Kampfsport
Hells Angels, Neonazis und ein Box-Event
Kriminelle Rocker-Clubs wie die Hells Angels gelten hierzulande als unpolitisch. Eine gefährliche Verharmlosung, denn seit Jahrzehnten paktieren sie mit Neonazis. Kampfsportmilieu und Hooliganismus stellen wichtige Schnittstellen bei der Verjüngung und Radikalisierung dar, das zeigt ein Box-Sportevent in Niedersachsen.
Die vielen Fahrradtouristen, die am Sonntagmittag an der L 338 zwischen Dünsen und Harpstedt entlang fuhren, staunten nicht schlecht, hielten sich aber ängstlich mit allzu neugierigen Blicken zurück. Vor dem Clubhaus „West Side Place“ der Hells Angels war ein großer Boxring errichtet worden und über 150 überwiegend männliche Gäste in einschlägiger Rocker- und Kampfsportkleidung mit zahlreichen Tattoos tummelten sich neben teuren Autos und Bikes.
Das „Charter“ West Side hatte zum „Open Air Boxing“ geladen und erschienen war das Who is who der Neonazi-Szene zwischen Delmenhorst und Bremen. Mit dabei auch der Dortmunder Alexander Deptolla, der inzwischen in Halberstadt lebt. Deptolla ist Organisator des berüchtigten „Kampf der Nibelungen“, dem größtem und mittlerweile verbotenen Kampfsport-Event der rechtsextremen Szene in Westeuropa. Er führte die gewaltbereite Kameradschaftsszene in Dortmund lange mit an und gilt laut MDR als einer von bundesweit 72 braunen „Gefährdern“. Das Bundeskriminalamt bezeichnet Personen als Gefährder, bei denen davon auszugehen ist, dass sie erhebliche politische Straftaten begehen könnten. Seine Freundschaft zu den Hells Angels ist nicht neu, bereits Silvester 2017 feierte er mit den Hells Angels aus Rostock in das neue Jahr.
Rechtsextreme und Rocker gemeinsam
Acht Kämpfe sollten beim „Open Air Boxing“ in Dünsen stattfinden, jeweils drei Runden à zwei Minuten Kampfdauer. Moderator der Veranstaltung war Michael Wellering, einer der wohl einflussreichsten Hells Angels im Westen. Es gab drei Punktrichter und eine Ringrichterin namens Samira. Die „Nummerngirls“ seien „nicht ganz freiwillig“ bereit gewesen, hätten sich aber bereit erklärt, so Wellering süffisant. Bons für Speisen und Getränke gab es am Rande der Veranstaltung, am Merchandising-Stand wurden Supporter-Shirts von „West Side“ für 30 Euro angeboten und die „Männer“ vom „Prospectcharter Münster“ sorgten für Parkplatzeinweisungen.
Danny Gierden war Betreiber eines Kampfsportstudios im Landkreis Oldenburg. Von seinen rund 220 Kämpfern beteiligten sich einige am „Kampf der Nibelungen“. 2018 posierte er auf einem Foto mit dem aus der Region stammenden Identitären Mario Müller, den Gierden aber laut Nordwest-Zeitung gar nicht gekannt haben will. Die Lokalzeitung bezeichnet ihn als „angeblichen Nazi-Trainer“. Doch auch Gierden entstammt der Bremer Hooligan-Szene.
„Zwei Brüder“ seien es gewesen, die sich „diese ganze Geschichte“ – also den Box-Event in Dünsen ausgedacht hätten, erklärte Hells-Angels-Wortführer Michael Wellering am Sonntag den zahlreichen Gästen. Einer der gemeinten „Brüder“ der Hells Angels ist Christoph Mohrmann aus Ganderkesee, der bei der rechtsradikalen Bremer Hooligangruppe „NSHB“ aktiv war. Fotos zeigen ihn mit Gierden. Mohrmann betreibt eine Security-Firma und bietet Krav-Maga-Kampfsportkurse an. Zu Beginn begrüßt Mohrmann einige Gäste, neben ihm stehen der Sänger der Rechtsrock-Band „Kategorie C“, Hannes Ostendorf, die Delmenhorster Rotlichtgröße und „Standarte“-Hooligan Stefan Ahrlich sowie „Django“ Triller, den bundesweiten Sprecher der Rocker-Gang. Triller hatte 2012 gegenüber dem NDR noch geprahlt, bei Rechtsextremen in den eigenen Reihe werde man „ganz genau hingucken“. Neonazis hätten schon immer versucht bei den Hells Angels unterzuschlüpfen, „aber die fliegen achtkantig raus, wenn wir merken, dass die aktiv sind.“ Eine Aussage, der medial zu lange und zu gerne Glauben geschenkt wurde.
