Im Visier der Neonazis
Fünf Neonazi-Gegner in Mittelfranken haben Drohungen erhalten — über E-Mail als fiktive Todesanzeige gesendet. Nun ermittelt der Staatsschutz gegen Unbekannt.
Mindestens fünf Personen aus Mittelfranken, die sich seit langer Zeit gegen rechte Umtriebe engagieren, haben vorige Woche Morddrohungen erhalten. Über eine E-Mail-Adresse wurden dem Gewerkschafter Ulrich Schneeweiß, der Sozialwissenschaftlerin Birgit M., dem Journalisten Jonas M., dem Linken-Stadtrat Titus Schüller und dem SPD-Geschäftsführer Rüdiger Löster Links zu fiktiven Todesanzeigen zugestellt, mit denen sie in einschlägigem Vokabular über ihre vermeintlichen Untaten sowie über ihren bevorstehenden Tod informiert wurden.
So wurde Löster – früher Redakteur von „Endstation Rechts. Bayern“ – beispielsweise als „Feind der Bewegung“ und als „Zecken Journalist“ tituliert, für den es „Zeit zu gehen“ wäre. Andere Adressaten der Todesdrohungen wiederum wurden als „Gewerkschaftsjuden“ oder „Denunzianten“ bezeichnet, und in der E-Mail an die Sozialwissenschaftlerin M. heißt es sogar unmissverständlich: „Trotz Polizeiaktion nicht tot! Aber du vielleicht bald, wenn du nicht besser aufpasst.“ Unterzeichnet sind einige Anzeigen mit Parolen wie: „Nationalsozialismus jetzt!!!“ oder „Kein Vergeben deinen Taten!“
Anonyme Verfasser der Drohungen
Die fünf Betroffenen, allesamt als langjährig Engagierte in der Region bekannt, haben eigenen Angaben zufolge inzwischen Strafanzeige gegen die Urheber erstattet. Das zuständige Polizeipräsidium in Mittelfranken hat am Montag den Eingang einiger Anzeigen bestätigt und ein Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet, wie Polizeisprecher Peter Schnellinger auf Anfrage von bnr.de mitteilt. Demnach habe das Fachkommissariat Staatschutz die Ermittlungen wegen Bedrohung und Beleidigung übernommen und bemühe sich momentan, die anonymen Verfasser der Mails zu identifizieren. Angesichts der Tatsache, dass die Mails über eine indische Domain gesendet wurden, könnten sich die Ermittlungen jedoch als schwierig gestalten, so Schnellinger.
Aus welchem Spektrum der extremen Rechten die Drohungen stammen, ist indes noch unklar. Als Absender bekennt sich zwar ein „Anti-Antifa-Kollektiv“ des „Nationalen Bündnisses Franken“. Doch handelt es sich hierbei wahrscheinlich um eine eigens für diesen Zweck kreierte Organisation, die lediglich auf dem Papier existiert und keinen realen Ableger hat. Zuverlässige Rückschlüsse auf die Zugehörigkeit der Täter zu einer politischen Partei oder Gruppierung lassen sich dementsprechend nicht ziehen. Allerdings weist die Drohung frappierende Ähnlichkeiten zu einem Vorfall aus Nordrhein-Westfalen auf, bei dem im Februar Journalisten ins Visier der Dortmunder Neonazi-Szene gerieten. Ebenso wie die Betroffenen in Mittelfranken erhielten sie damals online Links zu fingierten Todesanzeigen.
„Anti-Antifa-Arbeit“ hat in Mittelfranken lange Tradition
Auch im Großraum Nürnberg sind rechtsextreme Agitationen gegen demokratisch engagierte Bürgerinnen und Bürger nicht neu. Die so genannte Anti-Antifa-Arbeit — die gezielte Diffamierung und Bedrohung von politischen Gegnern — hat in der mittelfränkischen Neonazi-Szene eine lange Tradition. Vor allem der Personenkreis um die Partei „Der III. Weg“, der bis zu dessen Verbot mehrheitlich im „Freien Netz Süd“ (FNS) aktiv war, fiel in den letzten Jahren regelmäßig mit der Diffamierung von ihnen „unliebsamen“ Personen auf.
