Anastasia-Bewegung

Kampf gegen Bildung

Der russische Anastasia-Kult ist Teil eines politisch aufgeladenen, rechtslastigen Spannungsfeldes. Auch nach der Pandemie sind vor allem Kinder die Leidtragenden. Deren Eltern attackieren die Schulpflicht. Sie forcieren eine Bildungsrevolte mit reaktionären Konzepten und unklaren Lehrinhalten. Teil 3 der Serie zur Anastasia-Bewegung.

Donnerstag, 20. April 2023
Andrea Röpke / Lotta Maier
Immer wieder wurden auf verschwörungsideologischen Demonstrationen Schulen für den Umgang mit Kindern kritisiert, Foto: L.Schmidt
Immer wieder wurden auf verschwörungsideologischen Demonstrationen Schulen für den Umgang mit Kindern kritisiert, Foto: L.Schmidt

Sie verschwanden aus ihrem gewohnten Umfeld: Kinder von Corona-Leugnenden und Verschwörungsgläubigen. Seit der Corona-Pandemie ist der Verbleib vieler Kinder ungeklärt. Das strategische Verweigern von Masken-, Test- und Impfpflicht ermöglichte es Tausenden Eltern, den eigenen Nachwuchs dauerhaft den Schulen fernzuhalten. Auch nach dem Ende der Pandemie kehren Kinder nicht zurück. Manche sind „dauerhaft reisend“, unterwegs mit ihren Eltern, die dem Querdenken-Milieu zugerechnet werden. Eine Mutter aus Mecklenburg-Vorpommern hat sich und ihre zwei jüngsten Kinder „ins unbekannte Ausland“ abgemeldet und befindet sich auf der Fahrt durch Europa – nur um sie nicht wieder in eine Schule schicken zu müssen.

Die Aktivistin der rassistischen „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“ hatte seit Jahren erfolglos versucht „Homeschooling“ durchführen zu können. Eine andere versteckt sich mit Kind in einer angemieteten Ferienwohnung auf dem Land in Niedersachsen. „Diese Schülerin“, berichtet die Schulleiterin eines Gymnasiums über einen weiteren Fall, „haben wir seit fast zwei Jahren Jahr nicht mehr gesehen“. Sie weist darauf hin, dass die Eltern keinesfalls gewillt seien, den Strafbefehl wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht zu bezahlen. Das Mädchen möchte zurück, doch die Eltern behaupten, sie würde dann einer „Hetzjagd“ ausgesetzt.

„Meine Kinder gehen nicht in die Schule und werden es auch nicht wieder“, lautet der Kommentar von „Miri“ in der Telegramgruppe „Homeschooling“. Zudem gibt es Berichte über eine Mutter, die ihren Job kündigte und mit der Tochter in den Wald zog. Dem Kind fehlten fast zwei Jahre lang Außenkontakte, es befindet sich heute in Therapie. In Foren tauschen sich „Auswanderer-Eltern“ aus, die Deutschland hinter sich lassen möchten, um ihren Kindern „Frei lernen“ und „Frei leben“ in Ländern wie Österreich, Paraguay oder Russland zu ermöglichen.

Teilnehmende einer Schülerdemo in Nürnberg gegen Maskenpflicht.
Teilnehmende einer Schülerdemo in Nürnberg gegen Maskenpflicht.

Im Kanal „Aufgewacht mit Birgit Doll“ wurde bereits im September 2021 neidisch auf ein deutsches Nachbarland geschaut: „Kleine Ösis lernen daheim. Morgen beginnt in Österreich wieder die Schule.“ Doch Tausende Familien, „die mit verschiedenen Zwangsmaßnahmen nicht einverstanden“ seien, würden ihre Kinder nicht hinschicken. Einfach abmelden und nach Gutdünken zuhause unterrichten – diese Vorstellung entspricht der Sehnsucht vieler Eltern, die nicht nur das Bildungs-, sondern zumeist das ganze deutsche „System“ ablehnen und aus politischen Gründen die Bildung ihrer Kinder in die eigene Hand nehmen wollen. Homeschooling ist in Österreich zulässig. Anders als in der Bundesrepublik gibt es dort nur eine Unterrichtspflicht, keine Schulpflicht. In den meisten deutschen Bundesländern werden Verletzungen mit Bußgeldern geahndet, doch u.a. in Mecklenburg-Vorpommern, Bremen oder dem Saarland können Verstöße auch strafrechtlich verfolgt werden.

