Proteste
Karlspreis in Aachen: Querfront gegen Ukraine und Selenskyj
Am Sonntag wurden in Aachen das ukrainische Volk und Präsident Wolodymyr Selenskyj als „Opfer eines völkerrechtswidrigen und unsäglich brutalen russischen Angriffskrieges“ mit dem Karlspreis geehrt. Es gab mehrere Gegendemonstrationen, eine aus dem rechten Spektrum sowie von Querdenkern und aus dem Querfront-Lager.

Während das Karlspreis-Direktorium den Preisträgern attestierte, sie würden „Europa und die europäischen Werte“ verteidigen, hatte der Gegenprotest dazu seine eigene Sichtweise. Relativ früh schon hatte die regionale Querfront Selenskyj als einen „Kriegstreiber“ markiert – und nicht den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Diesem Narrativ folgte auch die Querdenken-Partei „Die Basis“, die Tage zuvor auch die Proteste bewarb. Sie wies darauf hin, dass sie Selenskyj für „einen gefährlichen Kriegstreiber“ halte.
Querfront meint hier ein regionales Bündnis aus sektiererischen Kleingruppen, die sich immer wieder zu vermeintlich neuen Bündnissen zusammenschließen. Nach Ende der Corona-Schutzmaßnahmen und der Debatten um die Impfpflicht griff dieses Spektrum auch in Aachen neue Themen für ihre Straßenproteste auf. Im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nutzte man das Thema Frieden, zunächst jedoch oft eher im Sinne russischer Propaganda. Es kam seitdem zu Stimmungsmache gegen die USA und NATO, gegen die Bundesregierung, die Ukrainer und deren Präsidenten.
Von Links- bis Rechtsaußen
Bei den Demonstrationen und Bündnissen wurde in Aachen auch mit Vertretern der „Die Basis“, der AfD und der Die Linke kooperiert. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko trat wiederholt als Redner bei der Querfront auf. Zugleich nahmen an Versammlungen auch Reichsbürger, Rechte und Rechtsextremisten teil. Für die Demonstrationen gegen den Karlspreis und gegen Selenskyj mobilisierten neben der „Die Basis“ besonders Querdenker, Verschwörungsideologen, rechte Gruppen und Reichsbürger aus Nordrhein-Westfalen und dem benachbarten Ausland. Mancher bezeichnete den 14. Mai vorab als Auftakt einer „Frühlings-Friedensoffensive“. Am Ende waren die Proteste ein Zeichen dafür, wie marginalisiert und isoliert die „Bewegung“ ist.
„Querdenken 241“ Aachen ist Teil jener Querfront. Gleichwohl hielten Querdenker zunächst am Sonntag einen eigenen Demonstrationszug durch Teile der Aachener Innenstadt mit rund 200 Personen ab. Teilnehmende schlossen sich später der Kundgebung aus dem Querfront-Lager an. Es nahmen insgesamt rund 250 Personen teil. Zuvor als Rednerin angekündigt war hier die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, eine Vertraute von Sahra Wagenknecht. Angefragt für diese Kundgebung waren im Vorfeld auch andere teils prominente Redner, darunter Oskar Lafontaine.
Friedenspädagoge statt Lafontaine und Dağdelen
Keiner der angekündigten oder angefragten Redner besuchte am Ende Aachen. Eine aufgezeichnete Rede wurden von dem Theologen Eugen Drewermann abgespielt. Neben lokalen Rednern trat auch der aus Siegen angereiste Bernhard Nolz ans Mikro. Dem heute pensionierten Lehrer war im Jahr 2002 der renommierte Aachener Friedenspreis verliehen worden. Einige Jahre später geriet der äußerst USA-kritische Friedenspädagoge in die Kritik. Er hatte eine Karikatur verwendet, die eine Krake zeigte, die am Kopf eine israelische Flagge mit einem Hakenkreuz statt des Davidsterns trug. In Aachen sprach Nolz am Sonntag auf einer Versammlung, an der Mitglieder der Linken, Verschwörungsgläubige, „Querdenker“, Rechtsextreme und „Reichsbürger“ sowie Mitglieder und Funktionäre der „dieBasis“ und der AfD teilnahmen.
