Im Blick - Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Thüringen
Höcke-AfD profitiert vom hohen Niveau rechtsextremer Aktivitäten in Thüringen
Der bundesweite erste AfD-Landrat, einer der größten Reichsbürger-Kongresse und eine steigende Zahl extrem rechter Konzerte sind einige der Schlagworte des zweiten Quartals in Thüringen.
Trotz rückläufiger Mobilisierungen auf der Straße und schwächelnder neonazistischer Strukturen im Freistaat, bewegen sich die Aktivitäten der extremen Rechten auf hohem Niveau. Politisch profitiert davon weiterhin vor allem die extrem rechte AfD, welche laut aktueller Wahlumfragen derzeit die stärkste Partei in Thüringen wäre.
Ende Juni wurde der AfD-Kandidat Robert Sesselmann im Landkreis Sonneberg zum Landrat gewählt. In der Stichwahl gewann der AfD-Bewerber gegen den Konkurrenten von der CDU und erhielt 52,8 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis sorgte deutschlandweit für Aufsehen. Gleichzeitig ist es wenig überraschend: Die Thüringer AfD ist seit den Anti-Asyl-Protesten 2015/2016 und ebenso im Kontext der Pandemieleugner*innen-Demos fest eingebunden in die extrem rechten Netzwerke des Freistaates und schafft es immer wieder sich als deren parlamentarischer Arm zu inszenieren. Dabei vollzieht die AfD immer offener den Schulterschluss mit Verschwörungsideolog*innen, „Reichsbürgern“ und Neonazis.
„Reichsbürger“ und Pandemie-Leugner*innen: Interne Veranstaltungen und radikalisiertes Kernmilieu
Bereits im vergangenen Jahr war Thüringen Austragungsort für ein Vernetzungstreffen bundesweiter „Reichsbürger“. Die zweite Auflage dieses „Zukunftskongresses“ fand nun am 2. Juni 2023 auf der „Bonda Ranch“ in Worbis, im Thüringer Eichsfeld, statt.
An dem Treffen nahmen laut Polizeiangaben etwa 170 Personen teil. Binnen weniger Monate ist dies das zweite Treffen dieser Dimension in Thüringen und damit erneut eine der größten Vernetzungsveranstaltungen der Szene bundesweit. Bereits jetzt wird für den dritten „Zukunftskongress“ im Oktober geworben.
Aufgrund der vorhandenen Infrastruktur und herausgehobenen Bedeutung des Eichsfelds für die Szene, könnte auch diese Veranstaltung erneut in Thüringen stattfinden. Aktuell lässt sich konstatieren, dass die bundesweiten Razzien und Verhaftungen im Dezember letzten Jahres nicht zu einer dauerhaften Schwächung der Strukturen geführt haben. Die Veranstaltungen belegen zudem die enge Verzahnung sogenannter Reichsbürger mit Pandemie-Leugner*innen, Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen und Neonazis. Die „Bonda Ranch“ als Austragungsort des Treffens zeigt die Bedeutung lokaler Unternehmer*innen für die Szene – sei es durch die Übernahme organisatorischer Aufgaben oder, wie im beschriebenen Fall, durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten.
Die Durchführung interner Kongresse passt zudem in die aktuelle Entwicklung innerhalb der extrem rechten Mischszene. Ab Beginn der Corona-Pandemie wurde massiv und landesweit mit wechselnden Themen auf die Straßen mobilisiert. Seit Monaten sind jedoch die Teilnehmendenzahlen der Demonstrationen rückläufig. Die Proteste finden zwar weiterhin wöchentlich in zahlreichen Thüringer Orten statt, können allerdings nicht an die Mobilisierungserfolge der letzten Jahre anknüpfen.
Einzelne Mobilisierungserfolge gelangen der Szene dennoch: Beispielsweise mit Demonstrationen im April und Mai in Schleusingen im Landkreis Hildburghausen gegen die Aufnahme von Geflüchteten in einer ungenutzten Immobilie im Stadtzentrum. Gemeinsam mit Akteur*innen aus der extremen Rechten wie dem Neonazi-Unternehmer Tommy Frenck aus Kloster Veßra, dem Holocaustleugner Axel Schlimper aus Sonneberg, Marcel Funke von der Neonazi-Partei Der Dritte Weg und Vertreter*innen der Gruppierung „Freies Thüringen“ wie Frank Haußner aus Ostthüringen und Gitta Kritzmöller aus Erfurt gingen bis zu 600 Personen gemeinsam auf die Straße. Die Demonstrierenden waren teils ortsansässig, teils aus verschiedenen Thüringer Städten angereist. Trotz oberflächlich wechselnder Themen zeigen diese Demonstrationen, dass Rassismus und die Agitation gegen Geflüchtete eines der Kernthemen der Szene bleibt.
