Opferberatung
Höchststand rechter Gewalt in Thüringen
In ihrer Statistik für das vergangene Jahr hat die Thüringer Betroffenenberatungsstelle ezra einen neuen Höchststand rechter und rassistischer Angriffe registriert. Die Berater*innen sehen besonders Innenminister Georg Maier in der Pflicht.

Rechte und rassistische Gewalt hat in Thüringen einen neuen Höchststand erreicht. Im vergangenen Jahr kam es in Thüringen pro Woche zu mindestens drei rechten Angriffen mit mindestens sieben Betroffenen. Das geht aus der Jahresstatistik hervor, die die Betroffenenberatungsstelle ezra jetzt für 2022 vorgelegt hat.
Insgesamt wurden 180 Fälle rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt registriert. Dies entspricht einem Anstieg um 45 Prozent im Vorjahresvergleich. Davon betroffen waren mindestens 374 Personen, darunter in mindestens 103 Fällen Kinder und Jugendliche. Damit hat sich allein die Zahl betroffener Kinder und Jugendlicher mehr als verdoppelt. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein, das häufigste Tatmotiv war Rassismus.
Sprunghafter Anstieg rassistischer Gewalt
Der jetzt präsentierte Wert für das vergangene Jahr ist die höchste Zahl an Angriffen, die von einem unabhängigen Monitoring im Freistaat registriert worden sei, erklärte Projektleiter Franz Zobel. Die meisten Angriffe waren bislang im Jahr 2018 gemessen worden. Zobel konstatierte: „Wir haben es in Thüringen mit einer neuen Welle rechter und rassistischer Gewalt zu tun, die sich bereits 2021 abzeichnete“.
Vor allem in der zweiten Jahreshälfte registrierten die Berater*innen einen sprunghaften Anstieg rassistischer Gewalt: zeitweise konstatierten sie jeden zweiten Tag einen rassistischen Angriff im Freistaat. Dazu komme eine alltägliche Konfrontation mit Rassismus. Eltern hätten in Beratungen erklärt, nach ihrer Ankunft in Thüringen hätten ihre Kinder in der Schule als erste deutsche Worte „Ausländer raus“ durch Mitschüler*innen gelernt.
Erfurt als Hotspot
Die meisten Angriffe wurden in Erfurt registriert, hier stieg ihre Zahl von 28 im Jahr 2021 auf 53 im vergangenen Jahr. Die Landeshauptstadt bleibt Schwerpunktregion rechter Gewalt. Mit je 21 Angriffen folgen Gera und Jena. Neben rassistischen Motiven gehören Gewalt gegen den vermeintlichen politischen Gegner und gegen Journalist*innen zu den häufigsten Delikten.
Zobel sieht einen wesentlichen Grund für den Anstieg der rechtsmotivierten Gewalttaten in der Mobilisierung der extremen Rechten. „Wie 2015 sind extrem rechte Mobilisierungen für eine Eskalation von rechter Gewalt verantwortlich. Diese waren fast jeden Montag Ausgangspunkt für rechte Hetze, Beschimpfungen, Bedrohungen und Gewalt. Besorgniserregend ist die starke Zunahme bei Angriffen auf Journalist*innen, die die Pressefreiheit in Thüringen weiter eingeschränkt haben.“
Paradigmenwechsel bei Strafverfolgung gefordert
Mit Blick auf das laufende Jahr warnt Zobel davor, dass die Lage jederzeit weiter eskalieren könne. Die demokratischen Parteien seien in der Pflicht, die Lage durch rassistische Kampagnen nicht weiter anzuheizen. Zobel sieht besonders Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) in der Pflicht. Er müsse einen Vorschlag für eine gemeinsame Strategie eines glaubhaften Paradigmenwechsels in Ostdeutschland in der Strafverfolgung rechter Gewalttaten und im Umgang mit rechten Aufmärschen präsentieren. Diese wurde Ende 2022 nach der Tagung der ostdeutschen Innenminister*innen in Erfurt versprochen. In diesem Rahmen hatte der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) acht Maßnahmen vorgeschlagen. Von offizieller Seite jedoch habe es seitdem dazu „keine weiteren Verlautbarungen“ gegeben, kritisiert Zobel.