Versteckte Lerngruppen

Rowena Jentgens aus dem Allgäu stand der Querdenken- Organisation „Eltern stehen auf“ nahe. Jentgens rief bereits im Dezember 2021 in einer Online-Sendung des „Levana Verbund-Elternstammtische für Impfaufklärung“ dazu auf, während der Corona-Pandemie möglichst zahlreich Lerngruppen und Schulen zu gründen. Das war in einem Gespräch mit Rolf Kron, ein Arzt und schwäbischer Verschwörungsideologe, der den Nationalsozialismus relativierte und auf der Bühne einer Querdenken-Veranstaltung den Hitlergruß gezeigt hat. Jentgens appellierte öffentlich, viel mehr Eltern sollten ihre Kinder aus den herkömmlichen Bildungseinrichtungen nehmen, „um damit dem System Stacheln ins Getriebe zu setzen“. Tatsächlich wurden illegale Schulen mit bis zu 50 Kindern u.a. in Esslingen, Essingen, Rosenheim, Gablenz, Neudorf im Erzgebirge, Rechenberg oder Erlangen von den Behörden hochgenommen und geschlossen. Die Verantwortlichen stammten aus dem verschwörungsideologischen Spektrum, viele von ihnen stehen aber auch dem russischen Anastasia-Kult nahe. Die Partei Die Linke in Sachsen wirft dem Kultusministerium im März vor, nicht energisch genug gegen illegale Schulen und Lerngruppen vorzugehen. „Das Kindeswohl ist gefährdet“, betonte Fraktionschef Rico Gebhardt. „Eltern verbauen Kindern den Lebensweg, wenn sie diese nicht in die Schule gehen lassen.“

Sonja Bergfeld gehörte zum „Team“ einer illegalen Querdenker-Schule auf einem alten Bauernhof in Deutelhausen im Landkreis Rosenheim. Inzwischen ist die Familie mit ihren Kindern nach Russland ausgereist, hat dort Asyl beantragt und bittet über Telegram-Kanäle um Spenden, ein „Hilferuf der Deutschen Völker“, wie es heißt. Denn sie baut dort nahe Leningrad einen „Familienlandsitz“ namens „Altpreußische Gemeinde Bergfeld“ mit auf, als deren Bürgermeisterin sie amtiert. Schulgründungen sind weiterhin ihr Thema.

Netzwerkerin Rowena Jentgens, besuchte am 7. Februar 2023 erneut Krons Online-Sendung und berichtete über ihre vergeblichen Versuche Untergrundschulen in Bayern zu gründen. Neun Monate lang habe die Mutter von vier Kindern heimlich eine Lerngruppe mit zeitweilig 30 Kindern bei sich zuhause unterhalten. Dann sei sie das Projekt Schule angegangen. „Ich hatte am Ende 120 Familien, die schon Vorverträge und Darlehensverträge vorgelegt hatten, zwölf Lehrer und konnte mit unternehmerischer Unterstützung einen Schulcontainer kaufen“, behauptet sie und ergänzt, der Container würde jetzt im Allgäu verrotten. Das Projekt scheiterte an den Behörden. Doch sie kündigt an: „Es gibt viele, die ihre Kinder noch zuhause haben.“

In Folge der Corona-Pandemie droht das Bildungssystem massiv an Autorität zu verlieren. Zusätzlich erschwert der LehrerInnen-Mangel, der sich in den nächsten Jahren noch verschärfen soll, die Situation. Dabei bieten das grundsätzlich geschützte Recht zur Privatschulgründung durchaus Möglichkeiten von Bildungsvielfalt und individueller Selbstbestimmung. Allerdings konnte sich im Umfeld staatlich genehmigter Schulen in freier Trägerschaft, quasi unter Aufsicht der Behörden, ein alternatives, rechtsoffenes Milieu entwickeln. Aus christlichen Privatschulen sind Fälle bekannt, in denen homophobe und kreationistische Inhalte abseits der offiziellen Lehrpläne vermittelt werden. Verschwörungsideologien und Geschichtsverfälschung halten Einzug nicht nur in Freie Schulen.

Die vorherrschende Toleranz im Bildungssektor ist vielen jedoch noch zu wenig. Dem „durch die deutsche Schulpflicht erzeugten Leid“ wollen viele Freilernende entfliehen. Insbesondere die hierzulande geltende Schulgebäudeanwesenheitspflicht steht der Gründungswut von Querdenkern und Staatsverweigerern im Wege. Es gäbe europaweit keine vergleichbare Regelung, wird sich echauffiert. Weniger offen ausgesprochen wird, dass sich Rechte und Reichsideologen vor allem an staatlich vorgegebenen Bildungsplänen und deren Lehrinhalte stören. Alternativ dazu florieren pädagogisch fragwürdige Modelle wie die aus Russland stammende „Schetinin“-Reformpädagogik.