Insgesamt scheinen sich die Aktionsformen der Szene aber zunehmend nach „innen“ zu richten, während sich die Inhalte weiter radikalisieren. Die Aufmärsche dienen vor allem zur Selbstbestätigung eines weitgehend gefestigten Protestmilieus. Daneben finden inzwischen diverse Veranstaltungen und Treffen statt, die sich genau an dieses Milieu richten und zudem versuchen auch Kinder und Familien mit einzubeziehen.
Bei einem überregional beworbenen Vortragswochenende Ende Juni in Pfiffelbach, Weimarer Land –im Stil eines Sommercamps mit Zelten, Tanz und Kinderbetreuung – wurden u.a. von Ricardo Leppe Freilernen-Organisationsentwürfe in Form von „Schulen der Zukunft“ vorgestellt. Erklärtes Ziel ist der Entzug Kinder und Jugendlicher von vermeintlich ideologischer Beeinflussung im staatlichen Schulbetrieb. Die Brüder Ricardo und Elias Leppe verbinden in ihrem Auftreten bei Veranstaltungen oder auf zahlreichen Online-Präsenzen harmlos wirkende Zauberei und Gedächtnistraining mit antisemitischen und rassistischen Ideologieelementen aus der sogenannten Anastasia-Bewegung und „Neuer Germanischer Medizin“. Leppes Auftritt in Pfiffelbach war nicht der erste in Thüringen.
Neben dem Thema Schulverweigerung zeigen sich Anknüpfungspunkte und Kooperationen der Thüringer Szene mit Windkraftgegner*innen. Im Telegram-Kanal der extrem rechten Gruppierung „Freies Thüringen“ wird beispielsweise seit April zu Aufforstungsaktionen an Standorten im Thüringer Wald mobilisiert. Unter Organisation der „Waldbürger-Initiative Thüringen“ kommen beim Baumpflanz-Aktionen oder Sommerferiencamps Menschen aus dem Spektrum der Pandemie-Leugner*innen und „Reichsbürger“ mit Windkraftgegner*innen und Umweltschützer*innen zusammen.
Ebenfalls aus dem Spektrum der Pandemie-Leugner*innen wurde Ende März der Verein „Aufbruch Gera“ gegründet. Gemeinsam mit Ex-AfD-Mitglied Andre Poggenburg aus Sachsen-Anhalt lud der Anmelder der Proteste in Gera, Christian Klar, zur Gründungsversammlung ein. Neben den „Freien Sachsen“ nahm unter anderem auch der Thüringer AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Lauerwald an der Versammlung teil. Am 1.Mai mobilisierte der neu gegründete Verein unter dem Motto „Gemeinsam für den Frieden“ auf die Straße. Etwa 700 Personen nahmen an dem Aufmarsch teil. Parallel dazu mobilisierte die Thüringer AfD etwa 1000 Personen nach Erfurt.
Anfang Juli enthüllte der extrem rechte Verein in Gera einen sogenannten Gedenkstein „Zur Erinnerung an die Opfer des Corona-Impfexperiments und der Zwangsmaßnahmen des Ramelow-Regimes“. Neben einschlägigen Rednern wie Frank Haußner und Martin Kohlmann (Freie Sachsen), traten auch die neonazistischen Liedermacher Frank Rennicke und Axel Schlimper im Rahmen der Veranstaltung auf. Unter den Teilnehmer*innen waren zudem auch Patrick Wieschke und Patrick Weber aus dem Landesvorstand von Die Heimat, sowie mit Frank Schütze und Andreas Sickmüller zwei Vertreter des extrem rechten „Bürgerforum Altenburger Land“.
Die Veranstaltung reiht sich ein in zahlreiche Beispiele der letzten Jahre, die den Schulterschluss der unterschiedlichen Parteien und Organisationen der extremen Rechten von NPD/Die Heimat über „Reichsbürger“ bis zur AfD belegen.
Neustrukturierungsversuche der Neonazi-Szene
Die Thüringer Neonazi-Parteien sind weiterhin außerhalb einzelner regionalen Schwerpunkte nicht öffentlich wahrnehmbar. Für die NPD bleibt Eisenach und die dortige Immobilie von zentraler Bedeutung. Dort fand im April des Jahres ein Treffen der NPD-Nachwuchsorganisation JN („Junge Nationalisten“) statt. Deren „Neuaufbau“ war erst Anfang des Jahres in den Sozialen Medien angekündigt worden. Öffentlich weitgehend unbemerkt, beschloss die NPD im Juni auf ihrem Bundesparteitag im sächsischen Riesa die Umbenennung in Die Heimat. Der Thüringer Landesverband erklärte dazu in einem Statement: „Es handelt sich nicht um einen reinen Namenswechsel. Auf dem Parteitag wurde deutlich, dass es um viel mehr geht. Es geht um eine neue Standortbestimmung, um eine neue strategische Funktion für unsere Partei.“ Eine Zunahme von Aktivitäten der umbenannten Partei ist seither nicht zu bemerken.
