Sachsenhausen
Haft für KZ-Wärter: „Am Rande der Mittäterschaft“
Das Landgericht Neuruppin hat einen Wachmann des Konzentrationslager Sachsenhausen wegen Beihilfe zum Mord zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht rückte den SS-Mann in die Nähe zur Mittäterschaft.

Die Beweislage war erdrückend und trotzdem stritt der Angeklagte seine Verantwortung ab. Doch auch wenn Josef S. bis zum Schluss in dem Prozess leugnete, ab 1941 als SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen tätig gewesen zu sein, fand ihn das Schwurgericht nun der Beihilfe zum Mord für schuldig. Mit seiner Tätigkeit als Aufseher habe der inzwischen 101-jährige S. das Morden im Lager unterstützt, sagte der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann in der Urteilsbegründung am Dienstag.
Josef S. war 1941 der Waffen-SS beigetreten und hatte sich dadurch womöglich einen Vorteil für eine Einbürgerung erhofft. S. stammt aus Litauen, galt jedoch als sogenannter Volksdeutscher. Als solcher begann er laut Urteil mit hunderten weiteren „Volksdeutschen“ im Oktober 1941 seinen Dienst bei der Waffen-SS. Ab 1942 wurde er in den regulären Wachdienst des KZ Sachsenhausen eingestellt.
„Terror und Massenmord gefördert“
Etwa drei Jahre war er Wachmann in Sachsenhausen. Dabei habe er „Terror und Massenmord gefördert“, sagte Richter Lechtermann in der Urteilsbegründung. Mit seiner Wachtätigkeit habe S. das Grauen „bereitwillig gefördert“. S. stieg auf bis in den Rang eines SS-Rottenführers, der höchsten Dienstgrad innerhalb der Mannschaftsränge.
Verurteilt wurde der Angeklagte wegen Beihilfe zum Mord in 3.500 rechtlich zusammenhängenden Fällen und Beihilfe zum versuchten Mord in weiteren Fällen. Denn: Ohne die Tätigkeit der Wachleute hätte das Morden im Lager nicht funktioniert. Der Angeklagte sorgte für einen „reibungslosen Ablauf der Tötungsmaschinerie“, stellte der Vorsitzende Richter fest.
Nähe der Mittäterschaft
Und noch mehr: In der Urteilsbegründung rückt der Vorsitzende Richter den Angeklagten in die Nähe der Mittäterschaft: Die Schwurgerichtskammer sei überzeugt, dass S. zu einer „Kerntruppe“ um seinen Kompaniechef gehörte. Auch der Angeklagte sei das „Rückgrat des Wachpersonals“ gewesen. Es sei „nicht einmal fernliegend“, dass S. selbst Haupttäter sei. Doch ob er die „Grenze zur Täterschaft“ überschritten habe, konnte nicht geklärt werden, so der Richter. „Die Wahrheit, Herr S., kennen Sie allein.“ Doch auch die Beihilfe „bewegt sich am Rande der Mittäterschaft“, stellte das Gericht fest.
Schon als S. seinen Dienst antrat, wurde in Sachsenhausen systematisch gemordet. In der „Station Z“ gab es eine Erschießungsanlage und eine Gaskammer.
3.500 Morde
Für den Tatzeitraum von Januar 1942 bis Februar 1945 - mit einer kurzen Unterbrechung - konnten 3.500 Morde zugeordnet werden. Im KZ Sachsenhausen wurden in dem Zeitraum mindestens 400 Menschen in der Gaskammer ermordet. 200 weitere wurden mithilfe einer Genickschussanlage umgebracht. Weitere 2900 starben unter anderem durch lebensfeindliche Bedingungen im Lager ab September 1944. Diese Zahlen der grausamen und heimtückischen Mordtaten sind „vorsichtigste Mindestschätzungen“, merkte Richter Lechtermann an.
Seit vergangenem Oktober musste sich Josef S. vor dem Landgericht Neuruppin verantworten. Wegen der eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten tagte das Gericht in S.‘ Wohnort Brandenburg an der Havel. In einer Sporthalle wurde ein provisorischer Gerichtssaal eingerichtet.
„Unser Sohn Josef ist bei der Waffen-SS“
Der Angeklagte hatte seine Tätigkeit im KZ Sachsenhausen im Prozess stets bestritten. Zunächst behauptete er, bis 1944 in Litauen gewesen zu sein. Dann sagte er, er habe als Landarbeiter in Vorpommern gearbeitet. Das KZ Sachsenhausen bei Oranienburg habe er nie betreten. Doch für seine Zeit in Sachsenhausen gibt es aussagekräftige Indizien: Neben SS-Unterlagen mit Namen und persönlichen Daten von S. liegt ein Brief der Eltern vor, in dem sie schreiben: „Unser Sohn Josef ist bei der Waffen-SS und in Oranienburg stationiert.“
Die Staatsanwaltschaft hatte fünf Jahre Haft für die Taten des inzwischen 101 Jahre alten Angeklagten gefordert. Auch die Nebenklagevertreter forderten eine Gefängnisstrafe nicht unter fünf Jahren. Der Verteidiger, der Hamburger Rechtsanwalt Stefan Waterkamp, plädierte auf Freispruch.
Die Vertreter der Nebenklage zeigten sich nach dem Schuldspruch zufrieden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Verteidiger Waterkamp hatte vor dem Urteil bereits angekündigt, im Falle einer Verurteilung Revision einzulegen.