Rund 200 Meter von dieser Versammlungen entfernt fand eine „Mahnwache“ mit knapp 30 Personen statt, zu der russische Nationalisten und Rechtsextremisten mobilisiert hatten. Veranstalter war die am 6. Mai in Leverkusen gegründete Vereinigung „Aufbruch Frieden-Souveränität-Gerechtigkeit“ mit Sitz in Stößen (Sachsen-Anhalt). Dem Vorstand gehören der Ex-AfD-Politiker André Poggenburg (Stößen), der frühere „Pro NRW“-Funktionär Manfred Beisicht (Leverkusen) und Elena Kolbasnikova (Köln) an.
Selenskyj ein „jüdischer Nazi und Faschist“?
Teil des Vorstandes sind auch Wjatscheslaw Seewald, Eugen Walter und Jovica Jovic. Seewald hatte am Vorabend der Proteste in einem Telegram-Post Selenskyj als „jüdische[n] Nazi und Faschist[en]“ diffamiert. Seewald wurde in der bayerischen „Verfassungsschutzinformation“ für das 1. Halbjahr 2022 als „Reichsbürger und antisemitischer Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet. Er selbst war nicht in Aachen. Radikale Reden hielten Beisicht, Jovic und Walter. Walter war vor rund einem Jahr als AfD-Lokalpolitiker und Russlanddeutscher durch Hetze gegen Geflüchtete aus der Ukraine aufgefallen, die AfD wollte Ordnungsmaßnahmen gegen ihn ein einleiten. Als ein großer pro-ukrainischer Demonstrationszug (s.u.) vorbeizog, wurden dessen Teilnehmer ausgerechnet aus dieser Kundgebung heraus als „Faschisten“ und „Nazis“ beschimpft.
Im Kölner Umland und an der US-Airbase Ramstein (Rheinland-Pfalz) hatten die Aktivisten in den letzten Monaten mehrere Versammlungen organisiert. Über Elena respektive Olena Kolbasnikova und ihren Ehemann Max Schlund (Rostislav Teslyuk) deckten Medien vor Monaten auf, dass sie Putin-Propagandisten sind und russische Truppen in der Ukraine unterstützten. Gegen Kolbasnikova laufen Medienberichten zufolge Ermittlungsverfahren. Sie soll eine Belohnung und Billigung von Straftaten begangen haben, indem sie den russischen Angriffskrieg öffentlich unterstützt habe. Außerdem soll sie bei einer Reise in die von Russland besetzten Teile der Ukraine Sachgüter an Putins Truppen gespendet haben. Im März war in Köln ein erster Prozess terminiert, platzte aber kurzfristig.
„Danke Deutschland – danke Aachen!“
Gegen russische Propaganda, Querdenker und die Querfront richtete sich eine Demonstration des Vereins „Ukrainer in Aachen“. An dem Demonstrationszug mit vielen blau-gelben Fahnen – darunter ein 100 Meter langes und zwei kürzere Banner – nahmen rund 1.500 Menschen teil. Darunter waren auch Unterstützer lokaler Parteien, Antifaschisten, Belarussen – vor allem aber viele Migranten und Geflüchtete. Wiederholt skandierten diese: „Danke Deutschland – danke Aachen!“ Tausende Menschen, unter ihnen viele Ukrainer, verfolgten später die Preisverleihung auf zwei Videowänden. Die große Mehrheit an diesem Tag in Aachen bildeten Menschen, die sich mit den Ukrainern solidarisch zeigten – und eben jene Ukrainer, denen als Bevölkerung des Landes der Preis verliehen wurde, den Selenskyj eigentlich stellvertretend entgegennahm.
