Hochbrisante Neonazi-Symbiose
Verurteilte bayrische Rechtsterroristen beim Münchner NSU-Prozess sowie brisante Verbindungen einer wichtigen Zeugin nach Nürnberg zeigen, wie wenig aufgeklärt das mutmaßliche Helfernetzwerk wirklich ist.
Fünf Morde des NSU in Bayern. Eine Bekenner-DVD, die im November 2011 nicht per Post ankam, sondern von unbekannten Helfern abgegeben wurde und immer mehr offensichtlich werdende Neonazi-Verbindungen nach Nürnberg und München: Im Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre vier mutmaßlichen Unterstützer vor dem Oberlandesgericht München wurden gestern die zahllosen weißen Flecken bei der Aufklärung überdeutlich. Die ehemalige Neonazistin Mandy Struck sagte aus. Obwohl gegen die Friseurin aus dem Erzgebirge noch wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird und sie daher schweigen könnte, wollte sie ihre Version der Geschichte mitteilen.
Demnach habe sie die „drei Gäste“, die sie 1998 nach deren Flucht aus Jena bei ihrem damaligen Freund Max Florian B. in Chemnitz einquartierte, nicht gekannt, nicht mal deren Nachnamen will sie erfahren haben. Diejenigen Chemnitzer Neonazis, die ihr den Auftrag erteilten, versieht die clevere Leiterin eines Friseursalons, die sich im November 2011 einen Bodyguard in den Laden stellte, fortwährend wie zufällig mit einem falschen Nachnamen. Wohl nicht ohne Grund, denn teils bewegen sie sich noch in der aktiven Szene. Schnell habe die Gerüchteküche vor allem im Chemnitzer Heckertgebiet gebrodelt, berichtet sie, doch die 38-Jährige will auch den engsten Kameraden nichts verraten haben über den Verbleib der Abgetauchten.
Liebschaften in der Hardcore-Szene
Erstaunlich gut kann sie sich an politische Zusammenhänge, Schulungen, Demonstrationen und ihre zahlreichen Liebschaften in der Hardcore-Szene erinnern, nur wenn es konkret wird, zeigt sie die gleiche Reaktion wie zuvor andere routinierte Neonazi-Zeugen: Sie kann sich nicht erinnern und spielt die eigene politische Rolle massiv herunter. Das Aberwitzige: Mandy Struck half nicht nur den drei Bombenbastlern, sondern beherbergte etwa zur selben Zeit auch immer wieder ihren langjährigen Bekannten aus Johanngeorgenstadt, den Mitangeklagten André E., auf dessen Rechner sich unzählige identische Dateien wie beim Trio in Zwickau fanden. Dennoch will Struck dem Gericht weismachen, dass der damals nichts von der Fluchthilfe gewusst habe. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 15. Dezember 2011 hatte sie noch eingeräumt: „Es kann sein, dass ich es dem Andre E. in dieser Zeit erzählt habe“.
Jetzt schützt sie scheinbar den Ex-Kameraden aus ihrer Heimatstadt. Hinzu kommt, dass sie auch zu Matthias D. aus Johanngeorgenstadt seit Jahren Kontakt hält. Der E.-Freund und Neonazi diente dem Trio bis zuletzt für die Abtarnung der Wohnungen. Doch auch davon will die eifrige Zeugin nichts gewusst haben. Dabei macht sie durchaus den Eindruck einer Frau, die wusste was in ihrer Umgebung läuft. Vor allem die Nebenklage-Vertreter nehmen ihr die Rolle des Naivchens keinesfalls ab. Immerhin wimmelte sie nach eigenen Aussagen bereits im Jahr 2000 Polizeibeamte ab, die sie bei der Fahndung nach dem Trio mit ihnen in Verbindung brachten.
