Alice Weidel im ARD-Sommerinterview
Klage über „die Niederlage des eigenen Landes“
Die führende AfD-Politikerin Alice Weidel beklagt in einem TV-Interview „die Niederlage des eigenen Landes“ 1945. Hätte sie im Umkehrschluss somit NS-Deutschland den militärischen Sieg gegönnt? Diese Auffassung steht für ein bemerkenswertes Geschichts- und Politikbild. Ein Kommentar

Für die ARD ist es ein feststehender Brauch, mit den Bundesvorsitzenden der wichtigsten Parteien ein Sommerinterview zu führen. Eingeladen war auch die AfD, die vergangenen Sonntag dazu Alice Weidel schickte. Bereits zu Beginn nahm sie interessante historische Einschätzungen vor, welche sich auf das Ende des Zweiten Weltkriegs bezogen. Die russische Botschaft hatte eine Erinnerungsfeier dazu am 9. Mai des Jahres durchgeführt, woran auch einige führende AfD-Politiker teilnahmen.
Dazu gehörte Tino Chrupalla, der Co-Bundessprecher und Co-Bundestagsfraktionsvorsitzende. Ein entsprechendes Foto wurde von dem Interviewer dann Weidel gezeigt. Bei ihrer anschließenden Antwort auf die Frage, warum sie nicht an dieser Feierlichkeit teilnahm, distanzierte sie sich von ihrem Kollegen. Dabei bemerkte die Interviewte, sie habe sich dagegen entschieden, „die Niederlage des eigenen Landes zu befeiern mit einer ehemaligen Besatzungsmacht.“ Dabei handelt es sich um eine bemerkenswerte Aussage, die interessante Aufschlüsse über das Geschichtsbild einer hohen Parteifunktionärin gibt.
Auch Kritik an Chrupallas Vorgehen
Für eine bewusste Abwesenheit hätte es auch gute Gründe gegeben, denn bekanntlich diente diese Feier indirekt zur Legitimation des durch die Putin-Regierung initiierten Ukrainekriegs. Dieser wird mit der behaupteten Absicht einer „Entnazifizierung“ des Landes propagandistisch gerechtfertigt, womit der Angriff in die historische Kontinuität des Krieges gegen NS-Deutschland gestellt wird. Jeder Anwesende bei dieser Feierlichkeit stellte sich bewusst oder unbewusst in diesen propagandistischen Kontext.
Doch genau über ein solches Ansinnen verlor Weidel letztendlich kein Wort. Ihre Gründe führte sie privat auf das Vertriebenenschicksal ihres Vaters zurück und politisch eben auf die „Niederlage des eigenen Landes“. Offenkundig stand diese Anmerkung erstens für ein Bedauern der militärischen Niederlage und zweitens für eine gegenüber dem Land vorgenommene positive Positionierung. Derartige Einstellungen prägten auch die heftige Kritik, die sich Chrupalla von anderen Parteifreunden anhören musste. Insbesondere vom weit rechts stehenden Flügel der ohnehin als rechtsextremistisch anzusehenden Partei kamen derartige Stimmen.
Bedenkliches Weltbild
Die der zitierten Bekundung eigene bedenkliche Dimension ergibt sich dann auch aus zwei ähnlichen, aber doch verschiedenen Gründen: erstens die Anlehnung an das „eigene Land“ und zweitens das Bedauern über die „Niederlage“. Bekanntlich war das damalige eigene Land ein diktatorischer Totalitarismus, der die Hauptschuld am Zweiten Weltkrieg trug und Millionen von Menschen systematisch ermorden ließ.
Wie angesichts derartiger allgemein bekannter historischer Fakten distanzlos von einem „eigenen Land“ gesprochen werden kann, ist nur vor dem Hintergrund eines mindestens schiefen historischen Weltbildes verständlich. Noch erschreckender ist demgegenüber das Bedauern über die Niederlage. Denn aus dieser Aussage ergibt sich als Position: Lieber hätte sich die AfD-Funktionärin den militärischen Erfolg gewünscht. Dieser bedingte dann aber die Fortsetzung von Krieg und Vernichtungspolitik. Eine wichtige historische Einsicht fehlt, es geht nicht primär um das „eigene Land“, sondern vorrangig um ein schändliches Verbrecherregime. Die nötige Distanz dazu fehlt interessanterweise in dem Statement von Weidel.