Petition mit Hintergrund

Die aus Mühlhausen stammende Rechtsanwältin Katja Senkel reichte eine Petition mit dem unauffälligen Titel: „Etablierung informeller Bildungsmöglichkeiten für junge Menschen in Thüringen“ ein. Vordergründig geht es um die Möglichkeit der Gründung von „Online-Schulen“. Bis Ende 2022 hatten 4.213 Menschen die Petition unterzeichnet und sie war damit erfolgreich. Am 2. März fand die Petitionsanhörung im Thüringer Landtag statt. Neben Senkel stellten u.a. der Neurobiologe Gerald Hüther, der Philosoph Bertrand Stern und die Pädagogin Karen Kern die Petition vor. Alle drei treten immer wieder im rechtsoffenen Freilerner-Spektrum bei Kongressen und Veranstaltungen auf. Der Vorstoß von Senkel & Co. wird auch vom extrem rechten Zusammenschluss „Freies Thüringen“ gefeiert. Es sei eine Initiative im Thüringer Landtag, heißt es, „die wir tatkräftig unterstützen wollen“. Gemeinsam sollen Kinder und Jugendliche „vor staatlichen Übergriffen“ geschützt werden.

Auf einer Demonstration schläft ein Kind zugedeckt auf der Straße, Foto: L. Schmidt
Auf einer Demonstration schläft ein Kind zugedeckt auf der Straße, Foto: L. Schmidt

Das Hamburger Magazin stern berichtete am 1.12.2022, die Rechtsanwältin Katja Senkel sei noch vor kurzem als „Teammitglied“ eines Vereines geführt worden, der dem Anastasia-Kult und damit der russischen Schetinin-Reformschule nahesteht. Der Verein heißt „Gaudium in Vita“ und unterhält ein ehemaliges Landschulheim im niedersächsischen Lüsche bei Gifhorn. Das Gelände in Lüsche gilt inzwischen als „Kaderschmiede“ für illegale Schulgründungen nach russischem Vorbild.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung aus Berlin warnt: „In der `Kindeserziehung´ nach Anastasia spiegelt sich Wissenschaftsfeindlichkeit sowie die Ablehnung von allem, das seinen Ursprung nicht in der Natur hat. Dies ist typisch für die Verbindung von Esoterik und Verschwörungsnarrativen.“ Im „Handbuch Weltanschauung“ herausgegeben von Matthias Pöhlmann und Johannes Goldenstein heißt es „Schetinin war überzeugter Anastasianer“. Der Erfinder der Anastasia-Buchreihe, Vladimir Megre, wiederum nahm die Bildungsidee des ehemaligen Musiklehrers begeistert auf und verbreitete sie europaweit. „Wir werden den Deutschen helfen aufzuwachen“, wird Schetinin von einem Jünger zitiert.

Über die ehemalige „Gaudium in Vita“- Frau Katja Senkel sollen laut stern Spendengelder über ein Konto in Belgien gesammelt worden sein, Verwendungszweck: Gesetzentwürfe Selbstbestimmtes Lernen. Senkel gab sich gegenüber dem stern empört, will den Verein „Gaudium in Vita“ aufgefordert haben, ihren Namen zu löschen. Doch Senkels Thüringer Petition haben auch Gaudium-Betreiber Nicole und Steffen Wolf unterschrieben. Nach Zwist klingt das nicht. Im Gegenteil: Anfang März bewerben die Wolfs in ihrem Kanal „Gaudium in Vita – Aktuell“ begeistert die von ihrer ehemaligen „Team-Kollegin“ initiierte Petitions-Anhörung im Thüringer Landtag.

Rechtsoffene Öko-Dörfer ?