Zschäpe bereitwillig eine AOK-Karte geliehen
So behauptet Struck im Gerichtssaal in München provokativ, das junge Skingirl, welches im Januar 1998 gemeinsam mit Beate Zschäpe eine Fahne beim Aufmarsch durch Dresden trug und abgelichtet wurde, sei nicht sie gewesen. Sie haben nur Uwe Mundlos einmal entfernt in einer Diskothek gesehen, die anderen kenne sie überhaupt nicht. Zwei ihrer früheren Liebhaber hatten dagegen vor der Polizei die Bekanntschaft eingeräumt. Der Vorsitzende Richter Götzl hakt hier nicht weiter nach. Die Anwälte der Nebenklage werden erst bei einem weiteren Vernehmungstermin der Frau zum Zuge kommen.
Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe nutzte im Untergrund mehrfach Strucks Identität. Bereitwillig habe sie ihr 1998 eine AOK-Karte geliehen. Im Brandschutt in Zwickau fanden sich aber auch Notizzettel mit den aktuellen Adressen der umzugsfreudigen Erzgebirglerin, die allerdings nach 1998 keinen Kontakt mehr zu den Dreien gehabt haben will. Doch auch eine Telefonnummer, die Struck von 1999 bis 2012 nutzte, fand sich bei Zschäpe. Immerhin räumte die Fluchthelferin ein, damals einen Ausweis für einen der beiden Männer bei den Behörden abgeholt zu haben. Sie weiß: Diese Unterstützungstat liegt lange zurück.
Trio besaß Funkscanner zum Abhören der Polizei
Die zierliche dunkelhaarige Sächsin muss Ende der 1990er Jahre als eine vielversprechende Kameradin innerhalb der braunen Männerbastion gegolten haben. Wichtige Anführer vertrauten ihr scheinbar. So berichtet sie wie nebenher von Anwerbeversuchen des Verfassungsschutz, die sie abgelehnt habe und davon, dass sie mit einem inhaftierten Gewalttäter aus Bayern, den sie jahrelang auf Geheiß eines Chemnitzer „Blood&Honour“-Anführers für die „Hilfsorganisation für nationale Gefangene“ (HNG) betreute, einen Text namens „Einheit der Rechten“ für die Nürnberger Neonazi- Zeitung „Landser“ über die Zerrissenheit der Szene verfasste. Beiläufig schildert sie die üblichen Vorsichtsmaßnahmen der Kameraden im Umgang mit Telefonen und, dass das Trio in der Fluchtwohnung einen Funkscanner zum Abhören der Polizei besaß. Sie rechtfertigt ihre Abneigung gegen Ausländer und sie kannte die damalige Chemnitzer Kameradschaft „88“ ebenso wie „Blood&Honour“, „Hammerskins“ und die „Fränkische Aktionsfront“ (FAF). Dessen wichtigsten Anführer Matthias Fischer erlebte Mandy Struck politisch wie auch ganz privat, sah ihn sogar 2002 oder 2005 bei einem Neonazi-Fest in Jena wieder.
Das Ziel der FAF war es „Widerstand gegen die herrschenden antinationalen Zustände innerhalb des BRD Regimes zu leisten“. Welche Aggressivität und Entschlossenheit die FAF verkörperte, wurde in ihrem Konzept durch einen Satz von Adolf Hitler deutlich: „Wer leben will, der kämpfe also, und wer nicht streiten will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht.“ Mit dem zweiten starken Mann der inzwischen verbotenen FAF, Christian Wilke, war die Zeugin sogar zeitweilig liiert. Der Ex-NPD-Aktivist Wilke habe ihr damals sogar Bombenbauanleitungen aus dem Internet mitgegeben und gemeint: „Hefte das ab, könntest du immer mal gebrauchen!“
Freund verraten und abgetaucht
Immer wieder entsteht der Eindruck, dass die sächsische Neonazistin damals einen starken Eindruck auf die Männer machte, denn Wilke habe ihr nahe gelegt, erzählt sie, einen Ableger der „Fränkischen Aktionsfront“ in Chemnitz zu gründen. Doch als der Freund ihr offenbarte, er habe angeblich etwas gegen den Anführer Fischer in der Hand und könne ihn jederzeit bei der Polizei verpfeifen, da verriet sie ihn. Wilke tauchte ab.
