Kampf um die Macht erreicht AfD-Stiftung
Die Mitglieder der Desiderius-Erasmus-Stiftung haben ihr Vorstandsmitglied Erik Lehnert abgewählt. Lehnert arbeitet für das neurechte Institut für Staatspolitik.
Jörg Meuthens Kampf um die Macht in der AfD beschäftigt längst alle Ebenen der Partei. Von ganz oben bis ganz unten bietet die selbst ernannte „Alternative für Deutschland“ ein Bild der Zerrissenheit: zwei Bundessprecher, von denen der eine sagt, er habe mit dem anderen seit zwei Wochen nicht mehr unter vier Augen gesprochen; ein Bundesvorstand, in dem man einander munter beschimpft; Ost-Verbände contra West-Verbände; komplett zerstrittene Landesverbände im Westen, in denen intrigenreich um Mehrheiten gefightet und gekungelt wird; Landtagsfraktionen, die zu gemeinsamem Handeln nicht mehr in der Lage sind; Kreisverbände, die mal vom einen, mal vom anderen Lager unter Kontrolle gebracht werden sollen.
Knappe Mehrheit für Abwahl
Es war nur eine Frage der Zeit, dass die Auseinandersetzungen auch die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) erfassen würden. Ende Mai ist es passiert. Was seit fast einem Dreivierteljahr eher untergründig schwärte, wurde nun vor aller Augen sichtbar. Mit 27 zu 21 Stimmen und bei fünf Enthaltungen wählten die Mitglieder ihren bisherigen Schriftführer Erik Lehnert aus dem Vorstand ab – nach den Maßstäben der AfD einen „Parteirechten“.
Dass der völkisch-nationalistische Teil der Partei im Vorstand der Stiftung präsent sein sollte, war quasi Geschäftsgrundlage gewesen, als die DES im Sommer 2018 von der AfD als parteinah anerkannt wurde. Beim Parteitag in Augsburg, bei dem knapp zwei Drittel der Delegierten diese Anerkennung ratifizierten, war die Stiftungsvorsitzende Erika Steinbach dem Rechtsaußen-Flügel verbal entgegengekommen. Ihre Stiftung wolle alle Gruppen in der AfD ansprechen: die „Alternative Mitte“ ebenso wie den „Flügel“ oder die „Patriotische Plattform“, hatte sie beteuert.
Hoffnung auf Geld vom Staat
Der Praxistest folgte im September 2019: Lehnert, Vorsitzender des neurechten Vereins für Staatspolitik und Wissenschaftlicher Leiter seines Instituts für Staatspolitik, wurde in den Erasmus-Vorstand gewählt. Steinbach lobte seinerzeit die „Offenheit“ ihrer Stiftung, „die ihre Arbeit dem Recht und der Kultur unseres Landes verschrieben hat und den Prämissen des Grundgesetzes wieder Geltung verschaffen will“. Dazu gehöre, versicherte sie, „zu allererst das Recht auf Meinungsfreiheit“.
