Haifischbecken AfD

Sieben Wochen vor dem entscheidenden Bundesparteitag rumort es innerhalb  der „Alternative für Deutschland“ gewaltig – hinter verschlossenen Türen wird hemmungslos intrigiert, teilweise regiert der blanke Hass auf den parteiinternen Gegner.

Montag, 27. April 2015
Rainer Roeser

AfD-Sprecher Bernd Lucke ist alarmiert: „Die AfD ist im Begriff, ihre politische Spannbreite zu überdehnen“, warnt er. Es klingt, wie häufig bei ihm, etwas distinguiert. Er meint: Es brennt im Hause AfD. Lucke beteuert: „Solange ich an Bord bin, wird nicht gedriftet. Nicht nach rechts und schon gar nicht nach ganz rechts.“ Die, die derart driften wollen, beeindruckt das freilich nur noch wenig. Wenn es denn sein muss, ist für sie auch eine AfD ohne Lucke denkbar.

Szenen aus dem Innenleben der „Alternative für Deutschland“ aus der vergangenen Woche, sieben Wochen vor ihrem Bundesparteitag:

Bottrop am vorigen Samstag: Eigentlich soll dort der nordrhein-westfälische Landesparteitag stattfinden. Doch einer der stellvertretenden Vorsitzenden hat mit Erfolg beim Schiedsgericht die Einladung angefochten. Statt die Delegierten für den Bundesparteitag im Juni zu wählen, trifft man sich nun zu einer „Informationsveranstaltung“. Es geht um die persönlichen Kalamitäten des NRW-Vorsitzenden Marcus Pretzell: um seine Probleme mit dem Finanzamt und um die Frage, ob er überhaupt der regulär gewählte Landeschef ist. Was auf den ersten Blick wie ein reichlich kleinteiliger Streit über Meldeamtsbescheinigungen und Kontosperrungen wirkt, hat eine politische Dimension. Martin Renner, rechter Flügelmann der AfD in NRW und einer ihrer Mitbegründer, erinnert daran. Die „Causa Pretzell“, wie die Angelegenheit parteiintern genannt wird, sei nur ein „Stellvertreterkrieg“ sagt er. Renner sieht Lucke & Co. auf Abwegen: „Die programmatische Breite soll eingeschränkt werden.“

Petry und Pretzell als Doppelpack

Vor eineinhalb Jahren ist Renner mit Schimpf und Schande aus dem Landesvorstand abgewählt worden. Jetzt ist er wieder da. Seine Anhänger springen begeistert auf und applaudieren ihm. Auch ansonsten sind die Sympathien im Saal klar verteilt. Pretzells Vize Hermann Behrendt, der den Ankläger gibt und seinem Kontrahenten vorwirft, den Landesvorstand über Monate belogen zu haben, erntet Buh-Rufe und mehr als einmal die Aufforderung, nun aber umgehend selbst zurückzutreten. Pretzell hat ein Heimspiel. Die aus Sachsen zur Unterstützung angereiste Bundessprecherin Frauke Petry muss für ihren Bündnispartner im parteiinternen Ringen um die Macht nicht einmal in die Bütt steigen.

Dresden am Freitag: 80 Euro muss auf den Tisch blättern, wer mit der AfD tafeln und einem prominenten Referenten lauschen will: Thilo Sarrazin zu Gast beim Mittelstandsforum der Partei. Vor Sarrazin und dem Drei-Gänge-Menü im historischen Ballsaal des „Quality Hotel Plaza“ gibt es Grußworte. Petry grüßt, und auch Pretzell. Beide sind dieser Tage sehr häufig im Doppelpack zu erleben. Pretzell weilt häufig in Sachsen, Petry tritt umgekehrt auch bei banalsten Terminen in NRW auf.

Die Achse Sachsen-NRW dürfte Lucke mit Sorge betrachten. Petry bringt das Image mit, dass sie kann, was Lucke nicht beherrscht oder nicht beherrschen will: integrierend zu wirken, die Partei beisammen zu halten – und sie dabei nach rechts zu verschieben. Pretzell kann mit der puren Zahl wuchern. 4500 Mitglieder zählt die AfD im einwohnerstärksten Bundesland. Ein Fünftel der Delegierten werden die Nordrhein-Westfalen beim nächsten Parteitag stellen – falls es noch gelingt, rechtzeitig Delegierte zu wählen.

Brüssel am Donnerstag: Frühmorgens schreibt Hans-Olaf Henkel eine Mail an die anderen EU-Abgeordneten der AfD. Er wirft Pretzell vor, eine interne Äußerung von ihm, Henkel selbst, umgehend an einen Journalisten weitergereicht zu haben. Es geht um eine Petitesse, doch die beiden Kontrahenten verbindet eine innige Intimfeindschaft. Und so wird Henkel grundsätzlich: „Wir müssen jetzt immer damit rechnen, dass alles, was in der deutschen Delegation auf vertraulicher Basis besprochen wird, von Herrn Pretzell an die Presse oder sonst wohin weitergeleitet wird.“ Er beantrage daher, Pretzell aus der deutschen Delegation auszuschließen.

