenwendfeiern, ehrenamtlichem Engagement in Feuerwehren und Schützenvereinen, Folklorefesten und Massenzeitungen – ganz ohne die Lektüre des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci übrigens. Und ganz ohne ambitionierte Denkstuben.
Der deutsche idealistische Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) unterscheidet in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ die Familie, die bürgerliche Gesellschaft und den Staat voneinander. Während die alle Familien umfassende bürgerliche Gesellschaft darauf angelegt sei, die „Befriedigung des Bedürfnisses“ herbeizuführen, garantiere der Staat notfalls mit Zwangsmitteln „die s e l b s t b e w u ß t e sittliche Substanz“ der Gesamtheit. Karl Marx (1818-1883) greift diese Unterscheidung auf, verkehrt die kausalen Zusammenhänge jedoch in ihr Gegenteil: Während Hegel noch davon ausging, dass der Staat als sittliche Substanz die mitunter gegensätzlichen Interessen der Individuen der bürgerlichen Gesellschaft einhegt, behauptet Marx als historischer Materialist umgekehrt, dass der Staat nichts weiter sei als eine Verlängerung der bürgerlichen Gesellschaft und damit ihres Egoismus. Der Bourgeois okkupiert folglich den Citoyen. In seinem Spätwerk wechselt Marx dabei die Begriffe. An die Stelle der bürgerlichen Gesellschaft tritt im Vorwort von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ (1859) die „ökonomische Struktur“ und an die Stelle des Staates der „Überbau“. Insofern Marx den Überbau als unmittelbaren materialistischen „Reflex“ der ökonomischen Basis ansieht, kann eine proletarische Revolution im eigentlichen Sinne folglich nur in den am meisten entwickelten kapitalistischen Staaten auftreten. Nur dort, wo die Basis in ökonomische Fundamentalwidersprüche auf dem Höhepunkt der kapitalistischen Entwicklung verwickelt ist, kann und muss diese Krise über eine reflexhafte Vermittlung auf den Überbau übergreifen und eine politische Revolution auslösen.
Als Antwort auf die Frage, warum genau dieser Zusammenhang in den am meisten entwickelten kapitalistischen Staaten Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gegeben ist, verweist Gramsci auf die Zivilgesellschaft (società civile). In den entwickelten Ländern habe sich oberhalb der ökonomischen Struktur und unterhalb des Staates ein Bereich freiwilliger politischer Initiative entwickelt, eben die Zivilgesellschaft. Diese besteht aus zahlreichen Vereinigungen aus den Bereichen Kultur und Sport, aber auch aus den Parteien, Gewerkschaften und der Presse, soweit diese meinungsbildende Effekte hervoruft. Gramsci versteht unter „Zivilgesellschaft“ letztlich all jene freiwilligen Betätigungen und Vereinigungen, die auf meinungsbildende und herrschaftssichernde Prozesse Einfluss nehmen. Diese fungieren als „Schützengraben“ der westlichen Demokratien. Während in Gesellschaften ohne entwickelte Zivilgesellschaft, also z.B. Russland, ein direkter Griff nach der politischen Macht möglich sei (Bewegungskrieg), müsse in den westlichen Ländern zunächst ein Stellungskrieg ausgefochten werden, um im zivilgesellschaftlichen, vorpolitischen Raum die Vorherrschaft zu erringen: „Die massive Struktur der modernen Demokratien, sowohl als staatliche Organisationen als auch Komplex von Vereinigungen im zivilen Leben, bilden für die politische Kunst so etwas wie die ‚Schützengräben’ und die dauerhaften Befestigungen der Front im Stellungskrieg.“
Eine Schlüsselrolle in dieser Auseinandersetzung um die „kulturelle Hegemonie“ sprach Gramsci dabei den Intellektuellen zu. Für die Arbeiterklasse forderte er die Herausbildung „organischer Intellektueller“, also solcher, die klassengebunden die intellektuelle Emanzipation der niederen Schichten organisieren sollen. „Intellektuelle“ sind für Gramsci dabei nicht Personen, die gewählt sprechen oder Bücher lesen, vielmehr legt er ein rein funktionalistisches Intellektuellenkonzept zugrunde: „Es kommt auf die Funktion an, die eine der Führung und der Organisation, also eine erzieherische, eine intellektuelle ist.“ Die organischen Intellektuellen müssten nun also anknüpfend beim widersprüchlichen „Alltagsverstand“ der Massen versuchen, diesen kohärent zu machen und ihm die Idee des kommunistischen Fortschritts einzuhauchen. Der Kampf um die „kulturelle Hegemonie“ wird nach Gramsci folglich nicht in erster Linie an den Universitäten und in Gelehrtenstuben, sondern an den Stammtischen im Bereich der „Folklore“ gewonnen – oder verloren.
