Immer Ärger mit Jean-Marie Le Pen
Hat die Parteiführung nun endlich ihre Ruhe, oder wird der bockige „Alte“ doch wieder den Betriebsfrieden stören? Am Wochenende wird es sich erweisen. Am Samstag und Sonntag findet in Marseille die diesjährige „Sommeruniversität“ des extrem rechten Front National statt.
Ihren Mitgründer – im Jahr 1972 – und langjährigen Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen hat die französische Partei am 20. August dieses Jahres, nach langen und zähen Auseinandersetzungen und Prozeduren, nunmehr aus ihren Reihen ausgeschlossen. Doch der mittlerweile 87-Jährige, der zuletzt seit Januar 2011 noch den Titel eines „Ehrenpräsidenten“ führte, nachdem er damals den Parteivorsitz an seine heute 47-jährige Tochter abgegeben hatte, will nicht klein begeben. Und er könnte tatsächlich die Veranstaltung in der Mittelmeermetropole am 5. und 6. September mit einem unerbetenen Auftreten beeinträchtigen. Am Samstagvormittag, vor Eröffnung der „Sommeruniversität“, tritt Jean-Marie Le Pen jedenfalls an einem anderen Ort in derselben Stadt, im 13. Marseiller Bezirk, bei einem politischen Frühschoppen in Erscheinung. Ob er danach seine bisherigen Parteifreunde mit einem unerwünschten Besuch beehren wird, ist derzeit noch offen. Doch für den Fall der Fälle hat der rüstige Altpolitiker bereits „Enthüllungen“ angedroht.
Besonders in Südostfrankreich, wo er bei der Regionalparlamentswahl im März 2010 als Spitzenkandidat für die Region PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur) angetreten war und etwa in den 90er Jahren in Nizza zur Nationalversammlung kandidiert hatte, behält Jean-Marie Le Pen – von Freund und Feind oft kurz „JMLP“ genannt - nach wie vor treue Anhänger. Eine Reihe lokaler Parteifunktionäre haben sich dort, im Südosten, bereits zusammengeschlossen, um ihren Altvorderen zu verteidigen. Neun Abgeordnete im Marseiller Regionalparlament erklärten kürzlich, die „nordkoreanischen Führungsmethoden“ der aktuellen Parteiführung nicht länger zu akzeptieren. Nicht ausgeschlossen wird besonders im Südosten Frankreichs das Auftreten einer konkurrierenden Liste JMLP-getreuer Anhänger bei den Regionalwahlen am 6. und 13. Dezember, die neben der und gegen die offizielle Kandidatenliste des FN antreten würde. Allerdings finanziert „JMLP“, der dank des Mitte der 1970er Jahren angetretenen Erben eines geistig umnachteten Anhängers (einem Zementerben) noch immer schwerreich ist, dem Vernehmen nach zur Zeit auch mehrere Bewerber auf den offiziellen Parteilisten.
Offene Attacken des „Ehrenvorsitzenden“ auf die Parteispitze
Jean-Marie Le Pen will nicht nur politisch und kampagnenmäßig, sondern auch juristisch gegen seinen im August erfolgten Parteiausschluss vorgehen. Bereits einmal hat er sich erfolgreich wieder in die Reihen der von ihm mit gegründeten „Bewegung“ hineingeklagt. Am 4. Mai war er von seinen Mitgliedsrechten „suspendiert“, also mit einem vorübergehenden Ausschluss belegt worden. Voraus ging der Streit um zwei Interviews mit ihm, die in der ersten und zweiten Aprilwoche erschienen waren. Darin hatte er erneut, wie mehrfach seit 1987, den Holocaust relativiert und so offen wie noch nie den Marschall Pétain, den Chef des mit Nazi-Deutschland zusammenarbeitenden Kollaborateursregimes, in Schutz genommen. Der jüngeren FN-Führungsgeneration gilt dies alles als heutzutage kontraproduktiv, man möchte sich lieber auf „zeitgemäße“ Agitation gegen Einwanderer und insbesondere gegen eine „muslimische Bedrohung“ konzentrieren.
