Kampfansage an Pretzell

In der NRW-AfD ist der Landesvorsitzende Marcus Pretzell nicht unangefochten. Anfang September wählt der Landesverband die Liste für die Landtagswahlen im kommenden Jahr. Und für die Position des Spitzenkandidaten gibt es plötzlich Konkurrenz.

Donnerstag, 04. August 2016
Rainer Roeser

Marcus Pretzell, seit zwei Jahren Chef der AfD in Nordrhein-Westfalen, gerät im heimischen Landesverband unter Druck. Eigentlich schien es ausgemachte Sache, dass der Europaabgeordnete seine Partei als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf des kommenden Jahres führen würde. Doch nun taucht ein Konkurrent auf. Wie so häufig bei der AfD: Es geht um Politik und um viel Persönliches.

Vor drei Wochen warf das Mindener AfD-Kreistagsmitglied Thomas Röckemann seinen Hut in den Ring. „Ich trete an“, verkündete er am 14. Juli kurz und knapp auf seiner nicht einmal einen Monat zuvor eingerichteten Politiker-Seite bei Facebook. In den AfD-internen Diskussionen war der 51-Jährige bislang ein unbeschriebenes Blatt. Dennoch – oder gerade deswegen – wählte der Essener Bundesparteitag Rechtsanwalt Röckemann Mitte vergangenen Jahres in das Schiedsgericht der AfD. Ein Jahr später wird er zum Hoffnungsträger jener Kräfte in der AfD, die dem Duo Petry/Pretzell im parteiinternen Machtkampf einen Dämpfer verpassen wollen.

„Compact“-Interview

Sein Outings als Gegenkandidat zu Pretzell flankierte Röckemann noch am selben Tag mit einem „Exklusiv-Interview“. Die Wahl des Ortes war bereits ein politisches Signal. Er ließ sich von „Compact“ befragen, Jürgen Elsässers „Magazin für Souveränität“, das einerseits zur Leib- und Magenliteratur bei AfD-Rechten zählt, andererseits ein Sprachrohr derer ist, die eine Radikalisierung der Partei vorantreiben.

Röckemann gab sich im Interview freilich eher zurückhaltend. Befragt nach der Kritik an Pretzell meinte er: „Solche Kritik gibt es im Zusammenhang mit Marcus Pretzells Äußerungen bei dem so genannten ,Schießbefehl-Skandal’ oder seinem Verhalten in der ,Gedeon-Affäre'.“ Seine Meinung zu diesen für die AfD brisanten Themen, die im Übrigen Bundessprecherin Frauke Petry mindestens so sehr wie Pretzell betreffen? Mochte Röckemann nicht verraten: „Dazu werde ich keine Stellungnahme abgeben.“ Der Widerspruch zwischen dieser öffentlichen Positionslosigkeit und seinen unmittelbar folgenden Äußerungen schien ihm nicht aufgegangen zu sein. Röckemann fuhr fort: „Die Hauptmaxime unserer Partei lautet doch: Mut zu Wahrheit!! Dafür stehe ich mit meiner Person.“

„Keine Leisetreter“

Immerhin: Ein wenig konkreter wurde er bei der Einschätzung der AfD-Landesspitze. „Nach der bisherigen Wahrnehmung war die Arbeit des Landesvorstands eher lautlos, man hat den Eindruck, dass manche Vorstandsmitglieder der Ansicht sind, es könnte gelingen, irgendwie unbemerkt in den Landtag einzuziehen.“ Einer der Pretzell-Gegner in NRW, der die Partei gerne radikaler hätte, formuliert die Kritik prägnanter: „Nun, solange wir die beiden P’s ihre Worthülsen ohne roten (besser: blauen) Faden absondern lassen, werden die Prozente überschaubar bleiben.“ Mit den „beiden P's“ meint er Pretzell und dessen Lebensgefährtin Frauke Petry. Röckemann würde die Kritik wohl nicht so deutlich formulieren – jedenfalls nicht öffentlich –, mahnt aber sachte: „Wir sind keine Leisetreter.“

Während Röckemanns eigener „Mut zur Wahrheit“ im „Compact“-Interview sehr dezent ausfiel, wurde Elsässers Magazin im Nachspann zum Gespräch selbst deutlicher: „Wer die Verhältnisse in der NRW-AfD kennt, der weiß, dass Herr Pretzell dort mit einem dichten Netzwerk von gegenseitigen Abhängigkeiten und Seilschaften hantiert. Manche reden gar von einem Hofstaat. Man darf deshalb gespannt sein, wer sich durchsetzen wird, der umtriebige Petry-Vertraute Pretzell oder der eher sachliche Thomas Röckemann.“

