„Identitäre“ auf dem Weg ins Abseits

Die rechtsextreme Influencerin Lisa „Licentia“ H. hat in einer FPÖ-nahen Zeitschrift in einem Interview über die „Identitäre Bewegung“ (IB) ausgepackt. Frauenfeindlichkeit sei neben der Fremdenfeindlichkeit an der Tagesordnung.

Freitag, 07. Februar 2020
Michael Klarmann

Eigentlich befindet sich die „Identitäre Bewegung“ (IB) in Deutschland im Niedergang. Der Medienhype um die rechtsextreme Bewegung scheint vorbei zu sein, das Hausprojekt in Halle ist vorerst gescheitert und große Aufmärsche oder spektakuläre Aktionen sind selten geworden. Gegen den IB-Kopf Martin Sellner aus Österreich und seine Mitstreiter gingen die dortigen Behörden verstärkt vor, wegen einer Spende eines neuseeländischen Rechtsterroristen und Massenmörders war Sellner zudem ins Visier geraten. (bnr.de)

Zudem beobachten Verfassungsschutzbehörden die selbsternannte „Bewegung“ in Deutschland. Trotz der Pläne zwecks Gründung einer Stiftung (bnr.de berichtete) scheint die ähnliche Inhalte vertretende Initiative „Ein Prozent “ wirkmächtiger geworden zu sein: Sie kommt ohne spektakuläre Aktionen aus, bespielt aber die Szene mit ideologischem Rüstzeug. Schlagzeilen machten zuletzt die „identitär“ auftretenden Rapper „Bloddy 32“, „Chris Ares“ und „Prototyp“ beziehungsweise „Prototyp NDS“. Sie erzielten Reichweiten auch über den Tellerrand der Szene hinaus.

Elitärer völkisch-nationalistischer Kreis

Schon Anfang 2017 waren Antifaschisten Strategiepapiere der „Identitären“ in die Hände gefallen und geleakt worden. Somit war seinerzeit schon klar, dass die sich als völkische Spontitruppe inszenierenden „IBster“ hierarchisch strukturiert agierten, es Befehlsketten gab und spontan wirkende Aktionen teils akribisch geplant wurden inklusive der darauf folgenden überhöht-medialen Verbreitung in den sozialen Medien. Überdies betrachtete man sich als elitären völkisch-nationalistischen Kreis, während man sich nach außen als hippe und lockere Jugendbewegung inszenierte.

Kürzlich nun hat die Ex-„Identitäre“ und rechtsextreme Video-Aktivistin Lisa „Licentia“ H. in einem Interview in der Dezember-Ausgabe des „Attersee Reports“ über die IB ausgepackt. Sie sei ein Scheinriese und werde wohl eines Tages still in der Versenkung verschwinden. Manches, was die Wahl-Rheinländerin erzählt, war schon bekannt und wird nur noch einmal neu bestätigt. Anderes ist gleichwohl neu.

Zutiefst sexistische Macho-Kultur

Letztlich werde die IB laut der zuvor „Identitären-Lisa“ genannten jungen Frau von männlichen Führungskadern hierarchisch und bisweilen frauenfeindlich geleitet. Manche Erzählung von „Licentia“, die sie zuvor auch schon per Video ähnlich verbreitet hat, erinnert eher daran, dass junge Männer in der IB einer zutiefst sexistischen Macho-Kultur frönen, die sie selbst in ihrer fremdenfeindlichen Propaganda Muslimen oder Jungmännern in arabischstämmigen Clan-Strukturen vorwerfen. Ansonsten seien Frauen Beiwerk gewesen, ohne wirklichen Einfluss zu haben.

Lisa „Licentia“ H. hatte sich einst bei der Mädchengruppe der IB namens „120 Dezibel“ (120 db) engagiert. Unter dem Deckmantel bemühten sich einige wenige IB-Aktivistinnen bundesweit fremdenfeindliche Stimmungen zu erzeugen. Frauenfeindliche Straftaten durch Migranten wurden propagandistisch ausgeschlachtet, der Sexismus in den eigenen Reihen ausgespart. Zumindest innerhalb der Szene erhielt das Projekt zeitweise enorme Beachtung. Doch „120 Dezibel“ wurde abgedreht. Die Kampagne gefiel der IB-Führung wohl nicht mehr, die Leiterin des Projekts wurde rausgeworfen“, sagt „Licentia“ in dem Interview.

Den Weg der Auflösung gehend

In diesem klärt sie teilweise auch über Strukturen und Interna auf. Whistleblowerin dürfte sie indes weniger sein, eher dürfte das Motiv auch Rache sein. Auffallend ist etwa das Umfeld für das Interview. Die Zeitschrift „Attersee Report“ steht der FPÖ nahe. Nachdem es noch unter der Regierung von ÖVP und FPÖ behördliche Interventionen gegen die IB in Österreich und deren Kopf Sellner gab, wetterten dieser und dessen IB-Mitstreiter gegen die zuvor naturgemäß als Bündnispartner empfundene FPÖ. So liest sich manches, als wolle man aus dem FPÖ-Umfeld kontern. Gleichwohl nennt die befragte Rechtsextremistin ausgerechnet Sellner „eher noch liberal“ gegenüber den meisten anderen IB-Aktivisten.

Lisa „Licentia“ H. trennte sich Mitte 2019 öffentlich von der IB und skizziert diese nun, ähnlich wie kürzlich Götz Kubitschek, als gescheitert respektive den Weg der Auflösung gehend. Köpfe der IB würden heute etwa als Unternehmer das Label IB vermarkten. Der Verbleib von weiterhin fließenden Spenden sei ihrer Meinung nach unklar, Aktivisten und Ortsgruppen hätten nie Geld gesehen. Zugleich hätten Köpfe und Verantwortliche neue oder unbekanntere Aktivistinnen und Aktivisten vorgeschickt bei Aktionen, dem Verteilen von Flyern oder dem Anmelden von Protestaktionen. Eben jene würden schon in jungen Jahren polizeibekannt sein und hätten zuweilen ihre berufliche Zukunft verspielt.

Nicht dem Familienbild der IB entsprochen

„Licentia“ stammt aus Süddeutschland und lebt nun im Rheinland. Nach ihren Angaben hat ihr Vater Migrationshintergrund. Bald schon habe man sie deswegen in der selbsternannten „Bewegung ohne Migrationshintergrund“ angefeindet. Sie selbst habe überdies mit drei Kindern und als Alleinerziehende dem Familienbild der IB nicht entsprochen und sei deswegen massiv – auch über die sozialen Medien und via Messenger – von ihren alten Mitstreitern angefeindet worden: „Das Lustige ist: hauptsächlich von Frauen. Sie forderten, dass ich schweige, weil sie sonst selber Probleme bekämen – vonseiten der IB. [...] Da hieß es dann von diesen Frauen, das sei alles halb so wild, was mir gesagt wurde, und dass sie es ja viel schlimmer getroffen hätten.“

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