Trotz der Bezugnahme wesentlicher Akteure der „Neuen Rechten“ auf die Theorien Gramscis behaupten bis heute jedoch deren führende Köpfe wie Dieter Stein, dass es in neurechten Kreisen kein „geheimnisvolle(s) Konzept einer ideologischen Wunderwaffe“ mit dem Namen „Metapolitik“ gebe. So nämlich bezeichnete Alain de Benoist die Übernahme der Grundgedanken Gramscis in den eigenen politischen Horizont: „Eines der Dramen der Rechten (...) ist ihre Unfähigkeit, die Notwendigkeit zu begreifen, daß auf lange Frist geplant werden muß. (...) Die Linke (...) verdankt (diesen Fortschritt, M.B.) vor allem dem allgemeinen Klima, das sie metapolitisch zu schaffen vermochte (...).“ Der Franzose referierte Mitte der 1980er in „Kulturrevolution von rechts“ mit dem Kapitel „Die kulturelle Macht“ auf wenigen Seiten weitestgehend zutreffend die Thesen Gramscis und plädierte für deren Übernahme durch die politische Rechte. Diese müsse „die Existenz einer kulturellen Macht zur Sprache bringen, die sich parallel zur politischen Macht installiert hat und dieser in gewisser Weise vorausgeht.“
Allerdings war dieser Text keinesfalls der Beginn einer Rezeption der „Metapolitik“ in Deutschland. Bereits ein Jahr zuvor veröffentliche der Grabert-Verlag Benoists Werk „Aus rechter Sicht“ (1984), in dem sich auch ein Aufsatz über Gramsci fand. Im gleichen Jahr machte außerdem die Zeitschrift „Junges Forum“ in ihrer Sommerausgabe unter dem Titel „Metapolitik – Was ist das?“ den Beitrag des Franzosen „Was ist die Neue Rechte?“ in deutscher Sprache zugänglich, dessen Lektüre bis heute aufschlussreich bleibt – nicht nur, weil er dessen These relativieren hilft, er hätte in seinem „ganzen Leben zwei Aufsätze über Antonio Gramsci geschrieben“. Die Redaktion von „Junges Forum“ begründete dabei die Entscheidung zum Abdruck des Textes kurioserweise u.a. wie folgt: „Bei verschiedenen Diskussion in der letzten Zeit haben wir feststellen müssen, daß die Gedanken der französischen ‚Neuen Rechten’ in Westdeutschland nur wenig bekannt sind. Selbst bei politisch durchaus informierten Freunden kam es manchmal vor, daß sie die ‚Neue Rechte’ für etwas Ähnliches wie ‚Neonazis’ hielten.“
Alain de Benoist verwies in diesem Aufsatz zunächst darauf, dass die „Neue Rechte“ eben nicht als politische Bewegung verstanden werden dürfe. Im Gegensatz hierzu handele es sich vielmehr um eine „Kulturbewegung, die nicht direkt an den Problemen unmittelbarer Politik interessiert ist, sondern theoretische, grundsätzliche Studien bevorzugt, die einen gewissen Abstand von der Tagespolitik erfordern.“ Indes löst dieses Selbstverständnis auch dann einen eklatanten Widerspruch zu den Theorien Gramscis aus, wenn gezeigt wird, dass eben jenes Verständnis auch rund um das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) gepflegt wird, das derzeit noch am ehesten für sich in Anspruch nehmen kann, die Tradition der französischen „Neuen Rechten“ in Deutschland fortzusetzen. Bekanntermaßen treten die Macher vom Rittergut Schnellroda der Politik nicht nur skeptisch, sondern regelrecht angewidert gegenüber, eben weil ihr als Fähigkeit zum Kompromiss immer etwas Gebrochenes anhaftet und insofern ein Mangel an „Authentizität“, an Reinheit. „Wer Metapolitik betreibt, arbeitet grundsätzlich und versucht, die prinzipiellen Zielsetzungen zu bestimmen und die Legitimitätsfragen zu klären.“, schrieb bspw. Wiggo Mann jüngst in der hauseigenen Theoriezeitschrift „Sezession“ Nr. 25 zu diesem Thema. Und auch Dieter Stein rühmte sich nach einer Umfrage, dass die Leser seiner Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF) vorwiegend dem gehobenen intellektuellen Milieu entstammen.
Im Widerspruch oder zumindest in Spannung zu Gramscis Theorie bewegen sich diese Überlegungen vor allem deshalb, weil „kulturelle Hegemonie“ nach Gramsci vom Volk und nicht vom Schreibtisch aus zu erobern ist. Während die „Neue Rechte“ ihr Konzept von „Metapolitik“ somit intellektualistisch von oben denkt, Zeitschriften verlegt, Institute aufbaut und Verlage gründet, plädierte Gramsci für ein Anknüpfen an die Alltagswelten der Menschen, an die Folklore, an den „Alltagsverstand“. Die Paradoxie wird komplett, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich ausgerechnet Alain de Benoist selbst im Klaren darüber ist, dass Gramsci eigentlich für einen hegemonialen Ansatz „von unten“ plädiert: „Unter den Mitteln, die Gramsci zu dieser Überzeugungsarbeit aufzählt, finden wir den Appell an volkstümliche Gefühle, die Umwertung der vorherrschenden Werte, die Schöpfung sozialistischer Helden, die systematische Nutzung von Kino, Songs, folkloristische Festivals usw.“ Der „Neuen Rechten“ fehlt in Deutschland somit nicht nur ein parteipolitischer Arm, sondern ebenfalls ein Glied der kulturellen, metapolitischen Vermittlung in der Mitte der Kette.
Stattdessen sind es ausgerechnet Kräfte im Umfeld von NPD und Kameradschaften, die an dieser originär gramscianischen, folkloristisch ausgerichteten alltagsnahen Strategie zur Erringung der „kulturellen Hegemonie“ seit Jahren basteln – mit Kinderfesten, Sonnenwendfeiern, ehrenamtlichem Engagement in Feuerwehren und Schützenvereinen, Folklorefesten und Massenzeitungen – ganz ohne die Lektüre des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci übrigens. Und ganz ohne ambitionierte Denkstuben.