Kein Hinweis auf rechtes Motiv?

Ein halbes Jahr nach einem brutalen Angriff auf eine etwa 20-köpfige Personengruppe in Erfurt hat die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft Erfurt schließt nach eigenen Angaben einen rechtsmotivierten Hintergrund der Tat aus.

Freitag, 15. Januar 2021
Kai Budler

Die Täter mussten sich in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2020 sehr sicher gefühlt haben: Auf dem zentralen Platz vor der videoüberwachten Staatskanzlei in der Erfurter Innenstadt griffen sie 20 Personen ohne Vorwarnung an, die dort friedlich saßen. Mehrere Betroffene wurden verletzt, einige davon schwer. Teilweise hörten die teils vermummten Angreifer nicht einmal mit den Gewaltattacken auf, als die Polizei schon eingetroffen war.

Die Beamten nahmen drei Beteiligte vorläufig fest, kurz darauf zog das LKA die Ermittlungen an sich: Rund zwei Wochen nach der Tat folgten Hausdurchsuchungen bei neun Verdächtigen, bei denen die Ermittler unter anderem hofften, Kleidungsstücken der Beschuldigten aus der Tatnacht zu finden. Die Rolle des LKA sprach für ein politisch motiviertes Tatmotiv, das auch die Thüringer Opferberatung „ezra“ kurz nach dem Überfall bestätigte.

Betroffene: „Fühlten uns wie Täter*innen“

Beraterin Christin Fiedler erklärte, „die beobachtete Kleidung und äußerlichen Merkmale der Täter lassen auf einen rechten Hintergrund schließen“. Sie kritisierte auch die anfängliche Berichterstattung, in der von einer „Massenschlägerei“ die Rede war, und sprach stattdessen von einem „gezielten, koordinierten und heimtückischen Angriff auf friedlich feiernde Menschen durch vermutlich kampfsporterfahrene, rechte Gewalttäter“. Die Polizei hatte anfangs von „einer Auseinandersetzung zweier Gruppen gesprochen“. Betroffene und Zeugen des Überfalls erklärten dazu: „Wir fühlten uns nach den ersten Medienberichten wie Täter*innen“.

Ein halbes Jahr nach dem brutalen Überfall ließ der Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt nun verlauten, Hinweise auf einen rechtsmotivierten Hintergrund hätten sich nicht bestätigt. Er spricht von Verfahren gegen mittlerweile 15 Tatverdächtige, nachdem die Ermittler zuerst von zwölf Tätern ausgegangen waren. Die Strafverfolgungsbehörde verdächtigt sie der gefährlichen Körperverletzung, des Landfriedensbruchs, des Widerstands gegen sowie des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte. Über Anklageerhebungen will die Staatsanwaltschaft bald entscheiden.

Mobile Beratung spricht von katastrophalem Signal

Dabei sind einige der mutmaßlichen Täter seit Jahren als teils gewalttätige Neonazis bekannt, wie sich schon kurz nach der Tat herauskristallisiert hatte. Einer von ihnen stand erst kürzlich wegen eines gewalttätigen Angriffs auf Andersdenkende vor Gericht. Dementsprechend harsch fällt die Kritik an der Einschätzung aus.

Für die Mobile Beratung in Thüringen (mobit) erklärte der Vorstandsvorsitzende Sandro Witt: „Dass dieser Tathintergrund nicht anerkannt wird, ist ein katastrophales Signal an die Betroffenen und verschleiert das Problem extrem rechter Gewalt“. Für ezra kommentiert Robert Friedrich, es sei „unverständlich, warum hier ein rechtes Motiv explizit ausgeschlossen wird, ohne die Hintergründe des Angriffs allumfassend zu kennen. Dies ist ein fatales Signal an die Öffentlichkeit, welches die Tat erneut entpolitisiert“.

Entscheidung soll Thema im Landtag werden

Auch aus Teilen der Landesregierung kommt scharfe Kritik. Für die Landtagsfraktion der Linken erklärt Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus und Antirassismus ihrer Fraktion, „angesichts der beteiligten Täter, eine rechte Tatmotivation auszuschließen, verkennt, dass Neonazis und Personen der rechten Szene keinen konkreten Anlass für derartige gewalttätige Übergriffe brauchen“. Sie bewertet die Einschätzung als „fatal, da erneut rechte Gewalt seitens zuständiger Behörden damit nicht erkannt wird und sowohl die Ideologie der Täter als auch die Betroffenenperspektive missachtet werden“.

Auch die Sprecherin für Antifaschismus der Grünen-Landtagsfraktion, Madeleine Henfling, spricht von einer nicht nachvollziehbaren Einschätzung und kündigt an: „Wir werden das Thema wieder im Innenausschuss aufrufen und genau nachfragen, wie die Behörden zu diesem Ergebnis kamen. Klar ist auf jeden Fall: Das war keine ‚Massenschlägerei‘, sondern ein Angriff“.

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