Wie hältst du’s mit der AfD?

Kooperationen mit der extremen Rechten auf kommunaler Ebene

Das an der Universität Leipzig angesiedelte Else-Frenkel-Brunswik-Institut erforscht die Demokratie in Sachsen. Das aktuelle Jahrbuch beschäftigt sich dabei mit demokratiefeindlichen Bestrebungen im Freistaat – ENDSTATION RECHTS. veröffentlicht einen Beitrag zu Kooperationen mit extrem rechten Parteien auf kommunaler Ebene in Sachsen.

Freitag, 12. Mai 2023
Größtenteils unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit ist es auf kommunaler Ebene bereits mehrfach zu Kooperationen mit der AfD gekommen.
Größtenteils unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit ist es auf kommunaler Ebene bereits mehrfach zu Kooperationen mit der AfD gekommen.

Wir sind uns im CDU-Landesvorstand, mit den Kreisvorsitzenden, mit der Landtagsfraktion in dieser Frage absolut einig: keine Koalition, keine Kooperation und damit auch keine Minderheitsregierung.

Michael Kretschmer, CDU, Ministerpräsident Sachsen, 8. August 2019

 

Die AfD steht am Rand unserer Verfassungsordnung. Sie betreibt eine staatsfeindliche und rückwärtsgewandte Politik. Eine Zusammenarbeit mit ihr wäre ein Verrat an unseren christdemokratischen Werten.

Paul Ziemiak, CDU, MdB, ehemaliger Generalsekretär der CDU, 6. November 2019

 

Einführung

Am 5. Februar 2020 wurde Thomas Kemmerich (FDP) im dritten Wahlgang zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt – mit Stimmen von FDP, CDU und AfD. Kemmerich, dessen Partei mit lediglich fünf Stimmen die 5-Prozent-Hürde übersprang, hatte keine parlamentarische Mehrheit, war faktisch handlungsunfähig und trat nach erheblichem Druck nach wenigen Tagen zurück. Der Thüringer AfD unter Björn Höcke aber war damit ein parlamentarischer Coup gelungen. Die Wahl Kemmerichs löste ein politisches Erdbeben aus und wird landläufig als „Dammbruch“ bezeichnet (vgl. Debes, 2021). Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer twitterte damals: „Mit der AfD darf es keine Zusammenarbeit geben. Man kann nur im Interesse von #Thueringen erwarten, dass es so viel Vernunft gibt, dass man sich einigt und dass es dann in einem geordneten Prozess zu #Neuwahlen kommt“ (Kretschmer, 2020). Bekanntlich fanden keine vorgezogenen Neuwahlen statt.

Die Wahl Kemmerichs im Februar 2020 wird oft als eines der prominentesten Beispiele für die Kooperation zwischen demokratischen Parteien und der extremen Rechten auf parlamentarischer Ebene angeführt. Doch kann in diesem konkreten Fall überhaupt von Kooperation gesprochen werden? Schließlich waren die Wahlen zum Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag geheim und Thüringer Abgeordnete sind Vertreter aller Bürger des Landes. Die sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verantwortlich. Hätten Kemmerich sowie die FDP und die CDU die Möglichkeit einer Zustimmung durch die AfD antizipieren müssen? Und hätten sie dann anders handeln sollen? Ist überhaupt von Kooperation zu sprechen, wenn es keine klare (und nachweisbare) Vereinbarung oder Verabredung zur Wahl gab?

Fest steht, dass seit Gründung der AfD 2013 über den Umgang mit ihr gestritten wird. Die AfD hat sich seither zu einer Partei der extremen Rechten entwickelt und ist aktuell der zentrale Bezugspunkt im Rechtsextremismus. Daher fokussiert der vorliegende Artikel hauptsächlich auf diese Partei. (Einen Überblick über die vier relevanten extrem rechten Parteien in Sachsen und deren arbeitsteiliges Vorgehen liefert Kiess in seinem Beitrag für dieses Jahrbuch). Mit Blick auf den Bundestag konstatieren Butterwegge et al.:

Sobald sich eine Partei wie die AfD im Parlamentsbetrieb über mehr als ein, zwei Legislaturperioden hinweg fest etabliert hat, folglich Anträge, Anfragen und Reden ihrer Abgeordneten auch nicht mehr wie vielleicht noch zu Beginn kritisch unter die Lupe genommen werden, gewinnen Programm, Ideologie und Politik, die sich darin manifestieren, erheblich an normativer Kraft und allgemeiner Legitimität.

Butterwegge et al., 2018, 54

Gewöhnungseffekte eröffnen also neue Spielräume für extrem rechte Akteur*innen, das genauere Hinsehen wird umso wichtiger.
 

