Im Namen der „Nationalen Revolution“ – Rassismus und Staat in Russland

Laut den Aussagen einheimischer Menschenrechtler veranlasste der amtierende Bürgermeister Jurij Lužkov eine „ethnische Säuberung“, indem er die südrussländischen Straßenhändler zu einem gravierenden Sicherheitsproblem erklärte. Außergerichtliche Durchsuchungen, Verhaftungen, Plünderungen, Prügel und Folter seitens der Polizei standen von nun auf der Tagesordnung zahlreicher Migranten, die anschließend als „Personen kaukasischer Nationalität“ klassifiziert aus Moskau ausreisen mussten. Unter den Betroffenen befanden sich neben „Kaukasiern“ auch Bürger aus dem Balkan, aus Mittelasien, Inder, Pakistaner, Iraner, Araber und Juden.1)
Einen noch erheblicheren Einfluss auf das Wachstum der Skinhead-Szene übten der erste Krieg in Tschetschenien sowie die ihn begleitende nationalistische Kampagne aus, im Zuge derer eine Reihe den Stil des „Kampfes gegen den Kosmopolitismus“ unter Josef Stalin kopierender oder auffällige Ähnlichkeiten zu den antisemitischen Karikaturen des „Stürmer“ aufweisender Plakate aufblitzten.2) Außerdem begannen die postsowjetischen Neoliberalen im Ringen gegen die zum Scheitern verurteilten kommunistischen Leitprinzipien konservative und ultrakonservative Anschauungen samt ihrer Vordenker, die häufig als direkte ideengeschichtliche Vorläufer des Faschismus wirkten, unablässig in den Massenmedien anzupreisen. Ihr Blickwinkel richtete sich unter anderem auf die Huldigung von Michail Men'šikov, einen Publizisten des frühen 20. Jahrhunderts, der seine philosophischen Abhandlungen mit antisemitischen, rassistischen und faschistischen Argumenten zu untermauern pflegte.3) Dies ergänzend türmten sich in den Buchhandlungen und auf den Marktständen von verschiedenen Verlagen editierte Schriften wie „Mein Kampf“ von Adolf Hitler, „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ vom NSDAP-Parteiideologen Alfred Rosenberg und „Der Geist des Faschismus“ von dem italienischen Diktator Benito Mussolini.
Zusammengefasst ebneten das Scheitern des „realen Sozialismus“, die unreife Demokratie, die anhaltende wirtschaftliche Transformation, die aufkommenden nostalgischen Stimmungen sowie die breitflächige Unzufriedenheit der Bürger den Weg rechtsextremistischer Gruppierungen, konstatiert der Sachverständige des Moskauer Büros für Menschenrechte Vladimir Iljušenko:
Russländische Rechtsextremisten erkannten die verfahrene Lage und boten der enttäuschten Gesellschaft ein Rezept zur schnellen Rettung der Nation an, wobei sie ihre Karte auf die in Krisensituation im kollektiven Bewusstsein aufkeimende ethnische Solidarität, ethnische Traditionen und Werte setzten. Sie riefen die Menschen unter dem Motto einer „nationalen Revolution“ zur Rückkehr in die Vergangenheit auf, die sich vorbehaltlos auf die Konstituierung einer straffen Ordnung, Wiedergeburt der russischen Großmacht sowie die Verteidigung russischer Nationalinteressen konzentrieren sollte.4)
Das Ergebnis des „offiziellen Anschauungsunterrichts“ in Rassismus, den die Sicherheitskräfte des Landes emsig und unbestraft vorführten, ließ nicht lange auf sich warten: Die erste bekanntgewordene gewaltsame Ausschreitung der ultrarechten Strömung in der Russländischen Föderation, die allerdings nur begrenzt Beachtung seitens der sich zu diesem Zeitpunkt mit demokratischen Grundsätzen und der Erarbeitung einer neuen Verfassung beschäftigenden Regierung erfuhren, ereignete sich im Jahr 1993 in Gestalt eines Überfalls auf eine Moskauer Synagoge. 1998 sprengten die „Himmelsarier“ eine Synagoge im Moskauer Bezirk Mar'ina Roš?ja, 1999 zündeten sie eine weitere jüdische Gebetsstätte in Odincovo an.5) Das brutale Pogrom auf einem Wochenmarkt im Moskauer Bezirk Jasenevo im April 2001 charakterisierte eine neue Dimension des nationalistischen Terrors: Etwa 200 Naziskinheads raubten bis zu 50 von Einwanderern aus den ehemaligen sowjetischen Republiken betriebene Verkaufsstände und Kioske aus, im Zuge dessen mehrere Personen schwere Verwundungen erlitten.6) Die im Oktober 2001 auf einem Handelsplatz nahe der Metrostation „Caricino“ von rund 300 vermummten, ausländerfeindliche Losungen wie „Russland den Russen“ oder „Slawisch, russisch, mächtig“ skandierenden Personen gestiftete Randale, setzte sich in einigen U-Bahnhaltestellen sowie in den Wagen der Metrozüge über mehrere Stunden hinweg fort und endete am Hotel „Sewastopol“, in dem viele Flüchtlinge aus Afghanistan wohnten. Die Bilanz: Vier Menschen starben, 22 erlitten ernste Verletzungen.7)
Fußnoten:
1)Tarasov, Aleksandr: Naci-skiny v sovremennoj Rossii. [Nazi-Skins im gegenwärtigen Russland], URL: http://www.scepsis.ru/library/print/id_605.html [12.04.2010].