Zur Schaffung einer „Lernkultur“ der „Neuen Zeit“, wie es gerne in esoterisch geprägten Foren heißt, wird sich auch an grün-alternativen Siedlungsprojekten orientiert. Umstrittene soziokulturelle Wohn- und Bildungsinitiativen wie „Go in Change“ oder ZEGG (Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung) werden ebenso frequentiert wie Vorzeige-Öko-Lebensprojekte wie die „Gemeinschaft Tempelhof“ im baden-württembergischen Kreßberg oder die „Lebensgemeinschaft am Windberg“ in Thüringen. Diese führen eigene Schulen. Obgleich Tempelhof und Windberg nicht im Verdacht stehen, ein nationalistisches Weltbild zu hegen, zeigen sich manche Mitglieder nach rechts durchaus interessiert. Eine Rolle dabei spielen Multiplikatoren wie Rüdiger Bachmann, Sprecher der Tempelhofer. Er bezeichnete während der Corona-Epidemie maskentragende LehrerInnen als „Psychopathen“.

Bachmann befand sich in einschlägiger Gesellschaft: Mit dabei bei diesem Online-Seminar waren Nicole Wolf von „Gaudium in Vita“ oder der Pädagoge Matthias Lebschy von „Lernen im Freien“. Nicole Wolf beherbergt nicht nur den Anastasia-nahen Bildungsverein „Gaudium in Vita“ in Lüsche, sondern war auch Moderatorin eines Corona-Protestes in Gifhorn mit über 2.000 Teilnehmern Anfang 2022, mitorganisiert von „Querdenken Dresden“. Matthias Lebschys Initiative „Lernen im Freien“ zählt laut SWR-Berichterstattung vom 31. März 2022 zu den 30 schulähnlichen Gruppen in Baden-Württemberg, die die Schulpflicht unterlaufen. Auch Lebschys Kinder gingen eigenen Angaben zufolge nach dem Lockdown nicht wieder zur Schule. Der gelernte Heilerziehungspfleger weiß, dass er mit der Verletzung der Schulpflicht die Fürsorgepflicht des Staates auf den Plan ruft. Aber im Gespräch mit dem SWR versucht er, das Problem umgekehrt darzustellen: Die Corona-Maßnahmen selbst seien womöglich eine Kindeswohlgefährdung. Und die Gefahr bestehe, dass die Strukturen zum Kinder- und Jugendschutz diesen Sachverhalt nicht erkennen würden. Er wirft dem Staat vor, nicht auf der Suche nach „freiheitsschonenden Alternativen“ zu sein.

Auf dem Gelände von "Gaudium in Vita" fand am 26.2.22 ein Schetinin-Seminar statt. Kinder in langen Röcken lehren im Freien am Flipchart. Foto: isso.media
Auf dem Gelände von "Gaudium in Vita" fand am 26.2.22 ein Schetinin-Seminar statt. Kinder in langen Röcken lehren im Freien am Flipchart. Foto: isso.media

Mit Lebschy trat Tempelhof-Sprecher Bachmann mehrmals auf. Zu dieser und ähnlichen Kritiken tauschen sich die 101 Mitglieder im Telegram-Kanal „Bildungsveränderer am Tempelhof“ aus. In diesem Kanal wurden während der Pandemie auch Vordrucke von der verschwörungsideologischen Querdenken-Initiative „Eltern stehen auf“ zur Verfügung gestellt. Konfrontiert mit dieser politischen Nähe räumte eine Referentin der „Gemeinschaft Tempelhof“ 2022 ein: Ja, aus ihrem Öko-Dorf in Schwaben hätten „Einzelne“ schon an Querdenken-Protesten teilgenommen, das „Corona-Geschehen sei bei ihnen noch nicht verarbeitet“. Anastasia-Aktivist und Autor Felix Kraus zählt die „Gemeinschaft Tempelhof“ zu den „Inseln des neuen Zeitalters“.

Auf dem Thüringer Gelände der Öko-Siedlung „Gemeinschaft am Windberg“ fand 2017 das bundesweite Anastasia-Festival statt. „Auch 2017 wollen wir mit Euch ein strahlendes Fest für die Landsitzbewegung begehen“, hieß es in der Videoeinladung. Ein Julius im Schneidersitz sagte, die Hauptintention sei, „Mut zu machen, für die Dinge, die in den Anastasia-Bücher stehen“ und die „Anastasia-Idee möglichst viel in der Welt“ zu verbreiten. Als Highlight, „wer alles Cooles kommt“, kündigte er den extrem rechten „Familienlandsitz“ Weda Elysia oder Anastasia-Wegbereiter Ralf Otterpohl an. Dabei waren aber auch der rassistische Referent Frank Willy Ludwig („Urahnenerbe“), Neonazi Steffen Hupka oder die völkisch-bündische Aktivistin Gerhild Drescher. Felix Kraus alias „Felix der Glückliche“, der „Julius“ als seinen Freund bezeichnet, sang dort seine neue Version der deutschen Nationalhymne vor. Laut Kraus bestehe die Gemeinschaft „aus Anastasia-Freunden und Skeptikern“. Nachdem ein sehr kritischer Hintergrundbericht der Öko-Zeitschrift „Oya“ für Aussehen gesorgt hatte, distanzierte sich der „Lebenslernort“ nahe Erfurt öffentlich.