Die neonazistische Kleinstpartei Der Dritte Weg führte zum 1. Mai eine Veranstaltung in ihrer Immobilie in Ohrdruf (Landkreis Gotha) durch. Anders als in den Vorjahren rief die Partei nicht zu einer bundesweiten zentralen Demonstration auf, sondern beschränkte sich auf kleine lokale Aktionen. Daneben fanden erneut die üblichen Spendenausgaben, Wanderungen und eine geschichtsrevisionistische Aktion am 8. Mai in Bad Langensalza statt. Wie schon in den Monaten zuvor versucht die Partei diese Aktionen von Einzelpersonen online zu inszenieren, schafft es aber kaum außerhalb der eigenen Strukturen wahrgenommen zu werden.
Im Mai endete vor dem Landgericht Erfurt der sogenannte Herrenberg-Prozess. Im August 2020 kam es aus einer Neonazi-Immobilie heraus zu einem schweren Übergriff. Die Immobilie wurde über Jahre von extrem rechten Parteien, unter anderem Der Dritte Weg, als Veranstaltungsraum und für Kampfsporttrainings genutzt. Von den anfangs 10 Angeklagten im Prozess wurden drei Verfahren eingestellt, drei Angeklagte wurden freigesprochen und vier Angeklagte wurden zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ezra erklärte in einer Stellungnahme zum Urteil: „Trotz der Anerkennung eines extrem rechten Tatmotivs und den verhangenen Haft- und Bewährungsstrafen, die wir als dringend notwendige Konsequenz für die Täter und als wichtiges Signal an die organisierte Neonazi-Szene halten, bleibt mit den drei Freisprüchen das Urteil hinter unseren Erwartungen zurück. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die fehlenden Konsequenzen für einige Täter, erneut zu einer solchen Tat ermutigen“.
Am 1. Juli fand in der extrem rechten „Gedächtnisstätte“ in Guthmannshausen eine Schulungsveranstaltung der bundesweiten extremen Rechten statt. Bei dem „Seminar für rechte Metapolitik“ des Metapol-Verlages waren als Redner unter anderem ein Vertreter der „Freien Sachsen“, als auch des „Instituts für Staatspolitik“ angekündigt. Gleichzeitig wurde die Veranstaltung als Solidaritätsaktion für die „Gedächtnisstätte“ angekündigt, die durch einen Brand 2021 stark beschädigt wurde. Die Immobilie war schon in den Jahren zuvor Austragungsort für Seminare des extrem rechten Metapol-Verlages und dient seit Jahren der bundesweiten Neonazi- und Holocaustleugner*innen-Szene als zentraler Treffpunkt. Nur wenige Tage nach der Veranstaltung veröffentlichte die Thüringer AfD ein Video auf ihrer Facebook-Seite, bei dem u.a. der Landtagsabgeordnete Thorsten Czuppon sich auf dem Gelände der „Gedächtnisstätte“ filmen ließ.
RechtsRock: Weiterhin zentrales Aktionsfeld der extremen Rechten
Erneut ließen die Veranstaltungen der vergangenen Monate erkennen, dass RechtsRock zur Weitergabe von Ideologie und Gemeinschaftspflege einen festen Raum einnimmt. Beim „Reichsbürger“-Kongress auf der „Bonda-Ranch“ in Worbis Anfang Juni spielte die extrem rechte Liedermacherin „Eine deutsche Frau“ Kathrin E.. Bei einer „Sonnenwendfeier“ von „Freies Thüringen“ trat Frank Rennicke als einer der deutschlandweit bekanntesten extrem rechten Liedermacher auf. Ende Juni fanden an gleich zwei aufeinanderfolgenden Tagen Auftritte von „Sleipnir“ in Eisenach statt. Gemeinsam mit dem Liedermacher Axel Schlimper aus dem Landkreis Sonneberg bildete Frank Rennicke Anfang Juli die musikalische Untermalung bei der „Gedenkstein“-Enthüllung in Gera.
Extrem rechte Liederabende in Thüringen konnten im vergangenen Quartal in zweistelliger Höhe gezählt werden. Hervorzuheben ist, dass diese regelmäßig in den szeneeigenen Immobilien wie der „Gedächtnisstätte“ Guthmannshausen im Landkreis Sömmerda und der Eisenacher Landeszentrale der Partei Die Heimat – ehemals NPD – stattfinden. Die Parteiimmobilie in Eisenach hat sich als intensiv genutzter Veranstaltungsort extrem rechter Live-Musik in Thüringen etabliert. In die Organisation sind jeweils die beiden Die Heimat-Kader Patrick Wieschke und Patrick Weber eingebunden. Damit stellt RechtsRock eines der wenigen verbleibenden Aktionsfelder der Partei in Thüringen dar.
Artikel zuerst erschienen bei MOBIT