Doch ihr dürfte schon damals klar gewesen sein, dass Leute wie Lehnert ein Risiko sind. Deren Karrieren lassen den wachsenden Einfluss der Radikaleren deutlich werden. Und sie bergen – so jedenfalls Steinbachs Befürchtung – finanzielle Gefahren für die Stiftung: Zunächst wäre der Status der Gemeinnützigkeit bedroht. Dann, in einem zweiten Schritt könnten sich auch alle Hoffnungen auf millionenschwere Staatsgelder für die DES zerschlagen haben. Der „tageszeitung“ sagte Steinbach: „Die führende Funktion von Herrn Dr. Lehnert als Vorsitzender des IfS verträgt sich aufgrund der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das IfS wegen extremistischer Tendenzen als Verdachtsfall einzustufen und damit permanent zu beobachten, nicht mit der Satzung unserer Stiftung und damit seiner Mitgliedschaft in unserem Vorstand.“
Unterstützung durch Gauland
Für Lehnert ergriff erwartungsgemäß AfD-Patriarch Alexander Gauland Partei. Wie deutlich er dabei wurde, darüber gehen die Darstellungen auseinander. Steinbach erinnerte sich gegenüber der „Welt“ so: Gauland habe ihr „prognostiziert“, dass die AfD der DES die Anerkennung als parteinah wieder entziehen würde, falls Lehnert tatsächlich abgewählt werde. Eine solche Abwahl könne so interpretiert werden, so Gauland laut Steinbach, dass danach nicht mehr die Vielfalt aller politischen Strömungen der AfD im Vorstand der Stiftung repräsentiert seien. Gaulands Version des Gesprächs klingt weniger scharf. Er habe Steinbach gesagt, er würde „die Gefahr sehen“, dass der Stiftung bei Lehnerts Abwahl die Anerkennung entzogen würde. Als Grund habe er angeführt, so zitiert die „Welt“ seine Darstellung, „dass Grundlage der Anerkennung der Stiftung durch die Partei war, dass in der Stiftung alle relevanten Strömungen der AfD repräsentiert sein müssten“.
Ob verkappte Drohung oder mehr oder weniger freundlicher Hinweis: Steinbach gab sich hart. Sie schätze ja Gauland aus der gemeinsamen Zeit in Frankfurt. Aber: „Wenn ich eine Entscheidung für unabdingbar halte, dann beißt sich jeder an mir die Zähne aus, der mich davon abbringen will.“ Den Rauswurf Lehnerts verteidigte sie: „Wenn wir vor uns eine Tretmine sehen, werden wir natürlich einen Bogen drumherum machen, damit nicht die ganze Stiftung in die Luft fliegt.“
Strippenzieher Hausberger
Lehnert selbst wirft Steinbach vor, sie wolle sich in den AfD-internen Machtkampf einmischen: „Anders sind die Durchstechereien und vor allem die üble Nachrede, die sie und ihr Mitvorstand Hans Hausberger mir hinterherschicken, nicht zu interpretieren.“ Jenen Hans Hausberger, Ex-Vorsitzender des „Rings Freiheitlicher Studenten“ (RfS) und beteiligt an früheren Versuchen, eine Stiftung für die Republikaner auf die Beine zu stellen, hält Lehnert offenbar für den Hauptinitiator der Attacken gegen seine Person.
Vor der Anerkennung der DES durch die AfD habe Hausberger dringend nach „rechten“ Leuten gesucht, weil er die Unterstützung aus diesem Lager benötigt habe, erinnert sich Lehnert. So sei auch er zur DES gekommen, schreibt Lehnert in einer Abrechnung mit seinen kurzzeitigen Stiftungsfreunden. Unter dem Titel „Wie man eine Stiftung anzündet“ hat er für seinen Kontrahenten kein gutes Wort mehr übrig: Hausberger leide an einem „schweren Trauma“, sei „für jegliche politische Arbeit ungeeignet“, „irrlichtere“ schwer, sondere „Tiraden“ und „nicht selten wilde Schimpfkanonaden“ ab.
„Selbstzerfleischungserscheinungen“
Den Vorwurf, mit ihm würde die DES ihre Gemeinnützigkeit verlieren, hält Lehnert für unbegründet. „Vorgeschoben“ seien die Befürchtungen. Hausberger und Steinbach würden „in vorauseilendem Gehorsam von vornherein die Waffen strecken“. Gehe der Vorstand in Zukunft ähnlich konsequent „gegen andere, vom Verfassungsschutz verunglimpfte Mitglieder vor, ist die Liste der AfD-Mitglieder, die im Trägerverein der DES nicht mehr Mitglied sein dürfen, bereits jetzt lang, und sie wird in Zukunft länger werden“. Im „Restvorstand“ der Stiftung will Lehnert „Selbstzerfleischungserscheinungen“ ausgemacht haben.
