Rezension

„Im Schatten der AfD“ – eine Fallstudie zu den „Freien Sachsen“

Es gibt nicht nur die AfD als Partei im Rechtsextremismus. Eine Fallstudie zu den „Freien Sachsen“ macht auf diese Bewegungs- und Regionalpartei aufmerksam, wobei deren Feindbilder und Mobilisierungsstrategien im sozialen Zusammenhang thematisiert werden.

Donnerstag, 06. Juni 2024
Armin Pfahl-Traughber
Die Autoren Johannes Kiess und Michael Nattke haben eine Fallstudie zu den „Freien Sachsen“ veröffentlicht.
Die Autoren Johannes Kiess und Michael Nattke haben eine Fallstudie zu den „Freien Sachsen“ veröffentlicht.

Will man auf die Entwicklung des Rechtsextremismus blicken, dann findet aktuell insbesondere die AfD konkretes Interesse. Dafür gibt es gute Gründe, die hier keiner Auflistung bedürfen. Durch die genannte Fixierung besteht aber die Gefahr, andere Akteure aus dem Fokus zu verlieren. Dies könnten auch der Fall bei den „Freien Sachsen“ sein, eine Art regionale Bewegungspartei, die gleichwohl über das genannte Bundesland hinaus mit ihren Demonstrationen wirken konnte. Insbesondere über das Internet entfaltete man durchaus eine breitere Wirkung.

An wissenschaftlichen Analysen dazu mangelte es indessen, wurde darin doch nur ein regionales Phänomen gesehen. Umso erfreulicher ist daher das Erscheinen einer entsprechenden Studie, die von Johannes Kiess und Michael Nattke unter dem Titel „Widerstand über alles. Wie die Freien Sachsen die extreme Rechte mobilisieren“ erschien. Die Autoren weisen eine interessante Kombination auf: Beratungstätigkeit ist für Kiess der Schwerpunkt, während Nattke in sozialwissenschaftlichen Zusammenhängen arbeitet.

„Bewegungs- und Netzwerkpartei“

Zu Beginn schildern sie eine Demonstration, an der rund zehntausend Personen teilnahmen. Dabei wirkt die Beschreibung wie eine Kamerafahrt, die Bilder und Stimmungen einfängt. Anschließend geht es aber schon an das wissenschaftlich Gewohnte, nämlich die erkenntnisleitende Fragestellung für die Studie: „Was passiert im Feld der extremen Rechten neben oder im Schatten der AfD?“ Und: welche Gelegenheitsstrukturen ermöglichen bzw. verhindern extrem rechte Sammlungsbewegungen?“

Häufig fällt auch später noch die Formulierung „im Schatten der AfD“, um eben auf rechtsextremistische Dimensionen unabhängig von der Partei zu blicken. Dazu soll die Fallstudie zu den „Freien Sachsen“ dienen, welche hier als „Bewegungs- und Netzwerkpartei“ etikettiert wird. Damit deutet sich bereits für die Analyse ein entsprechender Ansatz an, eben die Ausrichtung anhand der sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung. Hierbei wird das Agieren der Genannten in einen sozialen Kontext über Sachsen hinaus gestellt.

Analyse von Praxis und Strategien

Entsprechend blicken die Autoren zunächst auf die Entwicklungsdynamiken der extremistischen Rechten, wobei sie etwa auf die Ausdifferenzierung und Heterogenität in diesem politischen Lager verweisen. Auch gehen sie auf die besondere Anfälligkeit im genannten Bundesland Sachsen ein. Erst danach geht es ausführlicher um die „Freien Sachsen“, wobei insbesondere deren Protagonisten wichtig werden. Anhand der gemeinten Akteure lassen sich politische Kontinuitäten veranschaulichen, welche zu anderen rechtsextremistischen Kontexten wie etwa der früheren NPD bestehen.

Ausführlicher behandeln die Autoren danach die Praxis und Strategien, etwa bezogen auf kontinuierliche Demonstrationen zur dauerhaften öffentlichen Präsenz. Auch sind die Aktivitäten im Internet ein wichtiges Thema, wobei die dortigen Diskurse auch in einer eigenen Fallstudie untersucht wurden. Und dann geht es noch um die Ideologie und Propagandainhalte, die insbesondere mit der ständigen Anrufung eines nötigen „Widerstands“ verbunden sind.

Erfolgsmodell für neue rechtsextremistische Mobilisierung?

Hier fällt indessen eine Fixierung auf die negativen Gemeinsamkeiten auf, also die Ablehnung von demokratischen Wertvorstellungen. Eine genauere Analyse der identitätsstiftenden Grundpositionen hätte die Studie noch bereichert. Berechtigt wird indessen aber auf eine thematische Adaptionsfähigkeit und inhaltliche Beliebigkeit verwiesen, will man doch durch Stimmungen und „Widerstand“ breiter mobilisieren. Am Ende findet sich wie nach jedem Kapitel eine problemorientierte Zusammenfassung.

Dazu gehört auch die abschließende Erörterung der Frage, inwieweit sich dadurch für den Rechtsextremismus allgemeine Schlüsse ziehen lassen. Mitunter wird aber der gewisse, weil phasenweise Erfolg der „Freien Sachsen“ überzeichnet, kam es doch nicht zu breiteren Nachahmungen oder stärkerer Repräsentanz. Gleichwohl betonen die Autoren durchaus relevante Erfolgsfaktoren für eventuell zukünftige Sammlungskonstellationen in diesem Spektrum, sei es die Bündnis- und Netzwerkpolitik, sei es aber auch das Fehlen einer umfassenden Ideologie.

Johannes Kiess/Michael Nattke, Widerstand über alles. Wie die Freien Sachsen die extreme Rechte mobilisieren, Leipzig 2024 (edition überland), 160 Seiten

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