Unter anderem publizierte das FNS bis zu seinem Verbot wiederholt Artikel gegen Neonazi-Gegner (nicht nur) in Mittelfranken, in deren Rahmen die Personen steckbriefartig diffamiert wurden. Auch einige der von den aktuellen Todesdrohungen betroffenen Personen waren bereits Gegenstand entsprechender Veröffentlichungen, darunter etwa die Sozialwissenschaftlerin Birgit M. und der SPD-Geschäftsführer Rüdiger Löster. Sie wurden — zusammen mit weiteren bayerischen Neonazi-Gegnern — mittels Bildern und persönlichen Informationen geoutet, um sie wegen ihrer Aktivitäten einzuschüchtern.
Damit setzte das Neonazi-Netzwerk als Nachfolger der 2004 wegen Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus verbotenen „Fränkischen Aktionsfront“ (FAF) eine Betätigung fort, die bis Anfang der 1990er Jahre zurückgeht und jahrelang unter dem Label verschiedener extrem rechter Gruppierungen betrieben wurde.
Betroffene lassen sich nicht einschüchtern
Unterdessen haben sich vier der fünf aktuell Betroffenen mit einer Presseerklärung zu Wort gemeldet. Darin sehen sie einen Zusammenhang zwischen der Auseinandersetzung mit neonazistischen Aktionen in Mittelfranken, die mit bisher 25 Aufmärschen in Nürnberg „in diesem Jahr unstreitig an Intensität und Schärfe zugenommen“ haben, und den aktuellen Todesdrohungen. „Faktisch waren wir mehr als jedes zweite Woche gegen Pegida, Nügida, die Partei Die Rechte oder den Dritten Weg auf der Straße“, analysiert Ulrich Schneeweiß von ver.di Mittelfranken. „Diese Szenen sind eng miteinander verwoben und mittlerweile deutlich frustriert, da der Gegenwind aus der Nürnberger Bevölkerung gegen ihre Aufmärsche unvermindert stark ist.“ Als Urheber der Drohungen vermuten sie deshalb entweder Neonazis aus dem Umfeld der Splitterpartei „Die Rechte“ (DR) oder aber Kader des „III. Wegs“.
Beide Neonazi-Gruppierungen sind mit einem „Kreisverband Nürnberg“ beziehungsweise mit einem „Stützpunkt Nürnberg/Fürth“ in der Region vertreten, haben zuletzt wiederholt Aktivitäten in der Gegend entfaltet und verfügen über militantes Personal. Zudem wurden Mitglieder von DR und weitere Personen aus deren näherem Umfeld erst Ende Oktober zum Ziel einer Razzia von Polizei und Staatsanwaltschaft, bei der 12 Objekte in Ober- und Mittelfranken durchsucht wurden. Die Polizei konnte damit möglicherweise Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und Angriffe auf linke Treffpunkte verhindern. Neben Mitgliedern des Bamberger Kreisverbands von DR war damals Berichten des „Bayerischen Rundfunks“ zufolge Dan E., eine der maßgeblichen Figuren von „Nügida“, in den Fokus geraten.
Die Nürnberger Neonazi-Gegner wollen sich von den jüngsten Drohungen nicht einschüchtern lassen. „Die verschiedenen Spektren, die sich gegen Nazis engagieren, sind heute in Mittelfranken so gut wie nie zuvor vernetzt und tief in der Nürnberger Bevölkerung verwurzelt“, sagt der Nürnberger SPD-Geschäftsfrüherer Rüdiger Löster. „Die aktuelle Attacke wird als das begriffen werden, was sie ist: Ein Angriff auf Wissenschaftler, Gewerkschafter und Journalisten, die für eine freie, tolerante und gerechte Gesellschaft kämpfen und zugleich ein Angriff auf alle, die sich gegen Nazis engagieren.“ Für die Betroffenen sei es daher „fast schon selbstredend“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung, „dass sie in ihrem Engagement gegen Rassisten und Nazis keineswegs nachlassen werden“.