Questenberg
Harmonisch mit Neonazis
Das Brauchtumsfest am Questenberg in Sachsen-Anhalt lockt zu Pfingsten Rechtsextreme aller Couleur an. Die Ortsbevölkerung lässt sie gewähren.

Sie war „mal eine Legislaturperiode“ lang Bürgermeisterin von Questenberg, nun ist sie nur noch Wirtin. Liane Gast betreibt in dem heidnischen Wallfahrtsort im Mansfelder Land das Restaurant „Zur Queste“ mit keltischer Küche. Wenn zu Pfingsten ein neuer Questenbaum errichtet wird, dann wird im Gasthaus „Zur Queste“ feste gefeiert. Die Traditionsvereine des Ortes zelebrieren eine mehrtägige Brauchtumsfeier, die von der Gemeinde Südharz mitbeworben wird und die auf viel Anklang in der Neonazi-Szene stößt. Obgleich der Festplatz als offizieller Veranstaltungsort gilt, ist das heimliche Zentrum der heidnischen Festivitäten die Schänke von Liane Gast.
Bereits 1995 gab es Warnungen, das „Questenfest“ sei „auf dem besten Wege zum Treffpunkt von Neonazis zu werden“. Damals kamen erste Stoßtrupps aus Quedlinburg und Süddeutschland. „Alles Quatsch“, wischte der damalige Vorsitzende des Festkomitees Edgar Eimecke die Frage nach den „Deutsch-Nationalen“ gegenüber der Berliner Zeitung vom Tisch. Für Eimecke, inzwischen verstorbener Vorsitzender des Festkomitees, waren die Jugendlichen „ganz normal, bloß eben ein bisschen komisch angezogen“. Als nach dem Mauerfall der ehemalige NSDAP-Funktionär Werner Haverbeck, Ehemann der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck auftauchte, um das Fest als eines der letzten Beispiele germanischen Brauchtums zu loben, wurde der anthroposophisch geprägte NS-ler in den Verbund der Questenfreunde aufgenommen. Das Verlesen der Grußbotschaft „des Herrn Professor“ soll laut Berliner Zeitung über Jahre zum Ritual geworden sein.
Illustre Runde
Pfingsten 2023 feierten am Sonntagabend völkische Rechtsextreme, Neonazis des Dritten Weg und viele andere gemeinsam mit Holocaustleugner Nikolai Nerling bei Liane Gast im Innenhof. „Im Reigenschritt nach Questenberg“ lautete die im Netz verbreitete Einladung der NPD-nahen „Liedertafel Dresden“ um ihren Musiker „Andi Hoffnung“. Der Sachse liebt Volksmusik und Volkstanz, postet aber auch Videos von einer Waffenübung mit Kindern im Netz. „Ich spiele wieder auf in der Questenschänke“, vorher sollte im Freien im Wald getanzt werden. Liane Gast betont, es sei „keine geplante Veranstaltung“ gewesen, Leute aus Dresden waren da und hätten musiziert. In den engen Straßen von Questenberg waren Liedtexte wie „Es fiel, es fiel das Gotenreich, doch einmal kommen wir wieder“ oder „Wir leiden zwar, aber wie knien nicht“ zu hören.
Ja, sie kenne auch Nikolai Nerling, bestätigt Liane Gast und betont, die offizielle Feier zum „Questenfest“ am Pfingstsonntag habe der Questenverein auf dem Festplatz mit viel lautem Rave organisiert. Aber wer nicht zu dieser „Disko“ wolle, sei eben zu ihr gekommen. Ja, Nerling eben auch, sagt die ehemalige Bürgermeisterin des Dorfes mit etwa 270 Einwohnern. „Durch diese Trennung, dass die sich bei mir aufhalten, gibt es keine Eskalation, sagen wir mal“, überlegt sich Liane Gast während des Telefonats zu sagen. Von Eskalation scheint das Geschehen ohnehin weit entfernt. Questenberg im Südharz ist stolz darauf, eine uralte Tradition bewahrt zu haben – und die teilt sie de facto seit Jahrzehnten gerne auch mit Neonazis.
