„Julmarkt“ in Wienrode

Die rechte „Anastasia“-Sekte scheint im Harz gut verankert. An einer Veranstaltung am Samstag beteiligten sich nicht nur viele Einheimische, sondern auch ein Redner der rechtsextremen „Identitären Bewegung Harz“. In der Nacht vor dem Fest wurden bei Kritikern im Ort die Reifen zerstochen.

Donnerstag, 19. Dezember 2019
Andrea Röpke

Die Neusiedler luden zum etwas anderen Weihnachtsmarkt nach Wienrode in den Ostharz. „Jul- und Kunsthandwerkermarkt“ stand auf dem Eingangsschild des mit Bauzäunen abgesperrten und mit Tannengrün verzierten Geländes mitten im Ort. Männer und Frauen liefen altmodisch gekleidet umher. Kleine Verkaufsstände aus Holz waren errichtet worden, Verkäuferinnen nahmen ihre Position ein. Nach und nach rückten zahlreiche Familien an. Die meisten Besucher schienen sich untereinander gut zu kennen.  

Die Veranstalter sehen aus wie „Ökos“, sind aber Anhänger der russischen „Anastasia“-Bewegung, einer europaweit aktiven, sektenähnlichen Struktur mit Verbindungen in die völkische Szene. Unter dem Label „Weda Elysia“ („Wissen um das Paradies“) bauen sie in der ehemaligen Dorfschänke des kleinen Ortes nahe Blankenburg das „Haus Lindenquell“ auf.  Es soll das Herzstück eines neuen „Familienlandsitz nach Anastasia“ werden – mit Seminarhaus, Tanzsaal und einem Laden. Weiteres Gelände soll erworben oder gepachtet werden. Noch wirken die Gebäude wenig instandgesetzt.

Verschwörungsideologisches Weltbild

Nicht wenige Wienröder sind begeistert, dass sich die Zugezogenen in ihren kleinen Ort engagieren und die seit Jahren leerstehenden Gebäude wiederbeleben. Nach außen wirken sie ökologisch, heimatverbunden und hilfsbereit. Sie bieten auch im Dorf Volkstanzlehrgänge an oder lesen Kindern Märchen vor. Zu so genannten „Helfertagen“ reisen Unterstützer aus ganz Deutschland an. Im April 2019 berichtete die Journalisten Silvio Duwe und Lisa Wandt beim RBB über die politischen Hintergründe von Anastasia und dem Projekt „Weda Elysia“ in Wienrode. Seitdem steht der Ort vor einer Zerreißprobe.

Tatsächlich gelten das umtriebige Harzer Ehepaar Aruna und Maik S. sowie deren Anhängerschaft nicht nur gut etabliert in der Region, sondern auch als bestens vernetzt in die extrem rechte Szene. So wird in Teilen der „Anastasia“-Bewegung nicht nur ein esoterisches, sondern auch ein verschwörungsideologisches Weltbild gepflegt. Es gibt Verbindungen in die so genannte „Reichsbürger“-Bewegung.  Ähnlich wie das brandenburgische Anastasia-Siedlungsprojekt „Goldenes Grabow“ greift auch „Weda Elysia“ auf Unterstützung bei Volkstanz, Ideologie und Brauchtum völkischer Aktivisten zurück. Als sich Anhänger von NPD, AfD, „Identitärer Bewegung“ mit ehemaligen Akteuren aus den Reihen von „Wiking-Jugend“, „Heimattreuer Deutscher Jugend“, „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ und weiteren rechten Bünden zur Wilhelm Tell-Aufführung im sächsischen Bischofswerda trafen, fehlten auch die S.s nicht.

