Neue Regierung

Israel: Ultrarechts und orthodox religiös

In Israel hat das Parlament die neue Regierung von Benjamin Netanjahu gebilligt. Diese Regierung steht weiter rechts und ist deutlich religiöser geprägt als alle ihre Vorgänger seit der Staatsgründung. Neben der rechtskonservativen „Likud“-Partei gehören der Koalition das rechtsextreme Bündnis „Religiöser Zionismus“ sowie die beiden rechtsorthodoxen Traditionsparteien „Shas“ und „Vereinigtes Tora-Judentum“an.

Samstag, 31. Dezember 2022
Anton Maegerle
Der Sitzungssaal der Knesset, צילום: איציק אדרי Lizenz: CC BY 2.5
Der Sitzungssaal der Knesset, צילום: איציק אדרי Lizenz: CC BY 2.5

Seit der fünften Neuwahl in dem 9,5 Millionen Einwohner zählenden Israel in rund dreieinhalb Jahren am 1. November stellt das ultrarechte Lager 64 der 120 Abgeordneten in der Knesset, dem israelischen Parlament in Jerusalem. Regierungschef, bereits zum sechsten Mal, ist der 73-jährige Benjamin Netanjahu, seit 2005 zugleich ununterbrochen Vorsitzender der Likud-Partei. Der wegen Korruption angeklagte Netanjahu kehrt nun nach anderthalb Jahren in der Opposition an die Macht zurück. Netanjahu war bereits von 1996 bis 1999 und von 2009 bis 2021 Ministerpräsident.

Die 37. Regierung in Israel ist mit Abstand die bislang rechteste und religiöseste Volksvertretung. Es ist davon auszugehen, dass sie die Antidiskriminierungsgesetzgebung, die die räumliche Trennung zwischen Männern und Frauen im öffentlichen Raum, zum Beispiel bei Veranstaltungen, verbietet, entkernet, Pride-Paraden untersagt und die Macht des Obersten Gerichtshofs gegenüber der konkurrierenden religiösen Sondergerichtsbarkeit einschränken wird. Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs soll Netanjahus Regierungsmehrheit im Parlament mit einfacher Mehrheit überstimmen können.

Widerstand gegen Araber

Die neonazistische Kleinstpartei Der Dritte Weg kommentierte den Wahlsieg der ultraorthodoxen Parteien mit den Worten: „Der zionistische Imperialismus dürfte sich in den folgenden Jahren immer aggressiver gebärden. Von den `westlichen´ Staaten dürfte ihm dabei kaum Einhalt geboten werden. Die herrschenden Parteien der BRD schweigen zu der Wahl in Israel.“

Zu den Kabinettsmitgliedern gehören offen anti-liberal, rechtsextrem und homophob auftretende Politiker, die sich den Widerstand gegen jede Kooperation mit Arabern auf ihr ideologisches Banner geschrieben haben:

Der 46-jährige Itamar Ben-Gvir, ein offener Rassist und Vorsitzender der Partei „Otzma Yehudit“, ist der neue Minister für Nationale Sicherheit. Er will Zivilisten in Israel bewaffnen, die Einsatzregeln für Soldaten in den besetzten Gebieten lockern und das palästinensische Westjordanland räumen und die dort lebenden Palästinenser in faktische Ghettos sperren lassen. Der Politiker, der selbst in einer der völkerrechtlich illegalen israelischen Siedlungen auf dem palästinensischen Gebiet lebt, denkt offen über die Wiedereinführung der Todesstrafe in Israel nach und tritt für Straffreiheit für gewalttätige Polizisten ein.

Radikaler Rabbiner

Ben-Gvir, der in der Vergangenheit wegen Anstiftung zu Terrorismus verurteilt wurde, war in seiner Jugend ein Anhänger des rassistischen Rabbiners Meir Kahane. Kahane führte die 1971 von ihm gegründete rechtsterroristische Vereinigung Kach, die zeitweilig auf der Terrorliste der EU stand, an. Das Ziel der 1998 vom Obersten Gericht wegen Rassismus verbotenen Gruppe war die Ausweisung aller Araber aus dem „Lande Israel“, einschließlich der besetzten Gebiete, die Umwandlung Israels in einen religiösen Staat und schließlich die Errichtung von Großisrael.

Kahane lehnte den israelischen Staat in seiner heutigen Form ab, warb für die Annexion der besetzten Gebiete und sprach sich für die Vertreibung der Palästinenser aus. Zu den Anhängern von Kach und Kahane gehörten Baruch Goldstein und Jigal Amir. Goldstein ermordete 1994 in Hebron im Westjordanland im „Grabmal der Patriarchen“, der Ruhestätte des Erzväter Abraham, Isaak und Jakob, 29 Palästinenser und verletzte 135 Personen teils schwer. Amir erschoss 1995 den israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin.

Bild von Terroristen in Wohnzimmer

Wenige Tage vor der Ermordung Rabins brach Ben-Gvir das Emblem von dessen Dienstwagen ab und drohte vor laufenden TV-Kameras „Wir haben sein Auto bekommen. Wir werden auch ihn kriegen.“ Kahane wiederum wurde 1990 in Brooklyn von einem radikalen Islamisten ermordet. Anders als sein Vorbild Kahane will Ben-Gvir den israelischen Staat nicht abschaffen, sondern ihn übernehmen. Vor Jahren hatte Ben-Gvir in seinem Wohnzimmer ein Bild des Terroristen Goldstein hängen. Er war es auch, der die Lobbyorganisation ins Leben rief, die sich für die Freilassung des Rabin-Möders aus dem Gefängnis einsetzt.