Wie etablierte Parteien mit rechtsradikalen Akteuren und ihren Positionen umgehen, bestimmt maßgeblich, welchen direkten oder indirekten Einfluss diese auf das Parteiensystem, das Regierungshandeln und schließlich das gesamte politische System ausüben können.

Heinze, 2021, 135

Dieser allgemeinen Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze lässt sich zweierlei hinzufügen. Erstens geht es auf kommunaler Ebene bei Entscheidungen entgegen der landläufigen Meinung nicht um vermeintlich neutrale Sachpolitik, sondern auch um politisch und normativ hochaufgeladene Fragen. Neben Debatten und Entscheidungen über Straßenneubauten, Gewerbegebiete und Gebührenordnungen werden auf dieser Ebene beispielsweise auch über die Ausstattung und Förderung von Kinder- und Jugendhilfe, Kunst und Kultur, die Unterbringung von Geflüchteten sowie die Höhe der „Kosten der Unterkunft“ entschieden. Viele dieser Entscheidungen beeinflussen ganz konkret das Leben und Zusammenleben von Menschen. Zweitens sind der Umgang und die mögliche Kooperation zwischen demokratischen und extrem rechten Parteien und Wählervereinigungen auf kommunaler Ebene ein Vorzeichen für mögliche Entwicklungen auf Landes- und Bundesebene. Die kommunale Ebene dient dabei oft als eine Art Labor und Experimentierfeld, schließlich kennt man sich hier und die Bundespolitik ist weit weg.

Der vorliegende Beitrag analysiert explorativ das bereits angedeutete Spannungsfeld der Kooperation mit der extremen Rechten auf kommunaler Ebene in Sachsen. Da zum Gegenstand bislang kaum Forschung existiert, will der vorliegende Beitrag zur weiteren (wissenschaftlichen) Auseinandersetzung anregen.

Analysen zu kommunaler Ebene kaum vorhanden

Vor allem in Politikwissenschaft und Soziologie existiert eine rege Forschungstätigkeit zur allgemeinen Entwicklung und zu konkreten Erscheinungsformen des Rechtsextremismus (vgl. exemplarisch Botsch/Schulze, 2021; Schulze, 2021). Arbeiten zur parlamentarischen Arbeit der extremen Rechten sind allerdings rar gesät, beispielsweise werden hinsichtlich der AfD oftmals nur die allgemeine Verortung und Entwicklung der Partei (vgl. Funke/Mudra, 2018; Virchow, 2020; Häusler, 2022) oder aber spezifische Aspekte (z. B. Spendenaffären, vgl. Pittelkow/Riedel, 2022) beleuchtet.

Für den Bundestag, in welchen die AfD im September 2017 mit 12,6% gewählt wurde, haben beispielsweise Butterwege et al. bereits 2018 eine erste Analyse der parlamentarischen Arbeit veröffentlicht. Sie fassen zusammen:

Vielerorts wirkt die Parlamentsarbeit der AfD insofern monothematisch, als sämtliche Probleme, mit denen sich die Anträge, Anfragen und Reden ihrer Abgeordneten beschäftigen, auf die Flüchtlings- bzw. Migrationsfrage zurückgeführt werden. Dagegen unterscheidet sich der Umgang mit kommunalen Belangen von Ort zu Ort, wodurch leicht der Eindruck inhaltlicher Beliebigkeit und politischer Widersprüchlichkeit entsteht. Die parlamentarische Arbeit der AfD in Berlin, den Bundesländern und den Kommunen ist weder zentral gesteuert, noch wird sie vernünftig koordiniert.

Butterwege et al., 2018, 61

 

Sie führen weiterhin aus, dass „es der AfD letztlich um einen prinzipiellen Bruch mit zentralen Werten des Grundgesetzes geht“ (ebd., 213). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Botsch in einer allgemeinen Betrachtung der parlamentarischen Arbeit der AfD:
 

Für konstruktive parlamentarische Oppositionsarbeit ist die AfD offenkundig nicht zu haben. Sie ist im Kern eine antiparlamentarische Partei, die die Grundlagen der bundesdeutschen Demokratie zerstören will. Daher ist sie auch weder daran interessiert noch dazu geeignet, innerhalb des Rahmens des politischen Systems eine Repräsentationslücke am rechten Rand zu schließen.