Deutsche Musik, deutsche Tänze und deutsche Kleidung

Etwa 2009 begannen sie damit, zunächst 50 Menschen zu finden, um eine Siedlung nach Anastasia in Sachsen-Anhalt zu gründen.  „Wir gründen die familienfreundlichste und ökologischste Siedlung im Ostharz-Vorland“ hieß es vordergründig. Doch das RBB-Magazin „Kontraste“ zeigte, was sich zum Beispiel hinter einem „Grundlagenseminar“ von „Weda Elysia“ im Februar im „Haus Lindenquell“ abspielte. So stellten die Anführer klar, dass sie ausschließlich „deutsches“ Brauchtum und „deutsche“ Familien in ihrem Siedlungsprojekt wünschen. Ein lesbisches Paar, das auf der Suche nach einer ökologischen Gemeinschaft war, sei deshalb wieder weggeschickt worden. „Es muss alles geklärt sein vorher. Deswegen ist wiederum alles, Brauchtum, Partnerschaft so wichtig. Das greift alles ineinander. Und wenn da einer faul ist, weg. So haben die das früher auch gemacht. Was nicht heilbar ist muss rausgeschnitten werden“, so Maik S. auf dem Grundlagenseminar. Was deutsche Kultur sei und was nicht, erklärte Aruna S. in einem Vortrag deutlich: deutsche Musik, deutsche Tänze und deutsche Kleidung solle es sein. Röcke für die Frauen, Hosen für die Männer, Jeans sind tabu. In ihren Reihen wird stattdessen Tracht aus Leinen, Cord oder Leder getragen.

An dem Samstag lässt sich Maik S. auf dem „Julmarkt“ auch von begeisterten Besuchern aus seiner Heimatgemeinde umringen. Frauen haben Kuchen mitgebracht. Ein befreundetes Nachbarpaar bietet mit ihren Kaltblütern Kutschfahrten für Kinder an. Der Kutscher sympathisiert bei Facebook ganz offen mit der „Alternative für Deutschland“ (AfD). Er ist wütend über die Frauen und Männer, die einen Info-Stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgebaut haben. Die Demonstranten gehören zu einem lokalen Aktionsbündnis gegen rechts, sie haben  aus Halle Unterstützung erhalten. Mit dabei sind auch die Linken-Landtagsabgeordnete Henriette Quade sowie Lokalpolitikerinnen der Partei.

Kritische Informationen zur völkischen Landnahme interessieren nicht

Viele der „Julmarkt“-Besucher stören sich nicht nur massiv an dem stillen Protest, sondern vor allem an der Anwesenheit kritischer Medienvertreter. Ein Mann, der Musikinstrumente auf das Gelände trägt, kommt herüber und stößt eine Kamera zur Seite. Eine Frau droht, die Kamera werde gleich verschwinden. Ein älterer Mann fordert dazu auf, die neuen Bewohner sofort in Ruhe zu lassen. Kritische Informationen zur völkischen Landnahme interessieren sie nicht. Als es im Herbst zu einer ersten Aufklärungsveranstaltung gegen rechts im Ort kam, hatte ein Sympathisant von „Weda Elysia“ bei Facebook gepostet: „Liebe Patrioten“, „liebe Freunde“ von ihm würden „in dem kleinen beschaulichen Harz Dörfchen Wienrode im Dorfgemeinschaftshaus schlechtgemacht werden und als böse und landraubende Nazis erklärt werden“. Ein „verlogener ARD-Beitrag“ vom April habe „diesen friedlichen und arbeitsamen Leuten schon schwer zugesetzt“. Das Dorf sei gespalten und der Schreiber forderte zum Kommen auf, um „nein zu Hetze und linker schön geredeter Meinungsdiktatur zu sagen“. 