Der 72-jährige Yitshak Goldknop, Vorsitzender der Partei „Vereinigtes Torah-Judentum“, ist Minister in the Prime Minister's Office und zugleich Minister für Bau- und Wohnungswesen. Er hat sich in der Vergangenheit als Stadtrat in Jerusalem für die Durchsetzung der Ruhe am Sabbat starkgemacht („Committee for the Sanctity of the Sabbath“) und entsprechende Kampagnen gegen Unternehmen wie das Flugunternehmen El Al organisiert, die sich nicht daran hielten. Selbst die Stromproduktion soll nach Vorstellung der ultrareligiösen Partei am Schabbat eingestellt werden. Ebenso sollen mehr geschlechtergetrennte Strände auswiesen werden.

Neuer Finanzminister wollte Brandanschlag verüben

Der heute 42-jährige Bezalel Smotrich, Vorsitzender des Bündnis „Religiöser Zionismus“, soll neben dem Amt des Finanzministers auch einen Posten im Verteidigungsministerium erhalten. Smotrich wurde 2005 vom Inlandsgeheimdienst Schin Bet mit 700 Litern Benzin festgenommen. Er wollte einen Brandanschlag verüben, um den vom Ministerpräsidenten Ariel Scharon angeordneten Abzug aus dem Gazastreifen zu hintertreiben.

Smotrich, ein Verfechter des Siedlungsausbaus im besetzten Westjordanland, hat angekündigt, sich als Finanzminister bei der Wirtschaftspolitik an den Geboten der Tora zu orientieren. Er hat sich dafür ausgesprochen, die religiösen Gesetze des Judentums zum Leitfaden des Staates zu machen, will Fußballspiele am Schabbat verbieten, erachtet Frauen als Gebärmaschinen und Ungläubige als Staatsfeinde.

„Stolzer Homophober“

Vor Jahren bekannte er sich als „stolzer Homophober“. 2016 wurde eine 16-Jährige, die bei der Gay-Parade in Jerusalem ihre Solidarität mit homosexuellen Freunden bekunden wollte, von einem ultraorthodoxen Juden mit mehreren Messerstichen getötet, fünf weitere Teilnehmer wurden verletzt. Nach dem Attentat bezeichnete der Knesset-Abgeordnete Smotrich, damals bei der Partei „Das Jüdische Haus“ beheimatet, die Gay Parade als „Marsch der Abscheulichkeit“. Ein Jahr zuvor hatte der israelische Rechtsextremist Amiram Ben-Uliel einen Brandsatz in das Schlafzimmer einer palästinensischen Familie nahe der Palästinenserstadt Nablus im Westjordanland geworfen. Die Eltern und ihr eineinhalb Jahre alter Sohn kamen ums Leben.

Der Anschlag des jüdischen Extremisten entzündete eine Welle der Gewalt. Der Mord sei schrecklich, aber definitiv kein Terroranschlag, so Smotrich. Die Tatverdächtigen und ihre Sympathisanten seien junge Leute mit guten Absichten, die nur vom rechten Weg abgekommen seien. 2018 erklärte er, die palästinensische Aktivistin Ahed Tamimi verdiene einen Schuss in die Kniescheibe. Die Heranwachsende war von israelischen Sicherheitskräften festgenommen worden, nachdem sie einem Soldaten ins Gesicht geschlagen hatte. „Diesem Mädchen hätte man zumindest ins Knie schießen müssen, so wäre sie lebenslänglich zum Hausarrest verurteilt worden“, twitterte Smotrich.

Innenminister mit Knasterfahrung

Der ebenfalls homophobe und transfeindliche Avi Maoz ist Chef der Einmann-Fraktion „Noam“ und nun stellvertretender Minister für ein Gremium namens „jüdische Identität“. Er spricht sich gegen Chancengleichheit für Frauen sowie die LGBT-Gemeinde aus. Maoz kündigte an, sich für ein Verbot der Gay Pride in Jerusalem 2023 einzusetzen. Seine Partei, deren einziger Abgeordneter er ist, schaffte es nur deshalb über die 3,25 Prozent in die Knesset, weil sie ein Bündnis mit den Parteien „Religiöser Zionismus“ und „Otzma Yehudit“ eingegangen war. Sofort nach der Wahl wurde dieses aufgelöst. Als geistlicher Mentor von Maoz gilt Rabbi Zvi Thau. Der Rabbi wettert gegen progressive und liberale Israeli und wirft ihnen vor, sie wollten den jüdischen Charakter Israels zerstören. Maoz will sich gegen linke Lehrinhalte an den Schulen einsetzen und nach einem Halacha-Staat streben, einem jüdischen Gottesstaat.

Der neue Innenminister Aryeh Deri, zugleich Gesundheitsminister, ist Vorsitzender der „Shas-Partei“, die die Interessen religiöser sephardischer Juden vertritt. Deri wurde im Jahr 2000 wegen Annahme von Bestechungsgeldern im Wert von 155.000 Dollar zu drei Jahren Haft verurteilt und verlor seine Ehrenrechte. Zuletzt wurde Deri im Februar wegen Steuerhinterziehung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Mit dieser Koalition unter der Führung von Netanjahu sind der Ausbau von Israel, der alleinigen Demokratie des Nahen Ostens, zu einer föderalen, binationalen Demokratie und eine visionäre Zweistaatenlösung im Nahen Osten in weite Ferne gerückt.

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