Neue Rechte

Intellektuelle Rechtsextremisten streben „Kulturrevolution von rechts“ an

Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber bilanziert in seiner neuen Publikation „Intellektuelle Rechtsextremisten“, dass das Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten „gemeinhin überschätzt“ wird. Das würde jedoch nicht bedeuten, dass von dem Netzwerk keine Gefahr ausgeht.

Donnerstag, 06. Oktober 2022
Anton Maegerle
Das Cover der Publikation "Intellektuelle Rechtsextremisten"
Das Cover der Publikation "Intellektuelle Rechtsextremisten"

Die Bezeichnung Neue Rechte meint eine Gruppe rechtsextremer Intellektueller in einem informellen Netzwerk, die an der Ideologie der Konservativen Revolution in der Weimarer Republik orientiert sind und eine Kulturrevolution von rechts, eine Metapolitik des Widerstands, vorantreiben will. Die Neue Rechte eint die Auffassung von einem „geistigen Kampf“, der einen „angestrebten politischen Umsturz ideologisch vorausdenken und vorbereiten“ und autoritär-nationalistische Vorstellungen in reale Politik umsetzen soll.

Der Extremismus-Experte Armin Pfahl-Traughber, hauptamtlich Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und Herausgeber des „Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung“, legt in seinem Buch „Intellektuelle Rechtsextremisten. Das Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten“ offen, wie diese Neue Rechte systematisch demokratische Auffassungen delegitimiert, um die geistigen Voraussetzungen für einen politischen Wechsel herbeizuführen. Er analysiert ihr Gefahrenpotenzial, liefert eine demokratie- und extremismustheoretische Einschätzung, zeigt geistige Vorbilder, ideologische Grundpositionen, einschlägige Publikationsorgane, Netzwerke und Strategien auf.

Männerdominiert

Als Akteure der gegenwärtigen Neuen Rechten macht Pfahl-Traughber fast ausschließlich Männer aus: Alain de Benoist als französischer Vordenker, der im Gleichheitsideal den ideologischen Feind erblickt. Daniel Engels als Althistoriker und Verehrer von Oswald Spengler, der „längerfristig die bestehenden demokratischen Strukturen überwinden“ will. Benedikt Kaiser mit seiner „Produktpiraterie“ linker Strategien, der die deutschsprachigen Übersetzungen von Dominique Venner herausgab.

Götz Kubitschek als Organisator und Stratege, der über seine persönlichen Kontakte zu Björn Höcke „großen politischen Einfluss“ auf die AfD ausübt. Martin Lichtmesz, der eigentlich Martin Semlitsch heißt, als Publizist und Übersetzer, der die „Auffassung einer allen Individuen eigenen Menschenwürde“ ablehnt. Thor von Waldstein als Jurist und Schmittianer, der als Rechtsanwalt den Holoaust-Leugner Fred Leuchter verteidigte. Karlheinz Weißmann als Publizist und Theoretiker, der im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung tätig ist.

Frontstellung gegen moderne Demokratie

Bereits verstorben sind die Akteure Günter Maschke als Epigone von Carl Schmitt, dessen damalige Legitimation totalitärer Politik er dokumentierte, und Armin Mohler als Leitfigur der Neuen Rechten, der die Denkschule der Konservativen Revolution bekannt machte. „Keine so große Rolle“ in der Neuen Rechten spielen laut Pfahl-Traughber Frauen wie Ellen Kositza und Caroline Sommerfeld, die „eher feuilletonistische Beiträge ohne eindeutige Positionen“ liefern. Die Akteure der Neuen Rechten benötigen kein „informelle Denkfabrik“, kein Zentrum. Dennoch gibt es mit dem „Institut für Staatspolitik“ (IfS) um Kubitschek eine „entwickelte Organisationsstruktur“.

Den Intellektuellen der Neuen Rechten attestiert Pfahl-Traughber eine Frontstellung gegen Basiswerte einer modernen Demokratie wie Menschenrechte, Parlamentarismus oder Pluralismus und die Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaates. Die Neue Rechte ordnet er dem „antidemokratischen Konservatismus beziehungsweise konservativen Rechtsextremismus“ zu. Inhaltlicher Bezugspunkt für das politische Denken der Neuen Rechten ist die Konservative Revolution, eine Gruppe von einzelnen Intellektuellen mit einer „antidemokratischen und prodiktatorischen Zielsetzung“, die den ideologischen Weg zur Diktatur vorbereitete.