„Mit dem Kauf eines selbstgebastelten Sterns unterstützen Sie den Aufbau von Haus Lindenquell“ stand auf einem selbstgebastelten Schild an einem der Verkaufsstände. Die „Elysia Heimatlandstiftung“ ist Träger des Projektes. Der „Elysia Siedlungs e.V.“ soll inzwischen beim Vereinsregister eingetragen worden sein. Anwohner berichten stolz davon, dass diese „netten Leute“ Nachbarschaftshilfe leisten würden. Und so bieten einige Wienröder Selbstgemachtes wie Honig auf dem Markt von „Weda Elysia“ an. Der Betreiber eines Bioladens aus der Nähe versucht, das Feuer in einem Brennkorb anzuheizen. Die Mutter des stellvertretenden Ortsbürgermeisters ist ebenso gekommen wie auch ein ehemaliges Mitglied des Ortschaftsrates und ein Mitglied des Vorstands des Fremdenverkehrsvereines. Das Vorstandsmitglied eines kürzlich gescheiterten freien Schulprojektes eilt aufs Gelände. Der Mann hat seine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Er kennt „Weda Elysia“ schon länger, denn einer der ehemaligen Mitarbeiter an der Schule gehört zum Verein.

Chormitglieder fürchten Unterwanderung

Angereist sind auch einige Mitglieder sowie der Leiter des Chores des Heimatvereins von Elbingerode. Dort war es zum Zwist gekommen, weil sich mehrere „Anastasia-Anhänger als Anwärter in den dortigen Chor einbringen. Die „Volksstimme“ berichtete über deren „rechtsextreme Tendenzen“, einige Chormitglieder fürchten eine Unterwanderung. Davon will allerdings der Chorleiter nichts wissen. Zum Auftritt seines Chores auf dem „Julmarkt“ in Wienrode reist er an. Beim Singen durfte Aruna S. mit Hut und Dirndl in der Mitte des Chores stehen und kräftig mitsingen. Draußen wunderten sich derweil anreisende niederländische „Anastasia“-Anhänger über den Protest. Sie trugen ebenfalls Bayern-Tracht und berichteten stolz, dass es bereits drei Familienlandsitz-Projekte in ihrem Land gebe. 

Am „Julmarkt“ beteiligte sich auch Christoph A. mit Freunden. Er trat im April 2016 als Redner bei einer Demonstration der rechtsextremen „Identitäre Bewegung Harz“ in Werningerode auf. Er betonte, dass die AfD der „Volksbewegung“ von Pegida und anderen Kundgebungen entsprungen sei. „Der Schlag gegen die Parteibonzen und gegen die Medien-Gutmenschen war ein Erfolg der Gemeinschaft, einer gemeinschaftlichen Bewegung“, meinte A. zum AfD-Ergebnis bei der Landtagswahl.

„Zwei erkennbare Gegner des Vereins“ getroffen

In der Nacht vor dem „Julmarkt“ wurden auf den Grundstücken von zwei Kritikern in Wienrode sämtliche Reifen von sechs Autos und zwei Fahrzeuganhängern zerstochen. Oliver Meißner ist einer der Betroffenen, dessen Privat-Bus und auch Gemeinde-Bus von Unbekannten angegriffen wurde. „Das ist schon ein erheblicher Schaden, der da entstanden ist“, so der Pfarrer. Die Räume der evangelischen Gemeinde liegen schräg gegenüber dem „Haus Lindenquell“. Er vermutet, dass die nächtliche Aktion der Einschüchterung dienen sollte, da ausschließlich mit ihm und einer Ortschaftsrätin zwei „erkennbare Gegner des Vereins“ getroffen wurden. Es könne, so Meißner, auch als „erste Warnung“ verstanden werden. Mitbürger sagt er, sehen darin eine Tat eines „dummen“ Mitläufers, der seine Wut ausleben oder etwas „Gutes“ für den „Weda Elysia“-Verein tun wollte. Ein Sprecher des Polizeireviers Harz schließt laut der „Volksstimme“ einen Zusammenhang mit einer Veranstaltung des in Wienrode ansässigen Vereins „Weda Elysia“ nicht aus. Deutlich wird auf jeden Fall, wie verankert die Anhänger von „Anastasia“ bereits im Ort zu sein scheinen. Doch Gewalt bestürzt viele in Wienrode und so nach und nach interessiert man sich für die Argumente der Kritiker.

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