Hasserfüllte Schlägertruppe

Neonazi-Kameradschaft als „kriminelle Vereinigung eingestuft“ – Bewährungsstrafen für Mitglieder des „Freundeskreis’ Rade“.

Dienstag, 28. Januar 2014
Hendrik Puls

Erstmals wurde in Nordrhein-Westfalen eine Neonazi-Kameradschaft als „kriminelle Vereinigung“ eingestuft. Das Landgericht Köln sah es am Montag als erwiesen an, dass sechs Neonazis aus dem oberbergischen Radevormwald mit dem „Freundeskreis Rade“ eine „kriminelle Vereinigung“ gebildet hatten. Sie wurden deshalb und wegen weiterer Straftaten wie gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Sachbeschädigung zu Haftstrafen zwischen neun Monaten und zweieinhalb Jahren verurteilt. Alle Haftstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt, nur der einschlägig vorbelastete Rädelsführer Jonas R. muss, sollte das Urteil rechtskräftig werden, in Haft. Der 21-Jährige wurde zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Verfahren gegen einen minderjährigen Angeklagten war bereits im Laufe des Prozesses eingestellt worden.

Der „Freundeskreis Radevormwald“ gründete sich im Frühjahr 2011 und war bis April 2012 aktiv. Dann ging die Polizei in einer großen Razzia gegen die Neonazis vor, nahm drei Aktivisten vorübergehend in Untersuchungshaft. Nach Ansicht der Vorsitzenden Richterin Sybille Grassmann zeichnete sich die Gruppe durch eine „klare ideologische Ausrichtung mit NS-Bezügen“, „offene Rechtsfeindschaft“ und eine „eindeutige Zielsetzung“ aus, die sich gegen Andersdenkende, Linke und Menschen mit Migrationshintergrund richtete. Gewalttaten gegen diese Feindgruppen seien stets nach einem bestimmten Muster abgelaufen. Man habe eine Organisation gebildet, regelmäßige Treffen an konspirativen Orten durchgeführt, Mitglieder geworben und Aussteiger eingeschüchtert. Mit Flugblättern, Plakaten und einer eigenen Internetseite wandte sich die Gruppe an die Öffentlichkeit – nicht bloß, um für ihre Ziele zu werben, sondern auch um Andersdenkende einzuschüchtern. So wurden Plakate verklebt, die einen engagierten Schulleiter zeigten, vor dessen Gesicht ein Fadenkreuz abgebildet war. Man habe „gezielte Einschüchterung“ betrieben und zu Straftaten aufgerufen, so das Gericht.

„Klare ideologische Ausrichtung mit NS-Bezügen“

Auf Aufklebern hatte der „Freundeskreis“ behauptet, „Radevormwald ist unser Kiez“. Diesen Anspruch versuchte man immer wieder gewaltsam durchzusetzen. Zwölf Gewalttaten der Neonazis, begangen in Radevormwald, Wuppertal und Essen, wurden im Prozess verhandelt. Allerdings konnten viele wegen mangelnden Beweisen nicht vollständig aufgeklärt werden, sodass Angeklagte von einzelnen Anklagepunkten freigesprochen werden mussten. Deutlich wurde aber mit welcher Brutalität die Neonazis gegen Linke und Menschen mit Migrationshintergrund vorgingen. Dabei setzen sie Waffen wie Flaschen oder Schlagstöcke ein. So attackierten am 1. Mai 2011 sechs bis acht Neonazis einen einzelnen Jugendlichen. Der schon am Boden Liegende wurde weiter mit Tritten malträtiert, wodurch er Brüche im Gesicht erlitt und schwer verletzt ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Bei der rassistisch motivierten Tat riefen die Neonazis „Türken raus“ und „Sieg Heil“. Als Tatbeteiligter konnte allerdings nur ein 26-jähriger Angeklagter verurteilt werden. Auch ein Reizgasangriff auf einen Polizisten, der im Januar 2012 zwei rechte Sprayer festnehmen wollte, konnte nicht aufklärt werden, weil der Täter nicht zweifelsfrei identifiziert werden konnte. Es blieb lediglich eine Verurteilung wegen Sachbeschädigung für einen Angeklagten.

Das Verfahren sei teilweise ein „Puzzlespiel“ gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung. Man habe zwar rund 180 Zeuginnen und Zeugen gehört, doch nicht alle hätten sich gut erinnern können oder wollen. Einige wirkten eingeschüchtert. Sicher war sich das Gericht, dass keiner der Angeklagten als Mitläufer einzuschätzen sei. Alle Angeklagten seien in der rechten Szene verankert, hieß es in der Urteilsbegründung. Auch habe sich niemand von den Taten oder der neonazistischen Ideologie distanziert. Als Rädelsführer der Gruppe wurde der einschlägig vorbelastete Jonas R. verurteilt, dem das Gericht eine „hasserfüllte Einstellung“ attestierte. Der 21-Jährige erhielt mit einer Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren das höchste Strafmaß. Als einzige ist seine Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt. Neben der Mitgliedschaft in der „kriminellen Vereinigung“ wurde er wegen Volksverhetzung und gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Enge Kontakte zur Wuppertaler Neonazi-Szene

Jonas R. ist weiterhin in der Szene aktiv, wie das Gericht hervorhob. Dieser Befund trifft aber auch auf weitere Angeklagte zu. So trug R. am 21. September gemeinsam mit dem Angeklagten Sascha H. das Fronttransparent eines Neonazi-Aufmarsches in Wuppertal. Zur Szene in dem bergischen Nachbarort bestanden seit jeher enge Kontakte. Auch in Radevormwald sind trotz des Prozesses die Neonazi-Aktivitäten nicht vollständig zum Erliegen gekommen. So verteilten die ebenfalls aus dem Oberbergischen Kreis stammenden „Freie Kräfte Oberberg“ mehrfach Flugblätter in der Stadt, in denen sie sich mit dem „Freundeskreis Rade“ solidarisierten. Derweil formierten sich die Wuppertaler Neonazis in einem Kreisverband von „Die Rechte“. Dass die Angeklagten weiterhin Kontakte in die Szene halten, zeigte sich auch am letzten Prozesstag, der von einigen Neonazis aus Wuppertal und Essen besucht wurde.

Mit einer eher milden Strafe kam der ehemalige Vorsitzende der Radevormwalder Stadtratsfraktion der rechtspopulistischen Partei „pro NRW“ davon. Nach Ansicht des Gerichts konnte Tobias R., er ist der ältere Bruder des Rädelsführers, eine Mitgliedschaft oder Unterstützung der „kriminellen Vereinigung“ nicht nachgewiesen werden. Tobias R. wurde wegen einer versuchten Körperverletzung und einer Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 25 Euro verurteilt. Er habe nach Ansicht des Gerichts durch seine Tätigkeit bei der rechtspopulistischen Partei „eher den legalen Weg bestritten“. Dass zwischen „pro NRW“ in Radevormwald und den Neonazi-Aktivisten weitere Verbindungen bestanden, fand in der Urteilsbegründung keine Berücksichtigung. So saßen zwei Angeklagte als sachkundige Bürger für „pro NRW“ in Ausschüssen des Stadtrats. Sie blieben in dieser Funktion bis zu den Polizeirazzien im April 2012.  Einige der Angeklagten, die sich teilweise seit Kindertagen kennen, hatten sich noch vor einigen Jahren im Zusammenhang mit der „pro NRW Jugend Bergisches Land“ betätigt. Auch an dem von „pro NRW“ organisierten „Marsch für Freiheit“ im Mai 2011 nahm eine Abordnung des „Freundeskreis’ Rade“ teil.

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