„Heldengedenken“ im Thüringer Wald

Seit mehr als zehn Jahren wird die Ortschaft Friedrichroda im Landkreis Gotha jedes Jahr am Volkstrauertag zum Schauplatz des zentralen „Trauermarschs“ der Neonazi-Szene aus Thüringen.

Montag, 10. November 2014
Kai Budler

Die Kleinstadt Friedrichroda mit ihren 7500 Einwohnern im nordwestlichen Thüringer Wald ist einer von landesweit fünf staatlich anerkannten Luftkurorten, doch zum Volkstrauertag Mitte November zieht es keine Kurgäste in den Ort. Dort findet seit 2003 der zentrale Neonazi-Aufmarsch statt, mit dem die Täter des Zweiten Weltkrieges zu Helden stilisiert werden sollen. Ziel ist ein Gefallenendenkmal mit dem Spruch „Für Volk und Vaterland“, an dem Aktivisten aus NPD und Kameradschaftsszene ihr braunes Spektakel im Fackelschein zelebrieren und sich von den Rednern unter anderem ermahnen lassen: „Es ist an uns, Deutschland wieder freizumachen von diesem ehrlosen Lumpensystem“. Die Neonazis sprechen dabei vom „Heldengedenken“ und greifen damit explizit auf den Ausdruck der Nationalsozialisten zurück, die den Volkstrauertag 1934 in ein solches „Heldengedenken“ umbenannt hatten.

Der Aufmarsch war vom früheren Kopf des örtlichen „Skinheadclubs 88“, Mitglied des „Nationalen und sozialen Aktionsbündnisses Westthüringen“ (NSAW) und späteren NPD-Politiker Michael Burkert initiiert worden. Ab 2009 wurde er vom Vorsitzenden des NPD-Kreisverbandes Gotha, Sebastian Reiche, angemeldet, der ebenfalls im NSAW und dem „Thüringer Heimatschutz“ (THS) aktiv war. Nachdem Reiche und der Thüringer NPD-Landeschef Patrick Wieschke noch 2012 im Fackelschein am Denkmal anwesend waren, zog sich die NPD im vergangenen Jahr vom Aufmarsch zurück. Mit  rund 20 Teilnehmern wurde der zu einem Flop.

Alte Bekannte aus militanten Neonazi-Netzwerken

Um dies zu ändern, hat in diesem Jahr ein Aktionsbündnis „Thüringer Heldengedenken“ eine „Kampagne rund um das Heldengedenken in Friedrichroda“ ins Leben gerufen. Aus dem Landkreis Gotha mobilisiert besonders das „Bündnis Zukunft Landkreis Gotha“ (BZLG) zu dem Neonazi-Aufmarsch in Friedrichroda. Obwohl die Gruppierung erst jüngst initiiert worden war, verbergen sich hinter dem Namen doch alte Bekannte aus teils militanten Neonazi-Netzwerken. Dazu gehört beispielsweise Marco Zint, der noch im vergangenen Jahr mit dem landesweit aktiven Neonazi Michel Fischer in Friedrichroda vor dem Denkmal posiert hatte.

Zint ist bereits seit den 1990er Jahren in der braunen Szene aktiv und gehört zu der Thüringer Rechtsrock-Band „Sonderkommando Dirlewanger“ (SKD). Mit seinen Bandkollegen hatte er im Jahr 2011 eine Immobilie in Crawinkel im Landkreis Gotha erworben. Bei einer Hausdurchsuchung wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz waren dort Waffen und Munition gefunden worden. Thomas Wagner von SKD erwartet ein Gerichtverfahren, weil er als zentrale Figur beim Überfall auf eine Feier des örtlichen Kirmesverein in Ballstädt gilt, der SKD-Musiker Steffen Mäder sitzt in Österreich eine Haftstrafe unter anderem wegen Beteiligung an einem Brandanschlag und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ab.

Die NPD in Thüringen hat offenbar kein Problem mit Zints krimineller und militanter Vergangenheit und zeigte sich mit ihm während des Wahlkampfs vergnügt bei einer Kundgebung in Gotha. Weitere Mitglieder des BZLG versuchten, den diesjährigen Ostermarsch in Ohrdruf bei Gotha zu stören und die Teilnehmer zu provozieren. Im August dieses Jahres  besuchten sie einheitlich gekleidet mit schwarzen Kapuzenpullovern und dem BZLG-Aufdruck das von einem NPD-Funktionär initiierte Rechtsrock-Konzert „In.Bewegung“ in Sondershausen.

NPD-Politikerin Möller ruft zum Aufmarsch auf

Zint zeichnet auch für die Flugblätter verantwortlich, die im Vorfeld in Friedrichroda verteilt worden sind und eine deutliche Sprache sprechen. Darin ist die Rede vom „Opfergang des eigenen Volkes“, der im Vordergrund des Volkstrauertages stehen solle: „Landwehr, Freikorps, Reichswehr, Wehrmacht und wie sie alle heißen, haben ihr Leben dafür eingesetzt; und oft auch mit selbigem bezahlt, damit wir heute leben können; damit uns Zustände wie sie heute vorherrschen, erspart bleiben.“

Wegen der guten Vernetzung und persönlichen Kontakte ist zu befürchten, dass unter der Leitung von Zint und seinem BZLG ist die Teilnehmerzahl beim neonazistischen „Heldengedenken“ in diesem Jahr sprunghaft ansteigen wird. Für eine verstärkte Mobilisierung nach Friedrichroda hat das Neonazi-„Bündnis“ aus dem Kameradschaftsspektrum in diesem Jahr offenbar erneut die Zusammenarbeit mit der NPD aufgenommen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass in dem Mobilisierungsvideo auch die NPD-Landes- sowie Kommunalpolitikerin und Aktivistin des „Rings Nationaler Frauen“ (RNF), Monique Möller, zu Wort kommt und zum Aufmarsch am 16. November in Friedrichroda aufruft.

Nicht zuletzt im Landtagswahlkampf hatte sich gezeigt, dass die NPD in Thüringen auf die Unterstützung von Neonazis aus der teils militanten Kameradschaftsszene angewiesen ist. In dem Video betritt Möller den Weg jedoch in eine andere Richtung und ordnet sich in die Reihen des BZLG um Marco Zint ein. Eine Botschaft, die so gar nicht zum Image einer vermeintlich seriösen NPD-Politikerin und RNF-Vertreterin auf Länder- und Bundesebene passen will und damit den wahren Charakter der Partei und ihrer Frauenorganisation aufzeigt.

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