Konservative Revolution

Als Akteure der Konservativen Revolution nennt Pfahl-Traughber u.a. Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Jünger und Carl Schmitt, den „bedeutendsten Vordenker der Neuen Rechten“. Namentlich führt er auch Werner Best an, der in der zweiten Hälfte der 1920-er Jahre zur Konservativen Revolution zählte. Als Mitbegründer von Gestapo und Reichssicherheitshauptamt trug Best für die eskalierende Judenverfolgung „persönliche Mitverantwortung“.

Zu den intellektuellen Vorbildern der Neuen Rechten zählt Pfahl-Traughber Klassiker der Philosophie wie Johann Gottlieb Fichte oder Martin Heidegger, soziologische Befürworter einer Eliteherrschaft wie Vilfredo Pareto oder Robert Michels, konservative Nachkriegssoziologen wie Hans Freyer oder Helmut Schlesky, Exponenten der frühen französischen Neuen Rechten wie Dominique Venner, einzelne Intellektuelle mit einer eigenen spezifischen Orientierung wie Ezra Pound oder Georges Sorel sowie nationalrevolutionäre Gruppen der 1970er-Jahre wie die 1979 gegründete Zeitschrift „Wir Selbst“ („Zeitschrift für nationale Identität“).

Institutionen und Publikationsorgane

Hier merkt Pfahl Traughber an, dass deren Druck 2002 eingestellt wurde und die Nationalrevolutionäre zu einem „historischen Thema“ wurde. Hier irrt der Autor allerdings. „Wir Selbst“ hat sich vor etwa drei Jahren mit einer eigenen Internet-Ausgabe zurückgemeldet. Der „Wir Selbst“-Mannschaft gehören ältere aber auch jüngere Autoren an. Im Sommer dieses Jahres, wohl zur Drucklegung des Bandes von Pfahl-Traughber, erschien genau 20 Jahre nach dem letzten Erscheinen der gedruckten Ausgabe von „Wir Selbst“ eine neue Druckausgabe.

In einem weiteren Kapitel widmet sich Pfahl-Traughber Einrichtungen („Institut für Staatspolitik“), Publikationsorganen (von „Criticon“ bis „Cato“) und Verlagen (u.a. „Jungeuropa Verlag“) der Neuen Rechten. Das „Compact“-Magazin, das einen „politischen Systemwechsel“ anstrebe, zählt er nicht zur Neuen Rechten, da es keinen „intellektuellen Zuschnitt“ habe. Ebenso nicht der Neuen Rechten zugerechnet wird die Identitäre Bewegung (IB), da diese keine „Intellektuellengruppe“ sei.

Antidemokratische Vorbilder

Akteure der Konservativen Revolution wie Schmitt oder Spengler waren einst, so Pfahl-Traughber, durchaus als „Denker in gebildeten Kreisen präsent“. Diesen Einfluss vermag der Politikwissenschaftler bei den heutigen Intellektuellen der Neuen Rechten nicht zu erkennen: „Ähnliche Bedeutung konnte bislang keiner der gegenwärtigen Denker der deutschen Neuen Rechten erlangen.“ Deren Gefahrenpotenzial wird „gemeinhin überschätzt“, bilanziert er.

Dennoch gehe von der Neuen Rechten ein Gefahrenpotenzial aus. So stütze sich diese auf dezidiert antidemokratische Vorbilder, strebe ein autoritäres und nationalistisches Ordnungsmodell an und verstehe sich als „ideologischer Vordenker eines grundlegenden Wandels“. Die von der Neuen Rechten angestrebte „Kulturrevolution von rechts“ soll ideologische Verschiebungen in ihrem Sinne über die AfD ermöglichen. „Genau darin besteht das extremistische Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten“, so Pfahl-Traughber in seiner informativen Publikation.

Armin Pfahl-Traughber: Intellektuelle Rechtsextremisten. Das Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten. Buch / eBook. Dietz-Verlag; 184 Seiten 18,00 Euro; ISBN 978-3-8012-0630-7

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