Henkel mehr oder weniger ein Fremdkörper

Ein paar Stunden später folgt der Paukenschlag. Henkel wirft als stellvertretender AfD-Sprecher hin. Er begründet seine Entscheidung zunächst damit, „dass einige Mitglieder des Bundesvorstandes den von der eigenen Partei proklamierten ,Mut zur Wahrheit' bei der Aufklärung der Vorwürfe gegen Pretzell nicht aufgebracht hätten“. Gemeint sind die Steuer-Vorwürfe gegen seinen Abgeordnetenkollegen, nicht dessen Indiskretionen. Henkel moniert offenbar mit Blick auf Petry, „eine Vorstandskollegin hätte mehrfach in auffälliger Weise zugunsten der betroffenen Person interveniert“, und stellt fest: „Hätte ein Politiker einer anderen Partei die Öffentlichkeit so oft mit Falschaussagen in die Irre geführt, wie hier der Fall, hätte nicht nur jeder von uns den sofortigen Rückzug dieses Politikers gefordert. Er wäre längst zurückgetreten.“ 

Später wird er weitere Gründe für seinen Rückzug nennen: die erstarkende Parteirechte und – ein beliebtes Motiv in der sich häufig verfolgt wähnenden AfD – die Presse. Die Medien hätten damit begonnen, „das Mantra von der rechtspopulistischen Partei zu wiederholen“. Henkel im Interview mit der FAZ: „Meiner Beobachtung nach haben erst danach Rechtspopulisten gesagt: Oh, da gibt es eine neue Partei für uns, da treten wir ein.“ Es klingt wie eine (Selbst-)Täuschung. Als Henkel, der „Spätberufene“, zum Jahreswechsel 2013/2014 Mitglied wurde, waren die Gaulands, Adams, Petrys, Pretzells längst dabei – Fleisch vom Fleische der AfD, während Henkel mehr oder weniger ein Fremdkörper in der Partei war und blieb, den am Ende nicht einmal sein Berliner Landesverband zum Parteitagsdelegierten wählen mochte.

Erfurt am Mittwoch: Thüringens Landtag hat einen neuen NSU-Untersuchungsausschuss gebildet. Für die AfD soll ihr Landessprecher und Fraktionsvorsitzender Björn Höcke dem Gremium angehören. Das gefällt vielen nicht. Die Linken-Abgeordnete Katharina König sagt: „Ich befürchte, dass über Höcke Informationen aus den Akten des Ausschusses in die Thüringer Neonazi-Szene gelangen könnten.“ Das klingt hart. Hat aber einen Hintergrund. Gesichert ist, dass Höcke und der Neonazi und NPD-Funktionär Thorsten Heise miteinander bekannt sind. Der eine wohnt im Eichsfeld-Dorf Bornhagen, der andere zwei Nester weiter im sechs Kilometer entfernten Fretterode. Die Frage ist, ob es tatsächlich nur die gemeinsame Schule der Höcke- und der Heise-Kinder ist, die die beiden verbindet.

„Diese Frau ist der Schandfleck der AfD“

Die Spekulationen reichen weiter. Der Soziologe und AfD-Kenner Andreas Kemper entdeckte erstaunliche Parallelitäten zwischen Äußerungen Höckes und Formulierungen eines Autors, die vor Höckes Engagement in der AfD unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ in einem Blättchen der NPD im Eichsfeldkreis zu finden waren. Auch in der von Heise verbreiteten Neonazi-Schrift „Volk in Bewegung“ soll jener „Landolf Ladig“ publiziert haben. Der AfD-Bundesvorstand will nun offenbar Klarheit: Höcke soll eidesstattlich versichern, dass er „zu keinem Zeitpunkt unter dem Pseudonym Landolf Ladig Texte geschrieben, an Texten, die unter diesem Pseudonym veröffentlicht wurden, mitgearbeitet und/oder in irgendeiner Form wissentlich verbreitet oder an der Verbreitung mitgewirkt“ hat. Höcke sperrt sich. Zwar erklärte er einem Bericht der „Thüringer Allgemeinen“ zufolge: „Ich habe niemals Artikel in NPD-Postillen verfasst, auch nicht unter einem Pseudonym.“ Die vom Bundesvorstand geforderte eidesstattliche Versicherung werde er aber nicht unterschreiben.

Frankfurt am Dienstag: Ein ehemaliger AfD-Funktionär aus Frankfurt veröffentlicht eine Liste, die am Wochenende zuvor beim hessischen Landesparteitag kursiert sein soll. Sie enthält detaillierte Empfehlungen, wer als Delegierter zum Bundesparteitag gewählt werden sollte – auf dass der rechte Flügel dort dominiere. Besonders markiert sind auf jener Liste auch einige, bei denen es nach Ansicht der Autoren offenbar nicht ausreichend mit politisch „rechten Dingen“ zugeht, darunter die Vorsitzende des Landesschiedsgerichts der Partei (LSG), eine Rechtsanwältin. Der Frankfurter Ex-AfDler zitiert aus einer Facebook-Gruppe rechter AfDler. Das Zitat vermittelt einen Eindruck, welcher Umgangston in Teilen der Partei herrscht. „Diese Frau ist der Schandfleck der AfD“, heißt es. Und: „Es gilt dafür zu sorgen, dass sie bei der nächsten LSG-Wahl mit Schimpf und Schande durchfällt. Wenn sie nicht heulend von der Bühne läuft, überall in der Zeitung als vertrauensunwürdige Rechtsverdreherin dargestellt wird und aus der Partei austritt, haben wir unseren Job nicht gemacht.“

Hinter verschlossenen Türen und abseits offizieller Verlautbarungen regiert in Teilen der Partei der blanke Hass, bis hin zum Wunsch, den Gegner in den angeblich eigenen Reihen fertigzumachen, persönlich zu vernichten. Intrigiert wird, was das Zeug hält. Beide Seiten schenken sich dabei nichts: Während bei der Parteirechten Pegida-Stimmung herrscht, fehlt bei denen, die auf Lucke schwören, zwar der radikale Jargon – viel seriöser wirken sie aber auch nicht. Die AfD knapp sieben Wochen vor ihrem entscheidenden Parteitag: Ein Haifischbecken ist ein Delfinarium dagegen.
 

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