„Ich weiß, wo du wohnst, du Zecke“

In Erfurt reißen Bedrohungen und Angriffe auf Geflüchtete und politisch Engagierte nicht ab, die Täter*innen sehen sich durch die Erfolge der AfD bestätigt. Eine neue Analyse für die Stadt kritisiert, dass diese Probleme nicht gesehen und verharmlost werden.

Dienstag, 21. Oktober 2025
Kai Budler
"Rechts abbiegen gefährdet unsere Demokratie" - Proteste gegen die AfD in Erfurt.
"Rechts abbiegen gefährdet unsere Demokratie" - Proteste gegen die AfD in Erfurt.

Für die Aktiven in der Arbeit gegen Rechts in Erfurt ist es keine neue Nachricht: Extrem rechte Strukturen konnten in der Thüringer Landeshauptstadt erhebliche Raumgewinne verbuchen. Auch die aktuelle Situations- und Ressourcenanalyse für Erfurt bestätigt diese Entwicklung und warnt bereits im Titel: „Eine breite Zivilgesellschaft unter Druck“.

Erstellt wurde die Analyse vom „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft“ (IDZ) für die Partnerschaft für Demokratie Erfurt. Herausgeber ist die Stadt Erfurt. Wesentliche Grundlage sind Expert*innen-Interviews, eine anschließende Fokusgruppendiskussion und die wissenschaftliche Auswertung.

Normalisierung extrem rechter Positionen

Die Wissenschaftler konstatieren eine massive extrem rechte Landnahme, die sich nicht nur auf Wahlergebnisse, Parlamente und die Präsenz neonazistischer Strukturen begrenzt. Sie zeige sich auch in einer gesellschaftlichen Normalisierung extrem rechter Positionen. Landesweit gilt Erfurt als regionaler Schwerpunkt der extremen Rechten mit einer stabilen Szene.

Die 91-seitige Analyse für die Stadt Erfurt
Die 91-seitige Analyse für die Stadt Erfurt

Nach Angaben der Opferberatungsstelle ezra wurden nirgendwo in Thüringen in den vergangenen Jahren so viele rechte Angriffe und Gewalttaten erfasst wie in der Landeshauptstadt. Galt der Fokus der ersten Studie 2013 noch den klassischen extrem rechten und neonazistischen Strukturen, beschreiben Akteur*innen der Erfurter Zivilgesellschaft nun die AfD als die aktuell größte Herausforderung.

JA käme „tragende Rolle“ zu

Besonders bei Aufmärschen und Kundgebungen werden die Verbindungen der AfD zu neonazistischen Akteur*innen und dem Protestmilieu der „Montagsdemonstrationen“ deutlich. Hinzu kommt die „Junge Alternative“ (JA) Thüringen, die mit dem Bundesverband Anfang des Jahres aufgelöst wurde. Auch ihr messen die für die Analyse Befragten „eine tragende Rolle im Kontext rechtsextremer Strukturen in Erfurt“ zu, zwei Mitglieder der ehemaligen JA Thüringen sitzen in kommunalen Gremien.

Parallel dazu verlieren andere extrem rechte Parteien in Erfurt weiter an Bedeutung, ihre Akteur*innen aber versuchen weiter, sich und ihre Strukturen in verschiedenen Ortsteilen zu etablieren. Hinzu kommen Überschneidungen von AfD und extrem rechten Kleinstparteien zu Strukturen der verschwörungsideologischen „Montagsdemonstrationen“ und dem Milieu der „Reichsbürger*innen“.

Teilweise Verharmlosung

Dies schlägt sich in brutalen Angriffen auf Geflüchtete, politisch Engagierte oder Orte demokratischer Kultur in Erfurt nieder. Nahezu alle, die für die Analyse interviewt wurden, berichteten von teils enthemmten Bedrohungen und Beleidigungen: „Mir wurde auch schon in der Straße gesagt: ‚Ich weiß, wo du wohnst, du Zecke. Pass auf‘.“ In ihrer rechtsextremen Ideologie sähen sich die Täter*innen durch die Wahlerfolge der AfD bestätigt, erklären die Interviewten, während Ordnungsbehörden oder Verantwortliche der Stadt das Thema Sicherheit zumindest teilweise nicht ernst genug nähmen.

Auch Teile der Stadtgesellschaft sähen diese Probleme nicht und verharmlosten sie. Dennoch konstatieren die Wissenschaftler in der Landeshauptstadt eine vielfältige, gut vernetzte und breit aufgestellte Zivilgesellschaft, „die durch zahlreiche Aktivitäten in Erscheinung tritt und auf eine erfolgreiche Arbeit in den letzten Jahren blicken kann“. Es fehle jedoch an einem kontinuierlichen Austausch, hinzu kommen personelle Kapazitätsgrenzen und strukturelle Überlastungen.

Schutzkonzepte gefordert

Ein Interviewpartner beobachtet, „dass die Leute, die sich engagieren, sich sehr viel engagieren und auch schon so halb wissentlich ins Burnout reinlaufen“. Der Erfurter Stadtverwaltung wird noch viel „Luft nach oben“ beim Willen attestiert, Zivilgesellschaft zu unterstützen und extrem rechten Ideologien entgegenzutreten: Zu oft würden Verantwortlichkeiten auf zivilgesellschaftliche Strukturen abgewälzt. 

In ihren Handlungsempfehlungen regen die Wissenschaftler*innen Schutzkonzepte für demokratisch Engagierte an und sprechen sich für die langfristige Absicherung demokratiefördernder Strukturen und Initiativen aus. Genau die aber stehen besonders im Visier der Thüringer AfD. In der kommenden Woche will sie im Landtag Bündnisse attackieren, „die sich selbst als `antifaschistisch´ bezeichnen, Zuwendungen aus Landesprogrammen oder steuerfinanzierte Auszeichnungen (…) erhalten“. Die Folgen der geforderten Gemeinnützigkeitsprüfung und Verbote: Der gerade erst in der Analyse festgestellte Druck auf die Zivilgesellschaft in Erfurt steigt weiter. 

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