Im braunen Sumpf

Aus jetzt frei gegebenen Akten geht hervor, dass der Oktoberfest-Attentäter von 1980 neben der „Wiking-Jugend“ und der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ unter anderem enge Kontakte zum „Hochschulring Tübinger Studenten“ (HTS) pflegte. Darüber berichtet aktuell auch der „Spiegel“.  Der HTS war 1968 „als antikommunistische Alternative“ unter maßgeblicher Beteiligung von Verbindungsstudenten gegründet worden.

Dienstag, 25. Oktober 2011
Anton Maegerle

Am späteren Abend des 26. September 1980 war im Eingangsbereich zum Oktoberfest auf der Münchner Theresienwiese eine Bombe detoniert. Beim schwersten Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland starben 13 Menschen, 211 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Hintergründe des Anschlags sind bis heute nicht aufgearbeitet. Trotz zahlreicher Hinweise und Verdachtsmomente auf mehrere Täter gilt der 21-jährige Student Gundolf Köhler bislang offiziell als Alleintäter. Nun frei gegebene Akten dokumentieren, dass der bei dem Attentat ums Leben gekommene Köhler enge Kontakte zum rechtsextremen Hochschulring Tübinger Studenten pflegte. Darüber berichtet jetzt auch der „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe.

Aufmerksam gemacht auf den HTS wurde der damalige Schüler Köhler (Jg. 1959) durch ein Antwortschreiben von Karl-Heinz Hoffmann (Jg. 1937), dem Führer der paramilitärischen Wehrsportgruppe Hoffmann. 1976 hatte Köhler Hoffmann in einem Schreiben mitgeteilt: „Ich will in meiner Heimatgemeinde eine Wehrsportgruppe bilden.“ Hoffmann verwies umgehend an Axel Heinzmann (Jg. 1946), den Gründer und Kopf des HTS.

An paramilitärischer Übung „teilgenommen“

Der HTS sorgte in dem gleichen Jahr für regionale Schlagzeilen. Vor der Alten Mensa „Prinz Karl“ in Tübingen sollte Hoffmann bei einer gemeinsamen Veranstaltung der rechtsextremen Hochschulorganisation und der WSG Hoffmann am 4. Dezember 1976 zum Thema „Die schwarz-kommunistische Aggression im südlichen Afrika“ reden. Vor der Lokalität kam es zu schweren Übergriffen von Neonazi-Schlägern auf Gegendemonstranten. Mehrere Gegendemonstranten wurden krankenhausreif geschlagen.

An den Übergriffen war auch Köhler, der sich zuvor bereits der „Wiking-Jugend“ (WJ) angeschlossen hatte, beteiligt. Bislang nicht bekannt ist, ob Köhler auch 1976 am WJ-Pfingsttreffen in Anschau/Eifel war. Dort wurden Lieder wie „Lasst die Fahrtenmesser blitzen und die Sozischweine flitzen“ oder „Wehner und Brandt an die Wand“ geschmettert. Bekannt ist dagegen, so das bayerische Landeskriminalamt in seinem Abschlussbericht zum Oktoberfest-Attentat, dass Köhler Mitte der 70er Jahre an paramilitärischen Übungen der WSG Hoffmann „teilgenommen“ habe. Neben Köhler gehörten weitere WJ-Mitglieder zum Aktivistenkreis der WSG Hoffmann. So war der NPD-Mann Helmut Dieterle sowohl WJ-„Gauführer Schwaben“ als auch „Stützpunktleiter“ der WSG Hoffmann in Baden-Württemberg.

Mord an jüdischem Verlegerehepaar

In den Reihen des HTS tummelte sich neben dem Oktoberfest-Attentäter Köhler auch Uwe Behrendt. 1976 kandidierte Behrendt für den HTS bei der Wahl zum ASTA der Universität Tübingen. Am 19. Dezember 1980 wurde das jüdische Verlegerehepaar Shlomo Lewin und Elfriede Poeschke von dem WSG-Mitglied Behrend ermordet.

Der HTS wurde 1968 unter maßgeblicher Beteiligung von Verbindungsstudenten gegründet. Die Studentenorganisation verstand sich „von vornherein als antikommunistische Alternative in der Hochschulpolitik“, so Heinzmann. Zielgruppe waren laut Heinzmann jene studentischen Wähler, für die die CDU-Studierendenorganisation RCDS „aufgrund seines ‘C‘ bzw. seiner nicht selten opportunistischen Politik nicht wählbar“ war. Starke Stütze des HTS waren die „zahlreichen Corps, Landsmannschaften, Burschen- und Sängerschaften sowie akademischen Verbindungen,“ schrieb Heinzmann 1974 in der bundesweit vertriebenen Rechtspostille „student“.

Der HTS forderte unter anderem die „Freiheit für so genannte ‚Kriegsverbrecher’ “ und die „Auflösung der Ludwigsburger Verfolgungsbehörde“. So begrüßte der HTs auch die Befreiung Herbert Kapplers aus „rotitalienischer Folterhaft“. Kappler, Kommandeur der Sicherheitspolizei sowie des Sicherheitsdienstes in Rom und Verantwortlicher für das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen, war 1948 in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt worden. 1977 wurde er unter dubiosen Umständen „befreit“.

Früherer HTS-Kopf kandidierte im März für die NPD

Große Sympathie hegte der HTS für das Apartheidsregime in Südafrika. „Zwecks Unterstützung der Abwehr gegen die kommunistische Aggression“ hielten sich laut Heinzmann zeitweilig mehrere HTS-Mitglieder zum „Training“ in Südafrika auf. Als Mitglied gehörte der  HTS dem Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), dem Ostpolitischen Deutschen Studentenverband (ODS) und der Gesellschaft für Menschenrechte (GFM) an. Zum Ehrenmitglied hatte die als gemeinnützig anerkannte Studentenorganisation Gerhard Löwenthal, den Moderator des ZDF-Magazins, gekürt.

HTS-Kopf Heinzmann (Jg. 1946), im Laufe der Jahre mehrfach einschlägig unter anderem wegen Volksverhetzung und Landfriedensbruch verurteilt, war 1975 Mitbegründer des Freundeskreises Franz Josef Strauß. Im Folgejahr zählte er zu den Gründern der CSU-Kreisgruppe Tübingen. Politisch beheimatet ist Heinzmann seit Jahren bei der NPD. Im März kandidierte er bei der baden-württembergischen Landtagswahl für die NPD. Im Großraum Schwaben ist Heinzmann hinreichend als erfolgloser Dauerbewerber bei Bürgermeisterwahlen bekannt. Zuletzt erzielte Heinzmann bei der Wahl des Bürgermeisters am 9. Oktober in Hechingen 0,3 Prozent.

 

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