„Thüringer Zustände“

Jugendlicher Rechtsruck?

Am Montag ist die neue Ausgabe der „Thüringer Zustände“ erschienen, eine wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Betrachtung der gesellschaftlichen Zustände im Freistaat und der Entwicklung der extremen Rechten. Teil der Analyse ist dabei auch der aktuell oft beschriebene „jugendliche Rechtsruck“. Eine genaue Betrachtung zeigt Ambivalenzen: Eine Jugend zwischen Krisen, Radikalisierung und genauen Wertvorstellungen.

Montag, 23. Juni 2025
MOBIT
Neonazistische Demonstration gegen den CSD in Eisenach (Bild: MOBIT)
Neonazistische Demonstration gegen den CSD in Eisenach (Bild: MOBIT)

In den vergangenen Monaten fanden sich in zahlreichen Medien Schlagzeilen wie „Warum Jugendliche rechts wählen“ oder gar „Rechtsextremismus: Sind die Skinheads zurück?“. Blickt man auf die Wahlergebnisse der vergangenen Jahre, zeigt sich ein eher unbeständiges Bild bei den Wahlentscheidungen der jüngsten Kohorte. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die AfD sieben Prozent der Stimmen der 18- bis 24- Jährigen, 2017 waren es noch zehn Prozent. Seit der Europawahl 2024 haben die Zustimmungswerte in der jüngsten Alterskohorte jedoch massiv zugenommen. 

In der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen entschieden sich 16 Prozent, und damit ein Anstieg um elf Prozentpunkte im Vergleich zu 2019, für die Wahl der AfD. Bei der Bundestagswahl 2025 erreichte die AfD mit einem Stimmanteil von 21 Prozent in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen einen Zugewinn von 14 Prozentpunkten. Die meisten Stimmen konnte mit 25 Prozent allerdings Die Linke für sich gewinnen. In Thüringen erzielt die AfD schon seit Jahren deutlich höhere Ergebnisse unter Jungwähler*innen als im Bundestrend. Waren es bei der Landtagswahl 2014 14 Prozent der 18- bis 24-Jährigen, die die AfD (gesamt 10,4 %) wählten, konnte die extrem rechte Partei die Zustimmung in der Altersklasse 2024 auf 38 Prozent erhöhen (gesamt 32 %). Die Zustimmung zu rechten Positionen erschöpft sich dabei nicht in der Wahl der extrem rechten AfD. 

Subkultur und soziale Netzwerke 

In den letzten Jahren zeigten sich vor allem in den sozialen Netzwerken – allen voran bei TikTok und Instagram – und bei Mobilisierungen auf der Straße, dass Teile der jüngeren Generation offen für extrem rechte Ideologie eintreten. Hierbei war eine Rückkehr des Stils der Skinheadbewegung der 1990er-Jahre zu beobachten. Besonders bei den Protesten gegen verschiedene Christopher Street Days (CSD), die vor allem in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stattfanden, war dieser Kleidungsstil öffentlich wahrzunehmen. Hier kann man allerdings nicht von festen Organisationstrukturen sprechen, sondern eher von losen, durch die sozialen Medien mobilisierten Gruppen (Mellea/Düker 2024). Die Klickzahlen bei TikTok auf Videos von jungen Akteur*innen, die hier meist von Rechtsrock unterlegt ihren Skinheadstyle zur Schau stellen, sind enorm. Diese Entwicklungen in den sozialen Netzwerken sind aber kein nationales Phänomen, sondern bilden eine internationale Entwicklung ab. 

Cover der heute veröffentlichten Publikation
Cover der heute veröffentlichten Publikation

Zur Europawahl nutzten die AfD und besonders ihr Spitzenkandidat Maximilian Krah TikTok für die direkte Ansprache vor allem junger Männer (Abou-Chadi 2024). Dass die extrem rechte Szene hier eine Chance für sich sieht, um junge Menschen zu erreichen und eine „kulturelle Hegemonie“ online zu erlangen, ist nicht neu. Bereits 2023 sprach der extrem rechte Aktivist Erik Ahrens, der später Teile der Europa-Kampagne von Maximilian Krah verantwortete, beim neurechten Institut für Staatspolitik über seine Idee eines „TikTok von rechts“. TikTok bietet für die Strategie der extremen Rechten Vorteile: Allen voran der spezifische Algorithmus, welcher es auch ohne einen Kanal mit zahlreichen Follower*innen erlaubt, enorme Klickzahlen auf Videos zu erreichen. 