Karrierist und Opportunist

Tatsächlich ist Pretzell seit längerem AfD-intern höchst umstritten. (bnr.de berichtete) Zwar wäre ohne ihn die Radikalisierung der selbst ernannten „Alternative für Deutschland“ kaum denkbar gewesen. Jubel hatte er geerntet, als er beim Essener Parteitag im vorigen Jahr die AfD zur Pegida-Partei ausrief. In Brüssel knüpfte er emsig die Kontakte zur FPÖ und zum Front National. Doch im heimischen Nordrhein-Westfalen bemühte er sich um Abgrenzung zu radikaleren Organisationen wie etwa „pro NRW“. Und das Programm zur Landeswahl fiel deutlich zurückhaltender aus, als etwa die Aussagen der sachsen-anhaltinischen oder der baden-württembergischen AfD vor den Landtagswahlen im März.

Manche in der Partei halten das für Leisetreterei. Und einige finden, bei Pretzell handele es sich um einen Karrieristen und Opportunisten, der sowieso zu Petry-nah sei. Unter der Hand wird zuweilen immer noch an seine früheren Probleme mit dem Finanzamt oder an die von ihm selbst einst so genannten „privaten chaotischen Zustände“ erinnert.

„AfD braucht Spitzenkraft mit Charakter“

Bewusst oder unbewusst, gezielt oder zufällig knüpft der ostwestfälische AfD-Bezirksvorsitzende Udo Hemmelgarn an solche Einschätzungen an, wenn er für seinen Landsmann Röckemann mit den Worten plädiert: „Die AfD-NRW braucht in der jetzigen Situation einen Spitzenkandidaten mit Charakter, in jeder Hinsicht unabhängig und für die Partei nicht belastend, also rundherum integer!“

Anlass, Pretzell nicht zu mögen, hätte Hemmelgarn allemal. Er gehörte zu den Organisatoren jener „Alternativen Wissenskongresse“, die verschwörungstheoretisch veranlagte AfDler begeisterten, von dessen erster Auflage sich Pretzell jedoch distanzierte. (bnr.de berichtete) In Hemmelgarns ostwestfälischem Beritt tummeln sich nicht wenige Funktionäre, die zum rechten Flügel der Partei zählen. Etwa im Kreisverband Paderborn, der nach Thüringer Vorbild wiederholt Demonstrationen organisierte, darunter Mitte Mai eine mit Björn Höcke, dem Idol der meisten Rechtsaußen in der AfD; auch Röckemann sprach dort an diesem Tag.

Rechtes Trio pro Röckemann

Für rechten Klartext in der AfD stehen auch die, die jetzt an der Seite von Pretzells Gegenkandidaten stehen: Christian Blex etwa, Kreisvorsitzender in Warendorf, der Röckemann ein paar Tage nach seinem „Ich trete an“-Bekenntnis zu einem ersten größeren Auftritt in Ahlen verhalf. Oder Pierre Jung, der Kreisvorsitzende aus Hamm, der Röckemanns Ahlener Rede flugs per Video verbreitete. Auch Thomas Matzke, AfD-Chef im Rhein-Sieg-Kreis und Vormann der „Patriotischen Plattform“ in Nordrhein-Westfalen, der Röckemanns Kandidatur gegen Pretzell mit den Worten bejubelte: „Es gibt immer eine Alternative. Und die ist gerade in NRW dringend erforderlich!“

Ihre Sympathien für Röckemann sind nicht das einzige, was Blex, Jung und Matzke verbindet. Als die NRW-AfD im Spätsommer 2015 einen neuen Vorstand zu wählen hatte, standen ihre Namen auf einer gemeinsamen Vorschlagsliste zweier Organisationen vom radikaleren Flügel der Partei: der „Patriotischen Plattform“ und der „Konservativen Avantgarde“. Gewählt wurden sie damals freilich nicht. Die Mehrheit stand hinter Pretzell. Stattdessen machten sie auf Kreisebene weiter und werkelten an einer Vernetzung rechter Kräfte im Landesverband. Sollte sich Röckemann Anfang September, wenn die AfD ihre Landtagsliste wählt, gegen Pretzell durchsetzen, wäre es auch ihr Erfolg.

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