Zugleich plante die Parteiführung den Posten des „Ehrenvorsitzenden“, der eigens für Jean-Marie Le Pen geschaffen worden war, wieder abzuschaffen. Doch dann funkte die durch „JMLP“ eingeschaltete Justiz dazwischen. Am 2. und 8. Juli sprach sie mehrere erstinstanzliche Entscheidungen zu seinen Gunsten, am 28. Juli erfolgte ihre Bestätigung im Berufungsverfahren. Jean-Marie Le Pen konnte demnach nicht auf Zeit ausgeschlossen werden, da der Zeitraum nicht befristet worden war, und auch der Ehrenvorsitz konnte nicht – wie geplant – auf dem Wege einer Urabstimmung per Brief oder E-Mail abgeschafft werden; stattdessen müsse satzungsgemäß ein Parteitag dafür einberufen werden. Jean-Marie Le Pen triumphierte und fuhr munter mit offenen Attacken gegen die aktuelle Parteispitze fort. Letztere richteten sich in besonders aggressiver Weise gegen den 33-jährigen Vizevorsitzenden Florian Philippot, den er unter anderem aufgrund seiner (inzwischen auch in der Öffentlichkeit bekannten) Homosexualität gezielt angriff. Aber auch Bemühungen seiner Tochter und Nachfolgerin Marine Le Pen, das Abschwören ihrer Partei vom offenen Antisemitismus demonstrativ zur Schau zu stellen, griff Vater Le Pen in Presseaussendungen und Videobotschaften an und auf.
Ein Pressekommuniqué vom 25. Juni, bei dem es überwiegend um die diversen innerparteilichen Auseinandersetzungen geht, stellte der alte Herr etwa unter den Titel: „Der FN als Schutzschild der jüdischen Gemeinschaft?“ Dies spielt auf eine Formulierung von Marine Le Pen an, die sie wählte, als sie vor Jahren behauptete, die extreme Rechte schütze die französische jüdische Community vor einer angeblichen muslimischen Bedrohung, durch seine Ablehnung von Einwanderung.
Kritik an angeblichem „Linkskurs“ des FN
Am 10. Juli wiederum erschien eine seiner Videobotschaften, die er regelmäßig unter der Bezeichnung „Bordtagebuch“ veröffentlicht, im Netz unter der Überschrift: „Jean-Marie Le Pen zeigt sich erstaunt über das Treffen zwischen Marine Le Pen und einer Delegation des Europäischen Jüdischen Kongresses.“
Auch entlang einer anderen Frage sind strategische Konflikte aufgebrochen. Und zwar wird die wirtschafts- und sozialpolitische Ausrichtung des Front National verstärkt zum Streitgegenstand. Seit 1990 setzte die dominierende Fraktion der rechtsextremen Partei verstärkt auf soziale Demagogie. Marine Le Pen hat diese Orientierung im Diskurs des FN, die bereits vor 25 Jahren begonnen hatte, nur fortgesetzt und verstärkt. Auch wenn bürgerliche Journalisten sich heute oft auf naive Weise darüber erstaunt zeigen, dank Marine Le Pen zeige ihre Partei heute vermeintlich plötzlich auch eine „soziale Sensibilität“.
Heute ist der FN jedoch genau deswegen scharfen Angriffen ausgesetzt. Die konservativ-wirtschaftsliberale stärkste Oppositionspartei – früher UMP, inzwischen in Les Républicains umbenannt – greift ihn scharf wegen angeblicher „Linkslastigkeit“ seiner Programmatik an. Die wegen rassistischer Ausfälle berüchtigte konservative Abgeordnete Nadine Morano kreidete dem FN im April gar ein „linksradikales Wirtschaftsprogramm“ an. Jean-Marie Le Pen nimmt ebendiese Kritik auf und schwadroniert heute über einen „Linkskurs“. Andere Kreise in der Partei schlossen sich dem in der Sache an.
Dies zeigt auch Wirkung. So schwächte Marine Le Pen in jüngster Zeit ihre Kritik am Wirtschaftsliberalismus spürbar ab, griff vor allem die Steuerbelastung für kleinere und mittlere Unternehmen an und setzte der Staatsintervention Grenzen: Nach wie vor spreche sie sich für einen Staat als „strategischen Wirtschaftsplaner“ aus, dieser dürfe jedoch kein „aufdringlicher“ oder „übergriffiger“ Staat gegenüber der Privatwirtschaft sein.