Rechtsextreme Boxer
Auch unter den angekündigten Boxern war mit Lasse Richei ein polizeibekannter rechtsextremer Schläger. Ein anderer zählt zur Szene in Braunschweig und ein weiterer Kämpfer stammt aus dem Delmenhorster Hooligan-Spektrum. Richei war bei der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (heute: „Junge Nationalisten“) aktiv und Mitglied der gewaltbereiten Kampfsportgruppe „Adrenalin Braunschweig“. Er fiel jahrelang durch Drohungen und Angriffe auf. Seit 2015 ist er Kampfsportler, im Juni 2019 klebten Aufkleber von „Adrenalin Braunschweig“ mit der Aufschrift „Wir töten dich! Janzen“ an der Wohnungstür der Familie von David Janzen, dem ehemaligen Sprecher des „Bündnisses gegen Rechts in Braunschweig“. Wenige Tage zuvor soll Richei in einem Instagram-Video in Anspielung an den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gedroht haben: „Heute Walter, morgen Janzen“.
Bei den gewaltbereiten rechten Ausschreitungen einer AfD-Demonstration Ende August 2018 in Chemnitz soll Richei mit anderen Kampfsportlern Gegendemonstranten gejagt haben. Hells-Angels-Wortführer Wellering kündigte den Neonazi in Dünsen mit den Worten an: „Lasse, ein sehr stabiler Mann!“ Dessen Betreuer bremsen den wutentbrannten Fighter während der drei Kampfrunden geradezu: „Ruhig bleiben, ruhig bleiben, Lasse!“ Fordern aber später in einem Video: „Mach mal Leber! Leber, Leber“ oder auch: „Lasse, der gehört uns!“ Tobias G., ebenfalls aus der rechten Szene in Braunschweig, wird von Wellering als Gegner von „Fynn“ angekündigt, „unser Mann aus den eigenen Reihen“.
Längst vermischen sich zwei Szenen, die kaum noch voneinander zu trennen sind. Einem antifaschistischen Bündnis in Hamburg gelang es Anfang des Jahres, auf die Teilnahme von Richei und Geffers bei einem anstehenden Boxkampf aufmerksam zu machen. „Neonazis nutzen Ringkämpfe zur Vorbereitung auf den Straßenkampf gegen politische Gegner*innen und profitieren von ihrer Normalisierung bei öffentlichen Kämpfen wie der angekündigten „Redlight Fightnight“ im Docks, wenn nicht so genau hingesehen wird, hieß es. Die Rechten wurden ausgeladen. Doch in Dünsen ist es für Distanzierungen viel zu spät, zu eng sind die Netze verwoben. Zudem scheinen sich weder Polizei noch politisch Verantwortliche für die Veranstaltung zu interessieren.
Unterschätzte Mischszenen mit Gewaltpotenzial
Das „Charter Bremen“ und der „Hells Angels MC Westside“ waren 2013 in Bremen verboten worden. Vorangegangen waren blutige Auseinandersetzungen mit den verfeindeten Mongols, es gab zahlreiche Verletzte. Als die Polizei 2013 die Räume von zwölf Rockern in Bremen und Delmenhorst durchsucht, werden Schlag- und Stichwaffen, Gaspistolen, Anabolika, Datenträger und Bargeld beschlagnahmt. Allein zwischen 2005 und 2010 wurde laut einer Senatsmitteilung gegen 23 Bremer Hells Angels strafrechtlich ermittelt, mindestens zehn wurden verurteilt, unter anderem wegen Körperverletzung, Menschenhandels, Drogen- und Waffendelikten.
Heute nennen sie sich „West Side“ statt „Westside“ und treffen sich in Dünsen im Landkreis Oldenburg. Bereits im September 2014 grüßte auch Michael Wellering bei Facebook wieder aus Bremen, als „West Side“-Member. Früher war er Präsident dieses Charters. Die Angels behielten Kontakte und Treffpunkte in der Hansestadt, verlagerten aber Schwerpunktaktivitäten ins niedersächsische Umland. Mit dem „MC Legion“ hat sich ein sympathisierender Club an der westlichen Landesgrenze zur Hansestadt niedergelassen, an der östlichen wacht die Bruderschaft „Radikal Kameraden Bremen“. Bindeglieder sind jeweils alte rechte Hooliganstrukturen. Der aus Cuxhaven stammende Wellering gibt dagegen den bürgerlichen, volksnahen Höllenengel, den Gentleman-Rocker mit Ehrenkodex. Er spielt Golf im nahen Syke, hat ein höfliches Auftreten. Sein „West Side-Place“ stand für das Schützenfest am 29. Juni zur Verfügung und die Schützinnen und Schützen des Ortes nutzten es gerne, wie von den Rockern veröffentlichte Fotos bei Facebook belegen.