2) Semen ?arnyj: Sachverständiger des Moskauer Büro für Menschenrechte. Interview am 3.06.2008 in Moskau.
3) Men'šikov, M.: Byt' Rossii velikoj. [Sollte Russland eine Großmacht sein], in: Moskovskij žurnal 11 / 1993; Men'šikov, M.: Kon?ina veka. [Das Ende des Jahrhunderts], in: Literaturnaja Rossija 52 7 1994; Men'šikov, M.: Vyše svobody: Stat'i o Rossii. [Höher als Freiheit: Artikel über Russland]. Moskva 1998; Men'šikov, M.: Pis'ma k russkoj nacii. [Briefe an die russische Nation]. Moskva 1999.
4)Vladimir Iljušenko: Sachverständiger des Moskauer Büros für Menschenrechte. Interview am 5.06.2008 in Moskau.
5) Licha?ev, V.: Nacism v Rossii. [Nazismus in Russland]. Moskva 2002, S. 139 ff.
6) Viktorov, Andrej; Tu?kova, Alla: Mosgorsud vzjalsja za britogolovych. Slušajetsja delo o pogrome na rynke v Jaseneve. [Moskauer Stadtgericht befasst sich mit Kahlköpfigen. Anhörung über das Pogrom auf dem Markt in Jasenevo], in: Nezavisimaja gazeta 5.02.2002.
7) Licha?ev, B.; Pribylovskij, V.: Skinhedy b'jut u ubivajut „neslavjan“. [Skinheads schlagen und ermorden „Nichtslawen“], in: Russkaja mysl' 14.11.2001.
Einen noch erheblicheren Einfluss auf das Wachstum der Skinhead-Szene übten der erste Krieg in Tschetschenien sowie die ihn begleitende nationalistische Kampagne aus, im Zuge derer eine Reihe den Stil des „Kampfes gegen den Kosmopolitismus“ unter Josef Stalin kopierender oder auffällige Ähnlichkeiten zu den antisemitischen Karikaturen des „Stürmer“ aufweisender Plakate aufblitzten.2) Außerdem begannen die postsowjetischen Neoliberalen im Ringen gegen die zum Scheitern verurteilten kommunistischen Leitprinzipien konservative und ultrakonservative Anschauungen samt ihrer Vordenker, die häufig als direkte ideengeschichtliche Vorläufer des Faschismus wirkten, unablässig in den Massenmedien anzupreisen. Ihr Blickwinkel richtete sich unter anderem auf die Huldigung von Michail Men'šikov, einen Publizisten des frühen 20. Jahrhunderts, der seine philosophischen Abhandlungen mit antisemitischen, rassistischen und faschistischen Argumenten zu untermauern pflegte.3) Dies ergänzend türmten sich in den Buchhandlungen und auf den Marktständen von verschiedenen Verlagen editierte Schriften wie „Mein Kampf“ von Adolf Hitler, „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ vom NSDAP-Parteiideologen Alfred Rosenberg und „Der Geist des Faschismus“ von dem italienischen Diktator Benito Mussolini.