Auch Thomas Gerlach von den „Nationalen Sozialisten Altenburger Land“ aus Thüringen vertraute ihr. Gerlach, der maßgeblich die braune Szene in Zwickau mitaufgebaut haben soll, lebte, so Struck, vom Geld seiner Großmutter und steckte alle Zeit in seine äußerst konspirative politische Arbeit. Im Streit schalt er sie, sie sei keine gute Nationalsozialistin, weil sie sich nicht unterordnen könne. Im Gericht ergänzt sie: „Ich brauch’ keinen Führer, der mir sagt, wo es lang geht, das kann ich selber entscheiden“.
Schwarzer Kapuzenpullover mit Bezug zu „Skrewdriver“
Die Zeugin will mitbekommen haben wie Gerlach sich als Anwärter bei den „Hammerskins“ anbiederte, „die sind dann wie Sklaven“, und wegen einer Straftat in den Knast ging. Trotz Trennung hielten die beiden Kontakt. Noch 2005 wurde durch Hacker offenbar, dass sich Gerlach, genannt „Ace“, mit dem Passwort „struck-mandy“ in geheime Nazi-Foren einloggte. Die politische Aufbauarbeit führte den Thüringer Neonazi immer wieder auch in Richtung Erzgebirge.
Auffällig viele Protagonisten im nahen Umfeld des NSU hatten mit dem „Freien Netz“ in Sachsen, Thüringen und Bayern zu tun. Gerlach und Wohlleben zählten dazu, ebenso André E., bei dem das BKA 2011 eine Spendendose mit der Aufschrift „Nationale Sozialisten Zwickau“ fand und Ralf H., dessen Ausweis im Brandschutt der Frühlingsstraße 26 lag. Zum einflussreichen „Freien Netz Süd“ in Bayern gehören Matthias Fischer und die verurteilten Münchner Rechtsterroristen Martin Wiese und Karl-Heinz Statzberger. Statzberger war bei der Vernehmung von Struck am ersten Tag im Gerichtssaal und verzog das Gesicht, als klar wurde, dass sie aussagt. Wenig später soll er sich in der Pause mit dem nichtinhaftierten Mitangeklagten E. getroffen haben. Nebensächlichkeiten, die den Ordnungshütern zu entgehen scheinen. So auch die Tatsache, dass Statzberger im Saal einen schwarzen Kapuzenpullover mit direktem Bezug zu „Skrewdriver“ tragen durfte. Der Sänger der britischen Band hatte „Blood&Honour“ gegründet.
2003 mit Bombenplänen und Sprengstoff in München aufgeflogen
Sieben weitere Rechte saßen am zweiten Vernehmungstag von Struck gleich hinter der Glasscheibe auf der Besucherempore, unter ihnen die beiden Neonazis aus Kahla David Buresch und Sebastian Dahl. „Die Szene lebt“, schrieb „Die Welt“. Das Infoportal NSU-Watch wusste die Erklärung für die starke braune Präsenz in vorderster Reihe: Der hoch belastete Angeklagte Ralf Wohlleben aus Jena feierte seinen 39. Geburtstag. Mit hochgerecktem Daumen grüßte er seine Unterstützer, die früh aufgestanden sein mussten, um direkte Sicht auf „Wolle“ zu haben.
Eine hochbrisante Symbiose, die sich während der Verhandlung offenbart, so kann durchaus über eine mögliche – bisher nicht nachgewiesene – Vernetzung unterschiedlicher Zellen spekuliert werden. Statzberger und Wiese flogen 2003 mit Bombenplänen und Sprengstoff in München auf. Die Nürnberger Szene gab anscheinend Bombenbauanleitungen an die Neonazistin Struck weiter und der anwesende Prozessbesucher Sebastian Dahl verfügte bereits vor seiner fünfjährigen Haftzeit in Brandenburg über ausreichend Verbindungen ins äußerst militante Milieu, wohl auch zum gefährlichen Straftäter und V-Mann „Piatto“ alias Carsten S. Der 32-Jährige Neonazi, der sich heute gerne inszeniert, warf 2001 in Königs Wusterhausen mit zwei Mittätern vier Molotow-Cocktails auf die Bühne eines antirassistischen Festivals, während dort mehrere Personen schliefen.