Sonnenverehrung
Die Errichtung des riesigen Kranzes auf dem Bergplateau oberhalb der Ortschaft ist ein altes Ritual der Sonnenverehrung. Questenberg soll der einzige bundesdeutsche Ort sein, in dem die keltische Tradition dieses germanischen Keltenkreuzes überlebt hat. Jedes Jahr zu Pfingsten quartieren sich Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet ein, sie campen im Wald oder zwischen den Häusern, viele schlafen die wenigen Stunden in ihren Autos. Nerlings Camper mit Minirad parkt direkt vor dem Büro eines der Traditionsvereine. Er wird dann Montag weiterfahren, um das Gedenken an einen der schlimmsten rassistischen Brandanschläge in Solingen mit einer Hass-Rede zu stören.
Die letzten haben Disko- und Brauchtumsfeiern gerade verlassen, da ertönt am Pfingstmontag in der Frühe um 3.30 Uhr am hölzernen Roland der Weckruf. Der Höhepunkt der Brauchtumsfeierlichkeiten beginnt. Ein Kyffhäuserland-Orchester spielt mit Blasmusik auf. Dann beginnt der Aufstieg. Der hölzerne Questenbaum auf dem Bergplateau wird vom Festumzug umstellt und Männer klettern an dem mehrere Meter hohen, steilen Stamm empor um das geflochtene Rad mit dem vier Meter breiten Kreuz herunterzulassen. Diese „Queste“ wird verbrannt und am frühen Nachmittag mit einen erneuten Umzug durch eine Neue ersetzt. So will es alljährlich der veranstaltende Questenverein „Questenberg“. Die Zeremonie symbolisiere „den Sieg der Sonne über die Mächte der Dunkelheit“, schrieb die NPD Göttingen auf ihrer Webseite. Im Dritten Reich sei dann bei Sonnenaufgang nach dem Choral das Horst-Wessel-Lied angestimmt worden, heißt es.
Szene-Aktivisten
2023 in der Frühe mit dabei sind der Thüringer Ralf-Dieter Gabel sowie Kameraden und Kameradinnen. Gabel war bei der militanten „Europäischen Aktion“ aktiv, dann bei der „Neuen Stärke“, er zeigt einer Gruppe die markante Karstlandschaft. Unten im Tal führt Axel Schlimper seinen Schäferhund aus. Der Liedermacher gehört zu den völkischen Siedlern von Haselbach in Thüringen und war einer der Köpfe der „Europäischen Aktion“, die Kontakte zu Waffenhändlern in Österreich unterhielt. Auch Aktivisten der völkisch-militanten Kleinstpartei Der Dritte Weg sind nach Questenberg gereist um gemeinsam zu feiern. Holger S., Anhänger der 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) schaut in warmer Kluftjacke den Berg hinunter, er kommt häufiger her.
Während der Questenverein mit dem Kranz wieder hinunter zieht, johlt eine Gruppe volkstümlich gekleiderter Bärtiger oben weiter beim bayerischen Bier. Man singt und tanzt zur Gitarre. Mit dabei ist Wenzel Braunfels, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Religionsphilophie der Universität München. Braunfels ist Autor der rechtsbündischen Zeitschrift „Blaue Narzisse“ und hat dort einen in rechten Kreisen vieldiskutierten Artikel über die Revolution geschrieben. In diesem Jahr hielt er einen Vortrag bei der Ernst und Friedrich Georg Jünger-Gesellschaft. Hier aber unterhält sich Braunfels im Metal-Outfit amüsiert mit einem jungen Kameradschafter im Shirt der „Division Neustadt bei Coburg“ mit Reichsfarben. Auf seinem Facebook-Account „Wenzel Von Hildebrandt“ postet Braunfels wenig später den Questenbaum.