Zusammengefasst ebneten das Scheitern des „realen Sozialismus“, die unreife Demokratie, die anhaltende wirtschaftliche Transformation, die aufkommenden nostalgischen Stimmungen sowie die breitflächige Unzufriedenheit der Bürger den Weg rechtsextremistischer Gruppierungen, konstatiert der Sachverständige des Moskauer Büros für Menschenrechte Vladimir Iljušenko:
Russländische Rechtsextremisten erkannten die verfahrene Lage und boten der enttäuschten Gesellschaft ein Rezept zur schnellen Rettung der Nation an, wobei sie ihre Karte auf die in Krisensituation im kollektiven Bewusstsein aufkeimende ethnische Solidarität, ethnische Traditionen und Werte setzten. Sie riefen die Menschen unter dem Motto einer „nationalen Revolution“ zur Rückkehr in die Vergangenheit auf, die sich vorbehaltlos auf die Konstituierung einer straffen Ordnung, Wiedergeburt der russischen Großmacht sowie die Verteidigung russischer Nationalinteressen konzentrieren sollte.4)
Das Ergebnis des „offiziellen Anschauungsunterrichts“ in Rassismus, den die Sicherheitskräfte des Landes emsig und unbestraft vorführten, ließ nicht lange auf sich warten: Die erste bekanntgewordene gewaltsame Ausschreitung der ultrarechten Strömung in der Russländischen Föderation, die allerdings nur begrenzt Beachtung seitens der sich zu diesem Zeitpunkt mit demokratischen Grundsätzen und der Erarbeitung einer neuen Verfassung beschäftigenden Regierung erfuhren, ereignete sich im Jahr 1993 in Gestalt eines Überfalls auf eine Moskauer Synagoge. 1998 sprengten die „Himmelsarier“ eine Synagoge im Moskauer Bezirk Mar'ina Roš?ja, 1999 zündeten sie eine weitere jüdische Gebetsstätte in Odincovo an.5) Das brutale Pogrom auf einem Wochenmarkt im Moskauer Bezirk Jasenevo im April 2001 charakterisierte eine neue Dimension des nationalistischen Terrors: Etwa 200 Naziskinheads raubten bis zu 50 von Einwanderern aus den ehemaligen sowjetischen Republiken betriebene Verkaufsstände und Kioske aus, im Zuge dessen mehrere Personen schwere Verwundungen erlitten.6) Die im Oktober 2001 auf einem Handelsplatz nahe der Metrostation „Caricino“ von rund 300 vermummten, ausländerfeindliche Losungen wie „Russland den Russen“ oder „Slawisch, russisch, mächtig“ skandierenden Personen gestiftete Randale, setzte sich in einigen U-Bahnhaltestellen sowie in den Wagen der Metrozüge über mehrere Stunden hinweg fort und endete am Hotel „Sewastopol“, in dem viele Flüchtlinge aus Afghanistan wohnten. Die Bilanz: Vier Menschen starben, 22 erlitten ernste Verletzungen.7)
Foto: Tinou Bao nach CC-Lizenz 2.0
Fußnoten:
1)Tarasov, Aleksandr: Naci-skiny v sovremennoj Rossii. [Nazi-Skins im gegenwärtigen Russland], URL: http://www.scepsis.ru/library/print/id_605.html [12.04.2010].
2) Semen ?arnyj: Sachverständiger des Moskauer Büro für Menschenrechte. Interview am 3.06.2008 in Moskau.
3) Men'šikov, M.: Byt' Rossii velikoj. [Sollte Russland eine Großmacht sein], in: Moskovskij žurnal 11 / 1993; Men'šikov, M.: Kon?ina veka. [Das Ende des Jahrhunderts], in: Literaturnaja Rossija 52 7 1994; Men'šikov, M.: Vyše svobody: Stat'i o Rossii. [Höher als Freiheit: Artikel über Russland]. Moskva 1998; Men'šikov, M.: Pis'ma k russkoj nacii. [Briefe an die russische Nation]. Moskva 1999.
4)Vladimir Iljušenko: Sachverständiger des Moskauer Büros für Menschenrechte. Interview am 5.06.2008 in Moskau.
5) Licha?ev, V.: Nacism v Rossii. [Nazismus in Russland]. Moskva 2002, S. 139 ff.
6) Viktorov, Andrej; Tu?kova, Alla: Mosgorsud vzjalsja za britogolovych. Slušajetsja delo o pogrome na rynke v Jaseneve. [Moskauer Stadtgericht befasst sich mit Kahlköpfigen. Anhörung über das Pogrom auf dem Markt in Jasenevo], in: Nezavisimaja gazeta 5.02.2002.
7) Licha?ev, B.; Pribylovskij, V.: Skinhedy b'jut u ubivajut „neslavjan“. [Skinheads schlagen und ermorden „Nichtslawen“], in: Russkaja mysl' 14.11.2001.