„Kritische Befragung wird verhindert“
Im Münchner NSU-Verfahren werfen Nebenkläger der Generalbundesanwaltschaft „prozessordnungswidriges“ Verhalten vor, das Neonazi-Zeugen schützen würde.
Die Stimme klingt fest. Von dem Verhandlungsprocedere scheint sich die Zeugin wenig eingeschüchtert zu fühlen. Am 99. Verhandlungstag im NSU-Verfahren musste Juliane W. erneut aussagen, die ehemalige Freundin des Mitangeklagten Ralf Wohlleben und nahe Zuträgerin des Thüringer Verfassungsschutzes. Auf Fragen der Nebenkläger der Opfer und Angehörigen wusste die resolut erscheinende 32-jährige Frau aber vor allem immer eins zu antworten: „Ich kann mich nicht erinnern.“
Eine Verweigerungshaltung, die Rechtsanwältin Gül Pinar am Donnerstag dazu bewog, über die Androhung eines Ordnungsgeldes nachzudenken, damit die Zeugin, die dem NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bei der Flucht geholfen haben soll, doch noch rede. Kaum hatte die Nebenklägerin diese Überlegung ausgesprochen, schien die Stimmung im Münchner Schwurgerichtssaal zwischen den Prozessbeteiligten giftiger zu werden.
Kurz vor dem 100. Verhandlungstag sind am Oberlandesgericht München die Fronten erhärtet. In einer Erklärung werfen 28 Rechtsbeistände wie Mehmet Daimagüler, Alexander Kienzle, Alexander Hoffmann, Angelika Lex, Angela Wierig und Gül Pinar dem Generalbundesanwalt (GBA) vor, eine „kritische Befragung von Nazi-Zeugen zu verhindern“. Er würde einer Aufklärung der Strukturen „aktiv“ entgegentreten, die „zur Entstehung und Fortbestand des NSU geführt“ und Unterstützungen geleistet haben könnten, heißt es.
Wohnung angemietet, aber das Trio nicht gekannt
Einer der Anlässe für diese Erklärung war die Vernehmung von Carsten R. Im Sitzungssaal A 101 des Oberlandesgerichts München musste R., der damals zumindest rechtsextrem war, als Zeuge erscheinen, da er für Uwe Böhnhard, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zwischen 1998 und 1999 in Chemnitz eine Wohnung angemietet hatte. R. will die drei nicht gekannt, Kaution und Miete einfach gezahlt haben. Einmal im Monat wäre er vorbeigekommen um nachzufragen, ob alles in Ordnung sei. Als das Trio auszog, renovierte er ohne Fragen die Wohnung.
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl wollte das am 95. Verhandlungstag nicht so glauben. Auch mehrere Nebenkläger nicht. Rechtsanwältin Pinar fragte R., ob ihm der Grund des Abtauchens der drei Neonazis „grenzenlos egal“ gewesen sei. R. antwortete prompt: „Mir war es egal, ob sie Schokoriegel geklaut oder jemanden umgebracht haben.“ Beim Nachfassen, welche Gedanken sich R. nach dem Bekanntwerden des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ im November 2011 und der dem NSU zur Last gelegten Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle gemacht hätte, schritt der GBA ein. „Wir sind hier nicht das Jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen, die er damals hatte, zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden“, sagte Herbert Diemer für den GBA.
Fragen zu einem möglichen NSU-Netzwerk bleiben unbeantwortet
Mit diesem Verhalten hätte der GBA „prozessordnungswidrig“ in das Fragerecht der Nebenkläger eingegriffen, kritisieren die Rechtsanwälte. Ein solches Intervenieren wäre schon mehrmals bei Zeugen aus der rechten Szene zu beobachten gewesen. Längst hätte sich bei diesen Zeugen herumgesprochen, dass „sie beim Lügen oder Vortäuschen von Erinnerungslücken nicht nur mit keinerlei Sanktionen rechnen müssen, sondern ihnen dabei im Zweifel die Bundesanwaltschaft zur Seite springt“.
Eine „Unterstellung“, die die Generalbundesanwaltschaft, „mit Nachdruck zurückweist“, so Marcus Köhler. In einer mehrstündigen Vernehmung wäre R. „ausgiebig befragt“ worden, schiebt der Pressesprecher der GBA nach. Den Nebenklägern würde durch die GBA ein „umfassendes Fragerecht" zugestanden, betont er und hebt hervor, dass sie als „Garant für die Gesetzmäßigkeit“ jedoch „selbstverständlich im Einzelfall darauf hinweisen würden, dass Fragen unzulässig seien könnten, wenn „sie sich nicht wenigstens mittelbar auf die angeklagten Taten und ihre möglichen Rechtsfolgen beziehen“.
Mit „Blick auf die berechtigen Interessen der Opfer und Angehörigen“ würde die GBA sich „von einem denkbar großzügigen Maßstab leiten“ lassen. Anwalt Hoffmann sieht dies, wie auch mehrere Nebenkläger, anders: „Die GBA ist nur bemüht, ihre einmal formulierte Anklage zu halten.“ Fragen zu einem möglichen Netzwerk um den NSU blieben unbeantwortet.