Botsch, 2018

 

Auch auf der Landesebene gibt es für einige Bundesländer Analysen zur parlamentarischen Arbeit der AfD, beispielhaft seien hier die Arbeiten von Jennerjahn (2016, Sachsen), Schickert (2017, Thüringen), Hafeneger et al. (2018, Rheinland-Pfalz) und Hafeneger/Jestädt (2020, Hessen) genannt. Den Untersuchungen ist gemein, dass sie auf die inhaltliche Arbeit der AfD in Form von Anfragen, Anträgen und Gesetzesinitiativen fokussieren. Trotz unterschiedlicher Kategorienbildung und Zuordnung sowie Differenzen zwischen den Bundesländern und der dortigen AfD wird klar, dass das Themenfeld Flucht/Asyl/Migration von zentraler Bedeutung für die AfD ist und von der Partei am stärksten bearbeitet wird.

Mit der parlamentarischen Arbeit der AfD auf der kommunalen Ebene beschäftigen sich unter anderem die Arbeiten von Gorshkih et al. (2016, Kreistag Görlitz und Kreistag Mittelsachsen), Hafeneger et al. (2018, Hessen und Niedersachsen) sowie Gerbsch/Bescherer (2020, Leipzig). Diese untersuchen die Inhalte der AfD ebenfalls anhand von Anfragen und Anträgen und kommen dabei für die kommunale Ebene zu unterschiedlichen Einschätzungen: Während in den Kreistagen Görlitz und Mittelsachsen erneut das Themenfeld Flucht/Migration/Asyl von zentraler Bedeutung für die Arbeit der AfD ist, liegt der Fokus in Leipzig beispielsweise auf der Verkehrspolitik. Diese lokalen Unterschiede lassen sich einerseits auf unterschiedliche Rahmenbedingungen, anderseits auf das Personal der AfD zurückführen. Gerbsch und Bescherer fassen das kommunale Agieren der AfD in Leipzig folgendermaßen zusammen:

Im betrachteten Zeitraum waren die AfD-Stadträt*innen in der Ratsversammlung regelmäßig aktiv und haben sich am kommunalpolitischen Betrieb beteiligt. Als gewöhnliche Oppositionspartei, zu deren Aufgaben die Kontrolle der Stadtverwaltung gehört, kann die Leipziger AfD dennoch nicht beschrieben werden. Zu klar lässt sie immer wieder ihre über die Grenzen demokratischen Streits hinausgehende Frontstellung gegen alle anderen Parteien erkennen, verwechselt Politik mit der Führung eines Wirtschaftsunternehmens und lehnt Debatten als unnützes Gerede ab. Eine klare Linie der Parteiarbeit ist zudem nicht auszumachen. Insgesamt ist jedoch eine Kluft zwischen Zurückhaltung bis Desinteresse im Plenum und Aggressivität und Polemik in sozialen Medien sowie auf der Partei-Webseite zu bemerken.

Gerbsch/Bescherer, 2020, 25

 

In all den genannten Analysen werden Kooperationen zwischen AfD und demokratischen Parteien nicht behandelt. Dies liegt neben den Untersuchungsebenen des föderalen Systems (hauptsächlich Beiträge zum Bundestag und den Landtagen) auch an der Neuheit des Forschungsgegenstandes. Nach Heinze (2020, 2021) ist das Verhalten demokratischer Parteien zu Parteien der extremen Rechten nicht systematisch erforscht. Ihren Ausführungen nach stoßen bisherige Typologien oftmals an ihre Grenzen, da sie keine Trennung zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Ebene ziehen, verschiedene Arten von Parteien vermischen und einen unreflektierten Strategiebegriff verwenden (ebd., 25 ff.). Heinze schlägt stattdessen eine neue Typologie vor, welche zwischen der formalen Ebene (strikte Ausgrenzung – vereinzelte Duldung – legislative Zusammenarbeit – Minderheitsregierung – Koalition) und der inhaltlichen Ebene (ignorieren – dämonisieren – entschärfen – debattieren – übernehmen) unterscheidet und dennoch beide Ebenen zusammendenkt (ebd., 43ff.).

Zur Frage der Kooperationen auf kommunaler Ebene sind journalistische Beiträge wesentlich ergiebiger als wissenschaftliche Arbeiten. Beispielhaft seien hier Grunert (2019), Report Mainz (2019), Hagen et al. (2020), Liebetrau/Nejezchleba (2021) und Schmoll (2021) genannt, die Beispiele von Kooperationen zusammentragen, inhaltlich einordnen und einer medialen Logik folgend auch skandalisieren. Nachteil tagesaktueller journalistischer Berichterstattung ist zumeist das Fehlen einer systematischen Analyse. Diese soll im Folgenden geleistet werden.