Mitglieder der „Jungen Alternative“ vor Ort
Bereits am Abend zuvor hatten sich JA-AnhängerInnen aus Sachsen-Anhalt um Florian Ruß gemeinsam mit dem Magdeburger AfD-Lokalpolitiker und JA-Landesvorsitzenden Christian Mertens an der „Queste“ abgelichtet. In einheitlichen Pullovern der „JA“ kletterten sie herum, machten Selfies. Gut drauf sind in den frühen Morgenstunden auch die einschlägigen Gäste in der Schänke „Zur Queste“. Der gewaltbereite Neonazi Sven Liebich aus Halle hat sich in eine wärmende Decke gehüllt, er feiert mit Freunden. Der ehemalige Bremer Kameradschaftsaktivist Andreas Hackmann hat im Auto übernachtet. von der „Schlesischen Jugend“ sitzt im Innenhof unter einem Sonnenschirm. Immer wieder umarmen Thiemo W. sich Männer freundschaftlich. Wirtin und Kellnerin haben alle Hände voll zu tun. W. hat bereits 2008 für „Junges Schlesien“ über die Feierlichkeit berichtet: „Auch im nächsten Jahr wird die Schlesische Jugend wieder beim Questenfest dabei sein, um die Tradition zu wahren, erneut Freunde zu treffen und um das Naturschauspiel in den frühen Morgenstunden zu erleben.“
2002 gab es eine Wanderung des Nationalen Beobachters Halle zum Questenfest. 2006 fand ein „nationales Pfingstlager“ in der Nähe statt. 2008 gab es im August ein Konzert im per Nutzungserklärung überlassenen Dorfgemeinschaftshaus mit 60 Teilnehmern aus der rechten Szene. 2013 und 2014 beteiligten sich rechtsextreme Identitäre am Questenfest. 2018 besuchte der extrem rechte US-Amerikaner Jack Donovan das Fest im Mai. Im selben Jahr zelebrierte auch die mystisch-okkulte Lyrikergruppe um Uwe Nolte und Baal Müller ein nationalistisches Happening auf der Bergspitze.
Keine Abgrenzung nach rechtsaußen
Liane Gast hat es 2023 nach eigenen Bekunden nicht geschafft, gegen 4 Uhr nachts an dem Ritual hoch oben teilzunehmen, denn um 6 Uhr hatte sich einer der Heimatvereine der Karstlandschaft Südharz bei ihr zum Frühstück angemeldet. Beim Frühschoppen im Lokal wird deutlich, dass es keine Abgrenzung der Bevölkerung zur rechtsextremen Szene gibt. Da ist der Tierpräparator aus dem Harz und ein Mitglied vom „Bündnis Grundeinkommen“, der in Magdeburg zwei Mini-Kundgebungen zum Thema „Umvolkung stoppen“ abgehalten hat. Da sind die Freunde von Sven Liebich, die den vorbeimarschierenden Traditionsvereinen aus Questenberg kurz nach 6 Uhr vor der Hofeinfahrt des Lokals begeistert zuwinken und da sind die Leute aus dem Ort, die anscheinend sogar mit gewaltbereiten Neonazis keine Probleme haben. Bei ihrem Fest sind alle friedlich und feiern gemeinsam. In der rechtsbündischen Zeitung „Leiermann“, Ausgabe 36, hatte Autor „Mark“ bereits vor Jahren geschrieben, dass „Jens“ ihnen ein Lokal im Ort reserviert habe und „das beste daran ist, wir dürfen alle im Schankraum übernachten. So nimmt der Abend einen sehr geselligen Verlauf bei keltisch inspirierten Speisen und regionalem Bier.“
Einer konnte 2023 wohl nicht dabei sein, Jens Lange, ehemaliger Kandidat der AfD in Sachsen-Anhalt zur Bundestagswahl 2017. „Jens ist gerade Vater geworden, der hat andere Probleme“, erklärt die Wirtin. Lange wohnt mitten im Ort. Als Autor nennt er sich Johann Felix Baldig, schreibt für „Tumult“ oder das „Compact-Magazin“. Zudem betreibt er eine Filmgesellschaft und in einem Schaukasten ist ein Prospekt der „Neuen Hege Harz“ zu sehen. Lange interviewt dafür Gäste wie Andreas Kalbitz vom ehemaligen völkischen Flügel der AfD. 15 Prozent der Stimmen erhielt er 2019 zu seiner Wahl in den Ortschaftsrat Questenberg. Mindestens bis 2021 fungierte Lange laut Medienberichten als Leiter des Wahlkreisbüros von Björn Höcke in Heiligenstadt. Auch Höckes Töchter beteiligten sich 2022 an den Questenfeierlichkeiten. Beide leben unweit im benachbarten Thüringen. Auf den Fotos von „Objektiv Ost“ sind sie gemeinsam mit einem ehemaligen Beisitzer im Landesvorstand der JA Niedersachsen zu sehen, der auch das Schild & Schwert-Festival von Thorsten Heise besucht hatte. Auf den Fotos von 2022 sind auch Wenzel Braunfels und Holger Steinbiss zu sehen. Wer einmal beim harmonischen Questenfest war, scheint immer wieder zu kehren. Questenberg heißt alle willkommen.