Die Vermittlerin

Verschwörungsideologische Schul-VerweigerInnen nutzen in der Telegram-Welt eine Sprache, die das tatsächliche Geschehen verharmlost. So ist von „Freien LernOrten“, „natürlichem Lernen“, einer „intrinsischen Motivation“ und „selbstbestimmter Bildung“ die Rede. Diese besage: „Keine Opfer mehr“, „keine Ja-Sager mehr“. Stattdessen werden Menschen aufgefordert, „mutig neue Wege“ für die Unabhängigkeit zu gehen. So der Sprachduktus. Zuhauf werden esoterische Seminare oder Online-Kongresse wie „Kinder der Zukunft“ oder „Schulsystem adè – Neue Wege sind OK!“ beworben.

Selten sind Seminar-Angebote wirklich kostenlos. In unzähligen Kanälen und Chats bieten sich Freilerner-Familien, Transformations-Coaches, PsychologInnen, Anwälte und PädagogInnen an. Lehrerin Simone Voss trat beim Querdenken-Protest in Gifhorn 2022 als singende Protestlerin auf. Der Schwester der Corona-Leugnerin Carola Javed-Kistel folgen bei Telegram über 6.200 AnhängerInnen. Dort wird für die „Schetinin“-Pädagogik und neue Schulgründungen geworben. Zu Idolen dieser einschlägigen „Freilerner“-Szene werden politische Aktivistinnen wie Bianca Höltje.

Bianca Höltje ist eine ehemalige Schulleiterin aus dem niedersächsischen Höhne, die auf Querdenken-Veranstaltungen spricht und sich mit dem Gründer Michael Ballweg eng zeigt. Der Kanal von Bianca Höltje hat über 3.700 Abonnenten, thematisch geht es nur um eines: neue Schulgründungen. „Faschistisches Gedankengut ist mir fremd“, betont die Pädagogin und selbsternannte „Weltveränderin“ auf Medienanfrage, beantwortet jedoch keine Fragen nach ihrer Nähe zur Anastasia- und Reichsbürgerszene.

Peter Fitzek und sein reichsideologisches Konstrukt „Königreich Deutschland“ interessieren sich offen für den russischen Lehrmeister Michail Petrowitsch Schetinin. Bereits im Januar 2015 organisierte der Verein „fair teilen“ einen Vortrag mit Richard Kandlin. Peter Fitzek feierte „den spannenden Vortrag“ des „Experten für das revolutionäre Schetinin Schulkonzept!“ Jens L. aus Leipzig wird mit seiner „Praxis für heilsame Berührung“ im Firmenregister des „Königreich Deutschland“ geführt. Bei Telegram ziert seinen Account eine Odal- und Lebensrune. Inzwischen bietet L. auf der dazugehörigen Internetseite bundesweit „Schetinin-Pädagogik hautnah“ an. Die Teilnahme am „Erlebnistag“ mit Körperertüchtigung, Singen, Tanzen und kreativem Gestalten kostet für Erwachsene 90 Euro, pro Kind 45 bis 65 Euro.

Keinen Hehl aus seinem Faible für die Anastasia-Bücher macht ein ebenso umtriebiger Influencer, der Österreicher Ricardo Leppe. Der Magier und Geschäftsmann gilt als Bildungsexperte des verschwörungsideologischen Schulverweigerer-Spektrums. Leppe ist einer der selbsternannten Coaches für eine sogenannte Lernkultur der Neuen Zeit. In Telegram-Kanälen wie Leppes „Wissen Schafft Freiheit“ verselbständigen sich Austausch, Initiativen und Vorbilder. Der russische Schul-Reformer Michail Petrowitsch Schetinin, dessen oberstes Ziel „die geistige Wiederbelebung Russlands“ war, fehlt nicht.

Teil 1 der Serie zur Anastasia-Bewegung: Arier- und Ahnenkult

Teil 2 der Serie zur Anastasia-Bewegung: Russische Einflussnahme

Teil 4 der Serie zur Anastasia-Bewegung: Zucht und Ordnung

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