Kommunale Mehrheitsverhältnisse und Kooperationsmöglichkeiten

Bei den sächsischen Kommunalwahlen im Mai 2019 wurden Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte, Ortschaftsräte sowie einige Bürgermeister*innen neu gewählt. Zur Wahl traten zahlreiche extrem rechte Parteien und Kandidat*innen an. Neben bundesweit aktiven Parteien (AfD, Der III. Weg, NPD) waren dies vor allem kommunale Wählervereinigungen (Freie Bürger Schwarzenberg, Freie Liste für Geithain, Freie Wähler Dresden, Freie Wähler Freital, Liste Gelenau, Neue Liste Jahnsdorf, Neues Forum für Wurzen, Niederdorfer Bürger, Pirna kann mehr, Pro Chemnitz; vgl. auch Hummel, 2019, sowie den Beitrag von Kiess in diesem Band). Die AfD erreichte auf der Kreistags- bzw. Stadtratsebene zwischen 14,9% (Stadt Leipzig) und 29,4% (Bautzen). In den Kreistagen von Bautzen und Görlitz wurden sie damit stärkste Kraft. Das beste AfD-Ergebnis bei einer Oberbürgermeisterwahl erreichte Sebastian Wippel in Görlitz (erster Wahlgang 36,4%, zweiter Wahlgang 44,8%).

2022 wurden alle Landräte (außer Meißen) sowie zahlreiche Bürgermeister*innen neu gewählt. Bei der Landratswahl erreichte die AfD zwischen 16,4 % (Erzgebirgskreis) und 35,8 % (LK Görlitz), trat aber nicht überall an. Ohne AfD-Konkurrenz erreichten die erst 2021 gegründeten Freien Sachsen mit 20% ihr bestes Ergebnis in Nordsachsen.

Die Wahlentscheidung für oder gegen eine Partei und/oder Person hängt von zahlreichen Faktoren ab und ist Gegenstand intensiver Forschung (vgl. Niedermayer, 2013). Für die Landtagswahl 2019 haben Kiess und Dilling die Ergebnisse auf der Gemeindeebene untersucht und erkennen Unterschiede auf der sozial-, wirtschafts- und infrastrukturellen Ebene:

In großen sächsischen Städten mit guter Nahversorgung, starkem Zuzug und hohem Frauenanteil reüssieren Grüne und Linke eher, auf dem Land wird in schrumpfenden Gemeinden eher die AfD, in wachsenden eher die CDU gewählt. Darüber hinaus spielen weitere Faktoren eine Rolle: Rechte Parteien sind dort stark, wo demokratische Strukturen und die Zivilgesellschaft schwächer sind.

Kiess/Dilling, 2022, 119

 

Die kurze Skizze der Wahlerfolge der extremen Rechten auf kommunaler Ebene in Sachsen macht zwei Aspekte deutlich. Erstens ist die extreme Rechte auch aus der Kommunalpolitik nicht mehr wegzudenken. Trotz deutlicher regionaler Unterschiede (z.B. hinsichtlich der regionalen Verankerung, der Aufstellung von Kandidat*innen und auch des Wahlergebnisses) kann die extreme Rechte bei der Beschreibung und Analyse von Kommunalpolitik nicht ignoriert werden. Dies führt zweitens zur Notwendigkeit einer Debatte über den Umgang mit der extremen Rechten auf kommunaler Ebene. Trotz der Vorgaben der Bundesvorstände einzelner Parteien lassen sich hier zahlreiche Beispiele für einen eigenen, lokalspezifischen Umgang und Aushandlungsprozesse finden, was oftmals mit der vermeintlichen Sachorientierung der Kommunalpolitik begründet wird. Verschiedene Formen von Kooperation sind dabei ein möglicher Umgang demokratischer Parteien mit der extremen Rechten.

Wie anhand des eingangs geschilderten Beispiels aus dem Februar 2020 in Thüringen deutlich wurde, ist die Frage, wann von einer Kooperation gesprochen werden kann, nicht so einfach zu beantworten. Im Folgenden wird Kooperation sowohl als formale Zusammenarbeit (z.B. Zusammenschluss als Fraktion), wie auch als Absprachen und gemeinsames Abstimmungsverhalten verstanden. Insbesondere Letzteres ist jedoch schwer einzuordnen, stimmen doch auf kommunaler Ebene immer wieder extrem rechte Abgeordnete Anträgen demokratischer Parteien zu. Daher wird hier eine inhaltliche Bewertung vorgenommen: Wenn politische Gegner*innen im Parlament oder eine kritische Zivilgesellschaft vor Ort, Pluralismus und Solidarität gemeinsam von demokratischen Parteien und extrem rechten Parteien eingeschränkt werden (sollen), dann wird dies als Kooperation aufgefasst. Das Abstimmungsverhalten zu Bauvorhaben beispielsweise fällt somit nicht darunter.

