Mutmaßlich rassistischer Mordversuch

Hamburger Ku-Klux-Klan-Fan schoss auf seine Nachbarin

Der Hamburger Ulf M. soll versucht haben, seine muslimische Nachbarin zu ermorden. Beim Prozessauftakt vor dem Landgericht der Hansestadt räumt der 49-Jährige einen Schuss durch die geschlossene Wohnungstür ein. Eine rassistische Motivation bestreitet er jedoch. Er habe sich nur gegen Lärm wehren wollen. Doch daran gibt es Zweifel – nicht nur wegen der rechten Propagandamaterialien, die der Angeklagte hortete.

Mittwoch, 22. November 2023
Joachim F. Tornau
Der Angeklagte Ulf M. vor dem Landgericht Hamburg, Foto: picture alliance/dpa/dpa Pool | Daniel Bockwoldt
Der Angeklagte Ulf M. vor dem Landgericht Hamburg, Foto: picture alliance/dpa/dpa Pool | Daniel Bockwoldt

Eigentlich fehlt nur noch, dass Ulf M. sich einen „besorgten Bürger“ nennt. „Ich wollte, dass man mich mal ernst nimmt“, sagt der 49-Jährige. „Dass man mir mal zuhört.“ Der Mann aus dem Hamburger Stadtteil Niendorf hat am Pfingstsamstag dieses Jahres einen Schuss durch die Wohnungstür seiner schwangeren Nachbarin gejagt, abends, mit einem Repetiergewehr der Marke Winchester. „Wie im Western“, so sagt er selbst. Das Projektil durchschlug die Tür und eine Kommode und blieb erst in der Wand stecken. Die Staatsanwaltschaft glaubt: Ulf M. sei davon ausgegangen, dass sich die junge Frau, eine 25-Jährige mit pakistanischem Migrationshintergrund, und ihre Schwiegermutter im Hausflur aufhielten. Denn er habe sie töten wollen, aufgrund seiner „ausgeprägten rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Gesinnung“.

Am Dienstag begann der Prozess vor der Schwurgerichtskammer des Hamburger Landgerichts. Auf versuchten heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen lautet die Anklage. Ulf M. hatte über seinem Sofa eine große Flagge mit der Parole „Refugees not welcome“ hängen. Die Polizei fand bei ihm neben dem Gewehr auch noch eine Schrotflinte, Schlagringe, Schlagstöcke, dazu Hitler-Bilder und Propagandamaterial von NPD und Ku-Klux-Klan. Beim Prozessauftakt aber bestreitet der Angeklagte jede Tötungsabsicht. Nicht einmal ein Rechter möchte er sein. Früher schon, da habe man ihn Neonazi nennen dürfen. Doch das sei lange Vergangenheit.

„Skinhead durch und durch“

Am Tattag habe er, wie so oft in jener Zeit, als er nach einem Schlaganfall arbeitsunfähig geworden war, reichlich Alkohol getrunken, sagt Ulf M. „In meinem betrunkenen Kopf hatte ich dann nur den Plan gefasst, ihnen einen Schreck einzujagen, damit sie sich an die Regeln halten.“ Die Regeln, das bedeutet für ihn: keinen Lärm zu machen, keinen Besuch zu haben, nichts zu tun, was ihn oder seine offenbar besonders geräuschempfindliche Freundin stören könnte. Die war allerdings bereits ausgezogen, in die Psychiatrie. Und Geräusche, räumt Ulf M. ein, gab es an diesem Abend auch keine. Alles still.

Eine Kurzschlussreaktion also ohne Anlass? „Das erschließt sich mir nicht so recht“, sagt die Strafkammervorsitzende Jessica Koerner. Aber der Angeklagte beharrt darauf: „So ist es gewesen.“ Der Mann, der sich als „Skinhead durch und durch“ bezeichnet, will nur zur Waffe gegriffen haben, weil er sich anders nicht mehr zu helfen gewusst habe. Weil er sich in seinem Kampf gegen den angeblichen Dauerlärm alleingelassen gefühlt habe – von der Hausverwaltung, von der Polizei, die er mehrfach seiner Nachbarin auf den Hals schickte, von den anderen Nachbar*innen, die alle keinen Grund zur Beschwerde gesehen hätten.

Terror für Betroffene

Vielleicht weil es den Krach gar nicht gab? So jedenfalls erzählt es die Frau, die Ulf M. zu ermorden versucht haben soll. Schon beim Einzug sei sie gewarnt worden, dass ihre Vormieter, eine Gruppe junger Geflüchteter, den Unmut der Nachbarschaft auf sich gezogen hätten, weil sie zu laut gewesen seien. Und dass Ulf M. sich besonders häufig beschwere. „Ich habe mich deshalb extra informiert, wie lange ein Staubsauger oder eine Waschmaschine laufen darf“, sagt die medizinische Fachangestellte. Partys oder laute Musik? Nächtliches Heimwerken? Niemals. Und im Fastenmonat Ramadan, wenn erst nach Einbruch der Dunkelheit gegessen werden darf, habe sie sich nicht einmal getraut, das Essen in der Mikrowelle aufzuwärmen. „Wegen der Geräusche.“

Für die junge Frau war es „Terror“, was der Angeklagte machte. Grundlos habe er die Polizei gerufen, ihr immer wieder die Hausordnung in den Briefkasten gesteckt und einmal sogar einen Zettel an die Haustür gehängt, auf dem er sie als „asozial“ beschimpft habe: „Ich muss den ganzen Tag knechten, um Leute wie euch zu finanzieren“, stand da.

Bei Festnahme: Bereut, niemanden getötet zu haben

Ulf M. räumt ein, dass er den Zettel geschrieben hat. Und er muss noch mehr einräumen. Dass er bis zuletzt rassistische Handy-Videos gedreht und in eine Chatgruppe gestellt hat. Dass er sich in Whatsapp-Nachrichten an seine Freunde darüber ausbreitete, wie er mit dem Gewehr zu seiner Nachbarin gehen würde. Dass er bei seiner Festnahme lauthals etwas ganz anderes verkündet hatte als nun vor Gericht: Er bereue, niemanden getötet zu haben. Er werde es wieder versuchen. Er werde zum Massenmörder werden.

Alles bloß ein Schrei nach Aufmerksamkeit, behauptet der Angeklagte. Seit der Tat sitzt er in Untersuchungshaft. Er schäme sich für das, was er getan habe, beteuert er. Sein Ziel aber hat er erreicht: Die Nachbarin ist nach jenem Abend nur noch einmal in die Wohnung zurückgekehrt, um ihre Sachen zu packen. Sie lebt jetzt wieder bei ihrer Mutter, bis heute braucht sie therapeutische Behandlung.

Für den Prozess sind bislang noch acht weitere Verhandlungstage bis Ende Januar angesetzt.

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