So konnte man im Wahlkampf in Thüringen sehen, wie die AfD und ihr Umfeld vorgingen: Für die TikTok-Videos des Junge-Alternative-Funktionärs Eric Engelhardt aus Thüringen wurden eigene Telegram-Kanäle („TikTok Guerilla“) angelegt, in denen jede*r dessen vorproduzierte Videos herunterladen konnte, um damit die Plattform über zahlreiche Kanäle zu fluten. Wie viele Menschen schlussendlich mit den Videos erreicht wurden, lässt sich somit kaum sagen. Der Algorithmus gebe ihnen „Macht und Reichweite“, betonte Ahrens schon 2023: „Man hat eigentlich 90 Minuten am Tag ein Fenster in deren Gehirn, wo man da reinsenden kann.“ Das heißt wiederum nicht, dass Jugendliche nach dem Konsum rechter TikTok-Inhalte direkt ihre politischen Einstellungen neu ausrichten. Dieser Zusammenhang ist komplexer. Vielmehr sieht man, dass das vorhandene Potenzial extrem rechter Einstellungen von der AfD und ihrem Umfeld gezielt aufgegriffen und für die Partei mobilisiert werden soll. Die Partei hat hier allein schon durch ihre übermäßige Präsenz in den (Sozialen) Medien einen deutlichen Vorteil: erscheint sie doch als einziger Ansprechpartner. 

Ergebnisse jüngster Einstellungsforschungen 

Dass rechte Einstellungen unter jungen Menschen zugenommen haben, bestätigt die empirische Sozialforschung: Bei einer Befragung unter 2.000 Jugendlichen 2024 kamen die Autor*innen zu dem Ergebnis, dass junge Menschen mit Zustimmungswerten von 17,8 Prozent zu rechten Äußerungen „deutlich rechter und demokratieferner orientiert [waren] als der Bevölkerungsdurchschnitt“. Insbesondere ist hierbei die hohe Zustimmung zu Dimensionen der „Neo-NS-Ideologie“, zu nationalchauvinistischen Einstellungen und zu autoritären Wünschen unter jungen Menschen hervorzuheben. Auch die Betrachtung von geteilten Werten, Normen und Sorgen gibt Aufschluss über die Gründe für extrem rechte Einstellungen und Wahlentscheidungen dieser Alterskohorte. Einige Forscher*innen argumentieren, dass sich das Verhältnis zur Zukunft unter jungen Menschen verändert habe und dies ausschlaggebend für eine Affinität zu extrem rechten Positionen sei. Die Sicht Heranwachsender auf die Zukunft sei früher positiv und vielversprechend gewesen und erscheine stattdessen nun prekär und nicht mehr offen. Die aktuelle Shell-Jugendstudie (2024) zeichnet ein ähnliches Bild: Der Blick in die Zukunft der Gesellschaft sei zwar zuversichtlich, die Zuversicht in die eigene, individuelle Zukunft aber weniger positiv. 

Bei der Frage nach den größten Sorgen junger Menschen werden in den Studien vor allem Klimawandel, Diskriminierung, Krieg, die „wachsende Feindseligkeit“ und „Ausländerfeindlichkeit“ sowie nicht zuletzt der Aufstieg des Rechtspopulismus benannt (Shell-Jugendstudie 2024; SINUS-Jugendforschung 2024). Weniger häufig werden hingegen „Spannungen in der Gesellschaft wegen des Zuzugs von Geflüchteten, das wahrgenommene Problemlösungsdefizit der Politik und Inflation als zentrale Sorgen“ angegeben.

Kann man von einem „jungen Rechtsruck“ sprechen? 

Auf verschiedenen Ebenen ist eine Hinwendung junger Menschen zu extrem rechten Einstellungen, Parteien und subkulturellen Praktiken zu beobachten. Voreilige Schlüsse sind dennoch zu vermeiden, da rechte Akteur*innen einen Rechtsruck unter jungen Menschen gern herbeireden. Hinzu kommt, dass junge Menschen mit ihren politischen Einstellungen experimentieren, „was sowohl zu der Annahme extremer politischer Positionen als auch zu kurzfristigen Änderungen ihrer Positionen führen kann“. Ein Hinweis darauf können die Wahlergebnisse der Grünen bei der Bundestagswahl 2021 sein und der Verlust großer Teile dieser Alterskohorte bei den Wahlen 2024. Provokation spielt bei jungen Menschen ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Erziehungswissenschaftlerin Katharina Fahrig gibt hierzu zu bedenken, dass jugendliche „Handlungen aus Protest oder Provokation erfolgen können, ohne dass eine entsprechende Einstellung unbedingt vorgelagert sein muss, so dass rechtsextremistische Verhaltensweisen ohne rechtsextremistische Einstellung denkbar sind“. 