Konkret finden sich folgende – teilweise auch überlappende – Formen der Kooperation:

  • Absprachen, z.B. in Vorbereitung auf gemeinsames
  • Abstimmungsverhalten oder gemeinsame Wahl;
  • allgemeine Kooperation, z.B. andauernde Zusammenarbeit zur inhaltlichen Gestaltung;
  • gemeinsames Abstimmungsverhalten (Initiative demokratische Partei, Initiative extrem rechte Partei);
  • gemeinsame Wahl (Initiative demokratische Partei, Initiative extrem rechte Partei), z.B. zur Verteilung von Ausschuss- und Aufsichtsratsposten;
  • gemeinsame Fraktion.

Kommunale Kooperationen

Seit der Kommunalwahl 2019 lassen sich in Sachsen mindestens 21 Fälle von Kooperation zwischen extrem rechten und demokratischen Parteien finden. Die nachfolgenden Einordnungen der Kooperationen ergeben sich aus den Mehrheitsverhältnissen in den entsprechenden Stadt- und Gemeinderäten sowie Kreistagen, eigenen Äußerungen abstimmender Abgeordneter sowie (lokaler) Medienberichterstattung. Die Einordnung als Kooperation wurde so weit wie möglich plausibilisiert. Ob alle einzelnen Abgeordneten einer Fraktion im Einzelfall entsprechend abgestimmt haben, kann nicht nachvollzogen werden, da keine namentlichen Abstimmungsergebnisse öffentlich zugänglich sind. Es gibt Hinweise auf zahlreiche weitere Fälle von Kooperationen, allerdings ist hier die Informationslage ungenügend, sodass diese in die Analyse nicht aufgenommen werden konnten. Tabelle 1 gibt Aufschluss über die für diesen Beitrag recherchierten Fälle.

Ausgangspunkt der Zusammenstellung waren zahlreiche journalistische Recherchen und Beiträge (vgl. Grunert, 2019; Report Mainz, 2019; Endstation Rechts, 2019; Lasch, 2019; Hagen et al., 2020). Diese wurden gesammelt und zusammen mit den entsprechenden Sitzungsprotokollen und Beschlüssen, sofern vorhanden, systematisch ausgewertet.

Mit Blick auf die Tabelle lassen sich bereits mehrere Befunde ableiten: Erstens finden sich vor allem in der Phase der Konstituierung der Stadt- und Gemeinderäte im August/September 2019 zahlreiche Fälle von Kooperationen. In diesen konstituierenden Sitzungen werden Fraktionen gebildet (z.B. Gohrisch) sowie Aufsichtsratsposten verteilt (z.B. Pirna, Zwickau) und Ausschüsse besetzt (z.B. Chemnitz, Görlitz). Zweitens zeigt sich eine breite regionale Verteilung. In acht der zehn sächsischen Landkreise sowie in einer der drei kreisfreien Städte finden sich Fälle von Kooperationen. Besondere regionale Schwerpunkte lassen sich nicht ausmachen. Drittens heißt Kooperation mit der extremen Rechten auf kommunaler Ebene in Sachsen in der Regel Kooperation zwischen CDU und AfD, wobei sich jedoch auch andere Konstellationen finden. Viertens wird ersichtlich, dass verschiedene Formen der Kooperation eine Rolle spielen, zentral ist dennoch gemeinsames Abstimmungsverhalten.

 

Kooperationen mit der extremen Rechten, Grafik: EFBI
Kooperationen mit der extremen Rechten, Grafik: EFBI

Nachfolgend illustrieren drei Beispiele die Spannbreite der Kooperationen und diskutieren die damit verbundenen Gefahren.

Beispiel Döbeln (2019-2022): Ein soziokultureller Verein unter permanentem finanziellen Druck

Der soziokulturelle Verein Treibhaus e.V. besteht seit 1997 und bietet in seinen Räumlichkeiten und darüber hinaus in Döbeln Kunst, Kultur, politische Bildung, Beratung und vieles mehr an. Seit seiner Gründung ist der Verein stetig gewachsen, hat sich professionalisiert und beschäftigt mehrere bezahlte Fachkräfte. Als Ziel formuliert der Verein selbst: „Die Arbeit zielt auf ein friedliches und gewaltfreies Miteinander, die Vermittlung humaner, sozialer und demokratischer Denk- und Verhaltensweisen, die Förderung von Eigenverantwortlichkeit und die Stärkung eines couragierten und emanzipatorischen Handelns ab.“ (Treibhaus o.J.)