Nach seinem Rauswurf gehört mit Jan Moldenhauer nur noch ein Vertreter der äußersten Parteirechten dem nun zehnköpfigen DES-Vorstand an. Auch er wurde im September vergangenen Jahres in das Gremium gewählt. Und auch gegen ihn soll Hausberger Front gemacht haben. Einst zählte Moldenhauer zur Führungsspitze der „Patriotischen Plattform“ in der AfD, die sich meist noch eine Spur radikaler äußerte als der „Flügel“. Auch er unterhält Kontakte zum IfS. In Götz Kubitscheks Antaios-Verlag erschien vor einem Jahr seine Schrift „Japans Politik der Null-Zuwanderung. Vorbild für Deutschland?“
„Vom Großen Austausch bedrohte Völker“
Im Werbetext des Verlags heißt es über Moldenhauers 40-Seiten-Schrift: „Ist es in Zeiten der Globalisierung möglich, dass Volkswirtschaften bzw. Nationalstaaten ökonomisch prosperieren, ohne dass die Staatsvölker dieser Nationen infolge offener Grenzen und damit verbundener Massenzuwanderung ihre ethnokulturelle Identität einbüßen?“ Zur Beantwortung dieser Frage lohne sich „für die vom Großen Austausch bedrohten europäischen Völker“ der Blick auf Japan. „Denn während das einstmals konservative Westeuropa durch die amerikanische Kulturhegemonie nach 1945 erst liberalisiert, dann durch die Kulturrevolution der 68er linksliberalisiert und infolgedessen zunehmend multikulturalisiert, multiethnisiert und islamisiert wurde und wird, beharrt Japan weiter auf seiner ethnokulturellen Identität.“ Moldenhauer selbst notierte bei „sezession.de“, am Beispiel Japans lasse sich aufzeigen, „dass es durchaus möglich ist, antiliberale, demokratische, rechtsstaatliche, so genannte ‚völkische‘ und ökonomische Prinzipien und Denkweisen sinnvoll miteinander in Einklang zu bringen“.
Doch bevor es möglicherweise gegen Moldenhauer gehen könnte, steht ein anderer Kandidat auf Steinbachs Abschussliste: Der DES-Ehrenvorsitzende Konrad Adam. „Seitens der Vorstands“ gebe es „bereits einen Abwahlantrag für die nächste ordentliche Mitgliederversammlung“, teilte Steinbach mit. „Seine öffentliche Positionierung gegen die Partei, der die Stiftung nahe steht, ist unerträglich.“
Abwahlgrund: Einsicht
Adam ist seit fünf Jahren, als die AfD ihren Ex-Chef ausbootete, aus deren Sicht ein höchst unsicherer Kantonist. In einem Gastbeitrag für die „Welt“ notierte er Mitte April: In der AfD würden die „Radikalen“ fast überall nach vorn drängen. Der „Flügel“ und seine „Affiliationen“ hätten „die Partei längst überwuchert oder unterwandert“. Auch über das Verhältnis der AfD zum Thema Stiftung(en) zog er her: „Im Laufe der Jahre habe ich vier oder fünf Erasmus-Stiftungs-Vereine gezählt, dazu eine Herder-, eine Struve-, eine Friesen-, ein oder zwei Stresemann-Stiftungen sowie eine Kant-Stiftung samt Gegenstiftung, die sich nach Kant und Jaspers gleichzeitig benannte, ein Schmierenstück sondergleichen.“ Wofür die Namen stünden, was sie erlauben würden und wozu sie verpflichten könnten, sei nebensächlich: „Denn der Stiftungszweck heißt, pfälzerisch ausgedrückt, Bimbes.“
Vom „schönen Anspruch“, es nicht nur anders, sondern auch besser zu machen als die anderen Parteien, sei nicht mehr viel zurückgeblieben, meint Adam. Merke: Auch Einsicht kann ein Abwahlgrund sein.