„Unpolitisch“ wie die rechte Hooliganszene
Die Nähe zwischen rechtsextremen Bremer Hooligans, Kampfsportlern und Hells Angels ist seit Jahren bekannt, dennoch konnte sich diese gefährliche Mischszene ungehindert auch über Teile Niedersachsens ausbreiten. Die Mitglieder sitzen in der Loge bei Werder Bremen oder im VIP-Bereich beim Oberliga-Verein Atlas Delmenhorst. Politischer Mittelpunkt scheinen die Brüder Henrik und Hannes Ostendorf. Sie organisierten ab 2014 die gewaltbereiten „Hooligans gegen Salafisten“-Aufmärsche u.a. in Köln mit. „Kategorie C“-Sänger Hannes Ostendorf hält ebenso Hof beim Box-Event in Dünsen wie bei Heimspielen von Atlas Delmenhorst. Nicht verwunderlich also, wenn ein Delmenhorster Hooligan bei den Hells Angels mitboxt und einer der Kreisliga-Trainer zuschaut.
Offiziell wollen die Rocker mit rechter Politik nichts zu tun haben. Wegen zahlreicher Vereins- und Kuttenverbote inszenieren sie sich bei Social Media als Opfer staatlicher Willkür, nutzen dabei gekonnt den Rechtsruck in der Gesellschaft. Ihrem Selbstverständnis zufolge sind sie unpolitisch – auch wenn große Teile ihrer Belegschaft aus der neonazistischen Kameradschaftsszene stammen. Ein Bremer Hells Angel gehörte zum Orga-Team der Corona-leugnenden Protestversuche an der Weser. Er trug den bei „Querdenkern“ beliebten Davidstern mit „Ungeimpft“-Schriftzug. Der Ruf als „Multikulti-Truppe“ soll kriminelle Gangs wie Hells Angels oder Bandidos erhaben über jeden Verdacht erscheinen lassen mit rassistischer Ideologie zu paktieren. Doch immer mehr Kuttenträger positionieren sich offen rechts. Seit über einem Jahrzehnt nehmen Clubs wie die Red Devils, Hells Angels oder Gremium Neonazis in ihren Reihen auf. Bereits im Zuge der Recherchen zu den Verbrechen des NSU sind Waffenschiebereien zwischen Neonazis und Rockern bekannt geworden.
In Rostock und Salzwedel schafften es ehemalige militante Neonazi-Anführer sogar an die Spitze regionaler Hells Angels-Charter. Viele MCs wie der Bandidos-Ableger „Vengator“ in Anklam oder „Gremium“ in Bremerhaven stellten ihre Clubhäuser bereits für Rechtsrock-Konzerte zur Verfügung. In Bremer Stadtteil Findorff feierten Rotlicht, Rocker und Neonazis 2014 gemeinsam die Hochzeit eines Bandmitglieds in einem Clubhaus. In Wilhelmshaven führte der Präsident eines Wilhelmshavener Gremium-Supporterclubs gar „Wilgida“ an, den dortigen Ableger von Pegida. 2016 versuchten Hells Angels um Michael Wellering und einen rechtsextremen Lokalpolitiker, die „Parzelle 1“ als Clubhaus der Gang in Bremen zu etablieren. Sie scheiterten jedoch am Protest in der Hansestadt.
Am Tag des ersten Wahlsiegs von Donald Trump stellte „Hells Angels Media“ einen Clip bei YouTube online, in dem deutsche Höllenengel auf die Unterstützung ihrer „Brüder“ für den US-amerikanischen Hassprediger und Milliardär hinwiesen. Die Bremer „Django“ und „Timo“ erklärten ihren Videozuschauern, der „Dirigismus“ der Obama-Regierung schreibe Menschen vor, wie sie zu leben haben, darauf hätten viele „keinen Bock“ mehr. Die Wahl in den USA würde Folgen haben – auch für Deutschland, lautete die Prophezeiung der Hells Angels.