Für die Bezahlung der Hauptamtlichen greift der Verein auf verschiedene Fördermöglichkeiten zurück. Für die finanziell wichtige Kulturraumförderung Erzgebirge-Mittelsachsen muss die Stadt Döbeln 6% (in 2020) bzw. 8% (in 2021) und 10% (in 2022) der Förderung beisteuern. Mit dieser Regelung soll unter anderem eine gute kommunale Verankerung der geförderten Träger sichergestellt werden. Dass der Verein vor Ort anerkannt und verankert ist, machten zahlreiche Äußerungen von den Fraktionen der Freien Wählervereinigung/FDP, SPD/ Grüne/Linke und Wir für Döbeln (zusammen 11 der 26 Sitze) während der Stadtratssitzung im September 2019 deutlich. Besonders der AfD ist die Arbeit des Vereins allerdings ein Dorn im Auge. So lässt sich deren Stadträtin Annemarie Reiche in der LVZ mit folgenden Worten zitieren: „Man sollte überlegen, wem man Steuergelder gibt. Die machen da Politik gegen die AfD. Die Veranstaltungen des Treibhaus braucht niemand. Ich war jedenfalls noch nie da“ (Sparrer, 2019). Ihr Vorschlag, die Gelder komplett zu streichen, erhielt während der Stadtratssitzung im September 2019 keine Mehrheit, jedoch wurde die städtische Förderung für das Treibhaus auf 9.500€ (statt der benötigten 14.660€) gekürzt (vgl. Stadt Döbeln, 2019a, 2019b). Bei der geheimen Abstimmung zu dieser Frage stimmten Abgeordnete von demokratischen Parteien offenbar zusammen mit der AfD-Fraktion und formten so eine Mehrheit gegen die Förderung des Vereins (gemeinsames Abstimmungsverhalten).

Mit der Entscheidung wurde der geforderte Sitzgemeindeanteil nicht erfüllt und im Dezember 2019 die Kulturraumförderung im Kulturkonvent zurückgestellt (allgemeine Kooperation). Dieses Entscheidungsgremium hat sieben Mitglieder, stimmberechtigt sind die beiden Landräte der Landkreise Erzgebirge und Mittelsachsen (beide CDU), beratend sind die Vorsitzende des Kulturbeirates sowie vier Kreistagsmitglieder (zwei CDU, zwei AfD) tätig. Der Verein wurde dann aufgefordert, ein Bekenntnis zur Neutralität sowie zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung abzulegen. Dafür sollen die Internetpräsenz und die Vereinsräumlichkeiten überprüft werden. Ausgangspunkt war hier offenbar ein durch die AfD gefertigtes Dossier über den Treibhaus e. V. Der Verein positionierte sich daraufhin in einer Stellungnahme: „Es steht für uns außer Frage, dass sich der Versuch der AfD Mittelsachsen, uns die institutionelle Förderung zu entziehen, in eine Vielzahl von Angriffen einreiht, die darauf abzielen, unser jahrelanges soziokulturelles Engagement zu diskreditieren“ (Treibhaus, 2019). Die Kulturraumförderung wurde schließlich im Januar 2020 in der ursprünglich beantragten Höhe gewährt.

Stadtrat Döbeln, Stand November 2022, Grafik: EFBI
Stadtrat Döbeln, Stand November 2022, Grafik: EFBI

Als im September 2020 der Doppelhaushalt 2021/2022 der Stadt Döbeln beschlossen werden sollte, stand erneut die Förderung des Vereins zur Debatte. Der Sitzgemeindeanteil in Höhe von 8% (14.500€) für 2021 wurde gewährt, der 10-Prozent-Sitzgemeindeanteil für 2022 (18.125€) aber vorerst zurückgestellt (vgl. Stadt Döbeln, 2020a, 2020b). Stein des Anstoßes war für die CDU-Fraktion ein im Café des Treibhauses aushängendes Plakat, das für „radikalen Humanismus“ wirbt. Die Zurückstellung der Mittel für 2022, verbunden mit der Auflage der Vorlage eines Förderantrages, wurde gemeinsam von CDU und AfD beschlossen (zusammen 14 von 26 Sitzen, gemeinsames Abstimmungsverhalten). Die AfD nutzte die Debatte zur Diskreditierung der Arbeit des Vereins (vgl. Sparrer, 2020): Fraktionschef Dirk Munzig beschwerte sich über „bezahltes Erinnern“ an den Holocaust, sein Kollege Bernd Petrasch verstand nicht, warum die Geschichts-AG des Vereins sich nur mit dem Nationalsozialismus, nicht aber mit dem Dreißigjährigen Krieg auseinandersetze. Die gewünschte Förderung für 2022 wurde schließlich im September 2021 doch noch beschlossen.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass der Verein Treibhaus e. V. in Döbeln unter permanentem finanziellen Druck gehalten wird. Daraus resultiert sowohl für den Verein, als auch deren Mitarbeiter*- innen eine stete Planungsunsicherheit. Die Notwendigkeit der CoFinanzierung durch die Stadt nutzten die Fraktionen von CDU und AfD wiederholt, um die Arbeit des Vereins zu beaufsichtigen und inhaltlich einzugreifen. Damit wird die Arbeit kritischer Zivilgesellschaft deutlich erschwert. Zwischen beiden Fraktionen lässt sich eine inhaltliche Zusammenarbeit und gemeinsames Abstimmungsverhalten beobachten.