Es kam am Sonntag aber auch zu Provokationen und Rangeleien. Ein Teilnehmer der „Aufbruch“-Demo mit russischer Flagge wollte einen Mann am Rande der Ukraine-Demo attackieren, weil er sich von diesem offenbar provoziert fühlte. Mehrere Polizisten drängten den Angreifer ab und fixierten ihn. Ein Teilnehmer der Ukraine-Demo wollte einem Querfrontler eine Russlandfahne entreißen. Auch hier griff die Polizei ein. Zwei Reichsbürger aus Mönchengladbach, die an der „Friedensdemo“ von Querdenken und Querfront teilnahmen, provozierten zuerst die Ukrainer-Demo. Später attackierten sie einen Medienaktivisten aus den eigenen Reihen, weil sie den Mann aus Viersen wegen eines internen Szene-Streits hassen.
„Haut ab, ihr aggressiven Arschlöscher!“
Ein Teilnehmer der Querfront-Demo beschädigte Reifen an Polizeifahrzeugen, was ein Redner später missbilligte. Eine Gruppe von Querdenkern, Rechtsextremen und Reichsbürgern provozierte am Sonntagnachmittag an einer Polizeiabsperrung wartende Ukrainer. Daraufhin kam es zu einem Gerangel und zu Wortgefechten. Polizisten gingen dazwischen. Querdenker beschimpften dabei die Ukrainer als „Faschisten“ und „Nazis“. Eine Querdenkerin pöbelte: „Haut ab, ihr aggressiven Arschlöscher!“ Der Anmelder der Querfront-Kundgebung, Walter S. („Freie Linke“), wollte auf der eigenen Versammlung einem Antifaschisten einen „FCK PUTIN“-Schirm entreißen. Mit den daraufhin eingreifenden Polizisten lieferte S. sich Wortgefechte.
Der Karlspreis wurde nun zwar verliehen, das Thema beschäftigt Aachen jedoch weiter. Traditionell werden die Träger eigentlich an Himmelfahrt geehrt. Die diesjährige Terminänderung wurde nötig, da prominente und hochrangige Politiker an dem Tag andere Verpflichtungen haben und dem Festakt nicht hätten beiwohnen können. Aachens Querfront und „Querdenken 241“ wollen trotzdem auch am 18. Mai noch einmal auf die Straße gehen. Sie kündigen an, dass sie vor dem historischen Rathaus einen Art Gegen-Karlspreis an den Theologe Eugen Drewermann verleihen.
Alternativer Gegen-Karlspreis
Auch vor diesem Akt wird das Querfront-Lager noch mal eine Demonstrationen durch die Stadt abhalten. Sprechen sollen ersten Ankündigungen zufolge offenbar Jerome Poels und Daniel Langhans. Der Niederländer und der Süddeutsche waren schon mehrfach in Aachen und der Region als Redner bei „Querdenken 241“ und anderen Gruppen dieses Spektrums. Beide fielen durch radikale und dubiose Inhalte auf. Langhans nutzte dabei auch Versatzstücke von QAnon, indem er gegen „Satanisten“ und „Eliten“ polterte sowie antisemitisch lesbare Inhalte einstreute.
Über das Debüt des „alternativen Karlspreises“ hatte es zunächst geheißen, dass man diesen dem Verschwörungsguru und selbsternannten „Friedensforscher“ Daniele Ganser angedient habe. Nun wird aber Drewermann die „Aachener Auszeichnung für Menschlichkeit“ erhalten. Als Rednerin angefragt war zunächst Sahra Wagenknecht. Die Laudatio soll nun Dirk Pohlmann halten. Während Drewermann sich in letzter Zeit dem verschwörungsideologischen Spektrum zaghaft angenähert hat, publiziert Pohlmann schon seit einigen Jahren in rechtsalternativen Medien. Mitte 2022 nannte der „Tagesspiegel“ Pohlmann in einem Bericht über das Festival „Pax Terra Musica“ in Brandenburg („Wo Putin-Anhänger mit Querdenkern feiern“) einen „Verschwörungsideologen“.