Zusätzlich sollte auf Werte und Vorstellungen unter jungen Menschen hingewiesen werden, die repräsentativ für deren nach wie vor starke liberale Grundeinstellung stehen. So darf die omnipräsente Trans*- und Queerfeindlichkeit gegen CSDs im vergangenen Jahr nicht darüber hinwegtäuschen, dass soziale Gerechtigkeit und das Gleichheitsprinzip nach wie vor wichtige Werte für junge Menschen insgesamt sind (SINUS-Jugendforschung 2024). Dies zeigt nicht zuletzt, dass die wenigen auch medial sehr präsenten Demonstrationen gegen verschiedene CSDs kein repräsentatives Bild sind, sondern – gemessen an einer Gesamtschau – eher eine Minderheit abbilden. So erschien z.B. der extrem rechte Protest gegen den CSD in Eisenach eher kläglich angesichts einer großen Menge (junger) Menschen, die für Geschlechtergerechtigkeit eintraten. Im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Trans*- und Queerfeindlichkeit ist diese Minderheit dennoch ernst zu nehmen. 

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der „Ausländerfeindlichkeit“ unter jungen Menschen: Hier weisen junge Menschen wesentlich geringere ausländerfeindliche Einstellungen auf als ältere. Das wiederum heißt nicht, dass rassistische Einstellungen und Handlungen unter jungen Menschen kleingeredet werden sollten. Hinzu kommt, dass bei jungen Menschen von keiner allgemeinen Politikverdrossenheit, sondern vielmehr von Parteiverdrossenheit und Demokratieunzufriedenheit gesprochen werden kann. Das Interesse an politischen und gesellschaftlichen Themen ist hoch. Im Zuge dieser Ergebnisse stellt sich eher die Frage, inwieweit demokratische Parteien noch als Repräsentanten der Interessen junger Menschen wahrgenommen werden. 

Angesichts der Tatsache, dass insbesondere autoritäre Einstellungen und Nationalchauvinismus bei jungen Menschen verfangen, liegt die Annahme nahe, dass es sich bei den aktuellen Entwicklungen um eine Art „Resouveränisierung“ handelt. Junge Menschen beabsichtigen, so der Soziologe Wilhelm Heitmeyer, sich selbst, aber auch die eigene Nation wieder als handlungsfähiges, starkes, selbstbestimmtes und machtvolles Subjekt zu konstituieren. Solche autoritären Wünsche werden maßgeblich durch Krisenerfahrungen bedingt. Dies deckt sich mit den Beobachtungen des gegenwärtigen extrem rechten Aktivismus: Hier kommen v.a. junge Männer als Kollektiv zusammen und verfolgen ein besonders starkes und selbstbewusstes Auftreten. Insbesondere die Demonstrationen gegen die CSDs können als reaktionärer Versuch gesehen werden, die Überforderung angesichts eines Aufbrechens binärer Geschlechtlichkeit einzufangen. 

Insgesamt zeigt sich ein ambivalentes Bild, das nicht zulässt, pauschal von einem jugendlichen Rechtsruck zu sprechen. Vielmehr erleben wir eine Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Entwicklungen. Einerseits sehen wir neue, durchaus besorgniserregende Entwicklungen im aktivistischen und subkulturellen Milieu sowie auf der Einstellungsebene. Hinzu kommt, dass das Stigma, sich rechts zu positionieren oder rechts zu wählen, aufgeweicht wurde. Andererseits vertritt ein Großteil der jungen Menschen nach wie vor liberale bis progressive Einstellungen und beteiligt sich auf der Straße an Demonstrationen gegen die extreme Rechte. Diese Entwicklungen werden gerahmt von mannigfaltigen existenziellen Krisenszenarien und einer Entfremdung junger Menschen von etablierten politischen Parteien. Genau in diesem Bereich zwischen Ängsten und Repräsentationslücke versuchen die AfD und ihre Vorfeldorganisationen zu agieren. Werden der AfD und ihrem Umfeld weiterhin das Feld überlassen, ist ein Anstieg rechtsextremer Einstellungswerte und AfD-Stimmenanteile bei zukünftigen Wahlen zu erwarten. Hinzu kommt, dass diese Kohorten langfristig durch ihre demokratiefeindlichen Einstellungen einen negativen Einfluss auf demokratische und zivilgesellschaftliche Prozesse ausüben könnten.

Der Text ist ein Auszug aus der heute veröffentlichten Publikation „Thüringer Zustände“, dort finden sich auch die Quellenangaben zu diesem Text.

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