Beispiel Limbach-Oberfrohna (2022): Zweierlei Maß für Opfer des Nationalsozialismus

Seit 2015 sind sieben Stolpersteine in Limbach-Oberfrohna verlegt worden – für Georg Moritz Schlimper, Georg Arthur Sallmann, Rosa Margarete Kirsten, Herbert Granz, Richard Freimann, Herrmann Richard Knorr und Herbert Malz. Stolpersteine werden vor den letzten frei gewählten Wohnorten von Personen angebracht, die im Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die Fraktion LINKE/SPD/Grüne hatte für die Sitzung im September 2022 beantragt, fünf weitere Stolpersteine zu verlegen. Über jeden Stolperstein wurde einzeln abgestimmt. Dem ersten Antrag zu Oswald Bernhard (Maurer, SPD) stimmte der Stadtrat zu. Zu den nächsten beiden Vorschlägen (Max Tennler und Arno Förster) gab es heftige Diskussionen. Stein des Anstoßes: Beide waren Kommunisten und Mitglied der KPD. Die CDU-Fraktion positionierte sich in Person von Stadtrat Marvin Müller gegen die Verlegung der Stolpersteine: „Die Ermordung der Personen ist tragisch, da gibt es keine Diskussion. Aber die Personen an sich waren der Demokratie nicht gut gesonnen“ (zitiert nach Hofmann, 2022). Für die AfD schlägt Uwe Müller in eine ähnliche Kerbe: „Tennler und Förster waren Mitglieder in der KPD und als solche Demokratiefeinde“ (ebd.). Die Verlegung der Stolpersteine für die beiden Opfer des Nationalsozialismus wurde mit Stimmen der CDU, AfD und Freien Wähler Limbach-Oberfrohna abgelehnt (zusammen 21 der 27 Sitze, gemeinsames Abstimmungsverhalten). Mit der gewählten Argumentation werden Opfer des Nationalsozialismus hierarchisiert, in vermeintlich gute und böse Opfer eingeteilt und schlussendlich gegeneinander ausgespielt. Die drei Fraktionen kooperierten dabei inhaltlich und auf der Abstimmungsebene. Der Initiator der Stolpersteinverlegung, der Grünen-Stadtrat Albert Klepper, kündigte im Nachgang der Stadtratssitzung an, keine Stolpersteine in Limbach-Oberfrohna mehr verlegen zu wollen. Damit wurde im Ergebnis die wichtige lokale Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und eine kontinuierliche Erinnerungskultur stark beeinträchtigt.

Stadtrat Limbach-Oberfrohna, Stand November 2022, Grafik: EFBI
Stadtrat Limbach-Oberfrohna, Stand November 2022, Grafik: EFBI

Beispiel Chemnitz (2019-2022): Neubesetzung des Jugendhilfeausschusses sorgt für anhaltenden Stress

Zur Neukonstituierung des Chemnitzer Stadtrates im August 2019 wurden wie üblich Aufsichtsratsposten verteilt und Ausschüsse besetzt. Besonders der Jugendhilfeausschuss war dabei einer großen Veränderung unterzogen. Neben acht Stadträt*innen und elf beratenden Mitgliedern wurden weiterhin sechs stimmberechtigte Mitglieder der freien Träger der Jugendhilfe gewählt. Durch Letztere können die Träger hier selbst ihre Interessen vertreten und sich im Sinne ihrer Klient*innen einsetzen.

Die beiden zentralen Dachverbände Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit sowie Liga der Wohlfahrtverbände hatten im Vorfeld der Ausschussbesetzung einen Vorschlag zur Besetzung der Plätze der freien Träger erarbeitet. Drei Monate nach der Bewerbungsfrist gingen weitere Bewerbungen für die Sitze ein, wobei eben diese Personen durch die Abgeordneten von CDU, FDP, AfD und Pro Chemnitz gewählt wurden (vgl. Stadt Chemnitz, 2019a, 2019b, 2019c) (gemeinsam 31 von 60 Sitzen, gemeinsames Abstimmungsverhalten). Im Bereich der freien Träger wurde damit eine völlige Umstrukturierung umgesetzt: Reprä- sentierte die vorherige Besetzung des Ausschusses „zumindest noch 51% der Träger und 67% der Jugendhilfeprojekte in der Stadt, sinken diese Quoten auf 7% der Träger und 13% der Projekte für das neue Gremium“ (AJZ Chemnitz, 2019). Unter anderem verliert der Dachverband Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit, der 60 Trägervereine repräsentierte, seinen Sitz. Mit der Neuverteilung wurde damit kritischen Stimmen im Bereich Kinder- und Jugendarbeit ihre Mitbestimmung entzogen, ihre Positionen werden unsichtbar gemacht. Langfristig ist zu vermuten, dass dies zu starken finanziellen Einbußen sowie zu einer Umstrukturierung in der Trägerlandschaft führen wird.

Die Besetzung des Ausschusses sorgte für vielfältigen Streit. Neben öffentlichen Unmutsbekundungen, überregionaler Presseberichterstattung und verschiedenen Versuchen der Schlichtung kündigte der Dachverband Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit bereits kurz nach der Wahl an, vor dem Verwaltungsgericht gegen die Stadt Chemnitz zu klagen. Mit Stand Dezember 2022 ist die Klage noch nicht entschieden.

Sitzverteilung Stadtrat Chemnitz, Stand November 2022
Sitzverteilung Stadtrat Chemnitz, Stand November 2022, Grafik: EFBI

Fazit und Ausblick

Kooperationen zwischen demokratischen Parteien und der extremen Rechten auf kommunaler Ebene sind bisher kaum erforscht. Es existieren lediglich einige wenige wissenschaftliche Arbeiten zum Umgang demokratischer Parteien mit der extremen Rechten, Kooperationen sind kaum als eigener Untersuchungsgegenstand auszumachen. Der vorliegende Beitrag versteht sich daher als erster explorativer Versuch einer Sondierung und Analyse des Feldes, auf den sich eine systematische, qualitative und quantitativ ausgerichtete Erforschung aufbauen könnte. Seit den Kommunalwahlen im Mai 2019 finden sich in Sachsen mindestens 21 Fälle von Kooperationen. Diese betreffen zumeist die AfD und CDU, allerdings finden sich auch andere beteiligte Parteien und Wählervereinigungen. Die meisten Fälle lassen sich bereits 2019 in den konstituierenden Sitzungen beobachten. Für zahlreiche weitere Kooperationen gibt es Indizien, aber keine ausreichenden Belege.

Die recherchierten 21 Fälle von Kooperationen sollten Anlass zur Sorge genug sein. Die AfD und andere extrem rechte Parteien und Wählervereinigungen wurden zwar demokratisch gewählt, dies macht aus ihnen und ihren Abgeordneten jedoch nicht automatisch Demokrat*innen. In den Kommunen mit entsprechenden Kooperationen besteht die reale Gefahr der Erosion der Demokratie beziehungsweise demokratischer Prozesse. Kritische Zivilgesellschaft (Döbeln), Erinnerungskultur (Limbach-Oberfrohna) und Jugendarbeit (Chemnitz) sind erste Angriffspunkte der extremen Rechten für die von ihnen beabsichtigte grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft. Mit der schrittweisen Normalisierung extrem rechter Parteien, Personen und Positionen geht neben einer diskursiven Verschiebung auch die massive Umverteilung von Geldern und Ressourcen einher. Diese Konflikte werden in der Zukunft zu- und nicht abnehmen.

Was also tun? Demokratie lebt von Pluralismus, von Streit und Aushandlung. Auch auf der kommunalen Ebene gibt es unterschiedliche Meinungen und Interessen, diese gilt es auszuhalten und einen konstruktiven Umgang miteinander zu finden. Unterschiedliche Interessen sollten nicht von einer vermeintlich neutralen Sachpolitik verdeckt, sondern offen ausgetragen werden. Hilfreich in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten ist dabei eine eigene klare Positionierung, die auf demokratischen Grundsätzen beruht, und zwar sowohl innerhalb der eigenen Partei oder des eigenen Stadtrates als auch in der Außenkommunikation. Um demokratische Errungenschaften zu schützen, sollten demokratische Parteien die oft langwierigen und mühsamen Aushandlungen nicht durch die Abkürzung einer Abstimmung mit der extremen Rechten ersetzen.

Das Kapitel "Wie hältst du’s mit der AfD? Kooperationen mit der extremen Rechten auf kommunaler Ebene in Sachsen" von Steven Hummel erschien zuerst im zweiten Jahrbuch des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts.

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